ÖPNV:Contra Gratis-Nahverkehr: Dorfbewohner subventionieren die Städter

Mobilitätsstudie 'Mobil in der Stadt'

Hunderttausende benutzen den öffentlichen Nahverkehr in den Städten täglich

(Foto: picture alliance / Jan Woitas/dp)

Eine Abschaffung der Gebühren würde nicht nur Milliarden kosten. Sie wäre auch ein falsches Signal. Die Politik sollte davon Abstand nehmen.

Kommentar von Jan Schmidbauer

Auf den ersten Blick wirkt die Idee verheißungsvoll. Wer in Deutschland U-Bahn oder Bus fährt, könnte bald auf den Ticketkauf verzichten - ohne Kontrollen fürchten zu müssen. Die Bundesregierung, die wegen der hohen Schadstoffbelastung in Städten massiv unter Druck steht, denkt darüber nach, den öffentlichen Nahverkehr kostenlos zu machen und will das zunächst in fünf Städten testen lassen. Es ist ein Vorschlag, der Menschen für Politik begeistern könnte. Doch so charmant die Idee auch klingt: Die Politik sollte davon Abstand nehmen.

Dass eine Abschaffung der Gebühren die Kräfte der Marktwirtschaft aushebeln würde, kann man fast schon vernachlässigen. Denn es gibt noch gewichtigere Gründe, die gegen Gratis-Fahrten in U-Bahnen und Bussen sprechen.

Zunächst wäre da die Frage der Finanzierung. Woher das zusätzliche Geld kommen könnte, ist bislang offen. Die Verkehrsbetriebe sind häufig im Besitz der Kommunen. Den Betrieb von Bussen und Bahnen sowie die Löhne der Fahrerinnen und Fahrer finanzieren diese zu großen Teilen aus den Ticketgebühren. Eine Abschaffung würde Milliarden kosten. Am Ende müsste dafür wohl auch der Bund aufkommen, und damit der Steuerzahler. Kein Problem in Zeiten prall gefüllter Staatskassen? So einfach ist es nicht.

Ein aus Steuereinnahmen finanzierter Gratis-Nahverkehr wäre nicht nur teuer. Er würde auch zu einer großen Ungerechtigkeit führen: Was ist mit den Menschen in den Dörfern, durch die höchstens einmal am Tag ein alter Bus fährt? Sie hätten kaum etwas vom kostenlosen Nahverkehr und müssten über ihre Steuerzahlungen auch noch die Gratis-Fahrten von Münchnern, Hamburgern oder Kölnern subventionieren. Was für ein fatales Signal in Zeiten, in denen Deutschland über abgehängte Landstriche diskutiert. Statt die Versorgung auf dem Land zu verbessern, würde Deutschland in seine ohnehin überfüllten Großstädte investieren. Orte wie München müssen aber keine weiteren Argumente liefern, um Menschen anzuziehen. Sie sind attraktiv genug.

Fraglich ist außerdem, wie die Verkehrsbetriebe den Ansturm der Pendler bewältigen können, der durch eine plötzliche Abschaffung der Gebühren eintreten könnte. Nahverkehrsbetriebe warnen bereits vor überfüllten Bahnen und Bussen. Verständlicherweise. Pendler wissen, wie überlastet manche Nahverkehrszüge schon jetzt zu Stoßzeiten sind. Wer die Gebühren abschafft, riskiert das große Stopfen.

Nahverkehr dort fördern, wo es sinnvoll ist

Ein Ausbau der Infrastruktur wäre zwar eine mögliche Antwort. Aber wie lange soll das dauern in einem Land, in dem der Bau von Flughäfen, Bahnhöfen und Konzerthäusern manchmal keine Frage von Jahren, sondern von Generationen ist? Ganz zu schweigen von den weiteren Kosten. Die Hamburger Verkehrsbetriebe rechnen vor, wie teuer ein kostenloser Nahverkehr in der Hansestadt kommen würde, und beziehen sich dabei auf ein etwa 800 Millionen Euro teures Großprojekt, direkt an der Elbe. "In etwa eine Elphi pro Jahr", sagte der HVV-Sprecher über die ungefähren Kosten.

Statt Milliarden in die Städte zu stecken, sollte Deutschland lieber den Nahverkehr dort fördern, wo es sinnvoll ist: in den Dörfern. Damit der Bus nicht nur einmal am Tag hält, sondern drei, vier oder fünfmal. Gegen die Schadstoffbelastung in den Städten würde das zwar nichts ausrichten. Aber um Autos aus den Innenstädten zu vertreiben, muss es andere Möglichkeiten geben als einen Gratis-Nahverkehr.

U-Bahnen und Busse sind in Wahrheit nicht zu teuer. Wer die Kosten für Kfz-Steuer, Verschleiß und Ähnliches einkalkuliert, zahlt mit dem Auto fast immer drauf. Wer dennoch lieber im Pkw unterwegs sein will, muss eben dafür noch extra bezahlen, etwa durch eine Tagesgebühr für Fahrten in die innersten Bereiche der Städte. Hätte London so etwas nicht vor 15 Jahren eingeführt, wäre der Smog in der Stadt wohl noch viel schlimmer als ohnehin schon. Die Erlöse aus der City-Gebühr fließen dort übrigens auch in den Ausbau des Nahverkehrs. Es ist die bessere Art, um Autofahrer von Bus und Bahn zu überzeugen.

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