Ölpreis:"Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen"

Der Ölpreis wird unberechenbarer: Christof Rühl, Chefvolkswirt des Mineralölkonzerns BP, erläutert die globalen Umbrüche bei der Ölnachfage.

Silvia Liebrich

Christof Rühl, Chefvolkswirt des BP-Konzerns, über die negativen Folgen steigender Ölpreise und Befürchtungen, dass ein zu rascher Anstieg die Wirtschaft schwer belasten könnte.

SZ: Herr Rühl, die Weltwirtschaft erholt sich langsam, die Ölnachfrage steigt wieder. Muss man mit Engpässen und neuen Rekordpreisen rechnen?

Christof Rühl: Noch nicht. Selbst wenn morgen ein starkes Wirtschaftswachstum einsetzen sollte, würden zwei bis drei Jahre vergehen, bis eine echte Knappheit vorliegt und die derzeit nicht genutzten Förderkapazitäten von sechs Millionen Fass Öl pro Tag aufgebraucht wären. Es ist daher unwahrscheinlich, dass Rohöl in den kommenden zwei bis drei Jahren Spitzenpreise erreicht. Ich rechne mit leicht steigenden Notierungen.

SZ: Trotzdem wächst nicht nur in Deutschland die Angst, dass ein rasch steigender Rohölpreis den zaghaften Aufschwung abwürgen könnte.

Rühl: Diese Gefahr besteht. Wie hoch dieses Risiko tatsächlich ist, lässt sich schwer kalkulieren. Wir wissen aber, welche Länder über ihre Handelsbilanz unter der letzten Hochpreisphase von 2004 bis Mitte 2008 am stärksten gelitten haben. Während die USA am stärksten betroffen waren, kamen Deutschland, Europa und Japan etwas besser weg. Am besten überstanden China und Indien die schwierige Phase, weil es beiden Ländern gelang, den Preisaufschlag durch hohe Exporte in die ölproduzierenden Länder weitgehend auszugleichen.

SZ: Wo liegt die kritische Ölpreisgrenze für Europas Wirtschaft?

Rühl: Das Ölkartell der Opec geht davon aus, dass die Gefahr für die wirtschaftliche Erholung bis 80 Dollar je Fass relativ gering ist. Solche Aussagen haben aber nur eine begrenzte Gültigkeit. Im Moment spielt die von der Opec gedrosselte Förderung eine wichtige Rolle. Diese künstliche Verknappung ist einer der entscheidenden Gründe, warum Öl derzeit im Vergleich zu Erdgas oder Kohle teurer ist als sonst. Werden Preise jedoch über Marktniveau gehalten, kann das eine wirtschaftliche Erholung bremsen.

SZ: Angenommen, die Ölnachfrage zieht schneller an, als erwartet. Wie schnell lassen sich die Produktionskapazitäten wieder hochfahren?

Rühl: Grundsätzlich könnten die Fördermengen rasch wieder auf das Niveau von vor zwei Jahren erhöht werden. Das wird aber wohl nicht passieren, höchstens in Reaktion auf steigende Nachfrage, denn ein größeres Angebot würde automatisch zu einem Preisverfall führen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich große Ölproduzenten wie Saudi Arabien und andere Opec-Mitglieder darauf einlassen werden.

SZ: Benzin und Diesel sind jetzt schon beinahe so teuer, wie kurz vor der Krise, obwohl der Ölpreis von seinem Rekordhoch noch weit entfernt ist. Wie ist das möglich?

Rühl: Das hat verschiedene Gründe. In Deutschland hängen die Preise für Benzin und Diesel auch von der Euro-Entwicklung ab. Öl und die Produkte daraus werden in Dollar gehandelt und die europäische Währung hat allein seit Jahresbeginn zur US-Währung zehn Prozent an Wert verloren, das verteuert Mineralölprodukte für die Länder der EU. Hinzu kommen Strukturverwerfungen im Raffineriesektor. In den letzten Jahren wurde vor der Krise weltweit die Kapazitäten kräftig erhöht, vor allem in den Entwicklungsländern wurden neue Raffinerien gebaut. In Europa wird dagegen abgebaut, weil hier die Nachfrage zurückgeht. Dies führt zu einem knapperen Angebot und höheren Transportkosten.

"Die Verschiebung zu den Entwicklungsländern ist drastisch"

SZ: Könnte sich der Abbau von Raffineriekapazitäten in Europa als Fehler erweisen, wenn die Nachfrage in Europa wieder wächst?

Rühl: Kaum. Die Ölnachfrage in den westlichen Industrieländern hat ihren Zenit überschritten. Sie wird vermutlich nie wieder den Stand erreichen, den sie 2006 und 2007 hatte. Der Ölbedarf in der OECD ging seit 2006, also schon vor der Krise, um 4,4 Millionen Fass pro Tag zurück, was immerhin über fünf Prozent des weltweiten Verbrauchs entspricht. Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen, auch weil neue Autos, die in Europa auf die Straße kommen, viel sparsamer sein werden.

SZ: Ist die gute Nachricht, dass unsere Abhängigkeit vom Öl sinkt?

Rühl: Sicher, das heißt allerdings nicht, dass wir nicht noch geraume Zeit auf Öl angewiesen sein werden. Es bleibt der wichtigste Rohstoff. 33 Prozent des weltweiten Primärenergiebedarfs entfallen darauf, gefolgt von Kohle und Gas mit einem Anteil von 29 und 24 Prozent. Die Gewichte mögen sich etwas verschieben, aber die meisten Vorhersagen gehen davon aus, dass sich an diesem Energiemix bis 2030 nichts wesentlich ändert.

SZ: Es sind also die Entwicklungsländer, die in Zukunft Ölnachfrage und Preis stärker bestimmen?

Rühl: Ja, die Verschiebung des Energiebedarfs hin zu den Entwicklungsländern ist drastisch. Vor allem in China oder im Mittlere Osten, wo Mineralölprodukte staatlich subventioniert werden, steigt der Verbrauch stark an. Was passiert wenn die Subventionen im Transportbereich abgebaut werden lässt sich heute nur schwer abschätzen. Während in den OECD-Ländern 80 Prozent des Ölbedarfs in den Transport gehen, liegt dieser Anteil in China nur bei 40 Prozent, ein relativ großer Anteil geht dort in die Industrie. Wie sich der zunehmende Individualverkehr in China auf die Nachfrage auswirken wird, lässt sich auch deshalb nur schwer vorhersagen, weil die Fahrzeugflotte erst im Aufbau begriffen ist. Keiner kann heute mit Sicherheit vorhersagen, wie groß sie wird und wie hoch etwa der Anteil an Elektoautos ausfällt.

SZ: Wird der Ölpreis dadurch unberechenbarer?

Rühl: Damit ist zu rechnen. Bis 2004 war der Ölpreis 20 Jahre lang relativ stabil und vor allem relative unabhängig von den Schwankungen des globalen Wirtschaftwachstums. Ich gehe davon aus, dass sich der Ölpreis in Zukunft enger an aktuellen Wirtschaftszyklen orientiert.

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