Ökonomie:Einfach die Löhne erhöhen? Das allein hilft nicht

Forscher rechnen vor, wie sich die Schieflage in der Leistungsbilanz ändern lässt.

Von Alexander Hagelüken

Ein Begriff macht Karriere, obwohl er für viele Menschen wie Fachgeschwurbel klingt. Die Bundesrepublik verzeichnet einen so hohen Leistungsbilanzüberschuss wie nie. Deutschland zieht deswegen seit der Wahl von Donald Trump noch mehr Kritik auf sich als bisher. Eine noch unveröffentlichte Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) untersucht nun, wie sich der umstrittene Überschuss reduzieren lässt - mit überraschenden Ergebnissen.

Die Leistungsbilanz charakterisiert die wirtschaftlichen Beziehungen zum Ausland. Der Überschuss bedeutet im deutschen Fall vor allem: Es gibt klar mehr Exporte als Importe. Und einen hohen Transfer von Kapital ins Ausland. Denn andere Staaten gleichen ihren Überhang an Exporten aus Deutschland aus, indem sie diese mit Schulden finanzieren.

Wegen dieser Verschuldung birgt der deutsche Dauerüberschuss in der Leistungsbilanz Gefahren, argumentiert Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen IMK-Instituts: "Das hat sich in der Euro-Krise gezeigt." Hoch verschuldete Staaten mussten von Deutschland und anderen Partnern gerettet werden und durchlitten eine Rezession.

"Wenn Schulden unsolide finanziert sind, gibt es ein Problem."

Der Ökonom Clemens Fuest findet den Überschuss so lange ungefährlich, wie die Länder ihre Schulden solide finanzieren. "Aber wenn die Schulden unsolide finanziert sind, weil die Geldpolitik oder die Finanzmarktregulierung Verschuldung begünstigt und Banken zu leicht Kredite geben, gibt es ein Problem", warnt der Präsident des Ifo-Instituts. "Dann sammeln deutsche Banken Forderungen - und wenn die wie in der Euro-Krise ausfallen, muss der Steuerzahler einspringen."

Horn sieht eine zweite Gefahr der Überschüsse. Die deutsche Wirtschaft sei einseitig auf Exporte ausgerichtet, statt auch auf Binnenkonsum. Wodurch sie viel zu verlieren hat, wenn etwa ein protektionistischer Präsident Trump diese Exporte erschwert, um das amerikanische Handelsdefizit mit den Deutschen zu reduzieren.

Die spannende Frage: Wie lässt sich der Leistungsbilanzüberschuss reduzieren, ohne dass dabei andere Schäden entstehen? Die Löhne stiegen in der Bundesrepublik nach der Jahrtausendwende nach Meinung mancher zu langsam, was deutsche Firmen besonders wettbewerbsfähig werden und ihre Exportübermacht entstehen ließ. Daraus ergibt sich die Forderung nach höheren Löhnen. Die verteuern die Exporte und lassen Importe günstiger werden - der Überschuss schnurrt zusammen. Doch liberale Ökonomen wie Clemens Fuest warnen vor Nachteilen. Die Lohnzurückhaltung in den Nullerjahren habe dazu geführt, dass in Deutschland die rekordhohe Arbeitslosigkeit zurückging. "Wenn die Löhne so stark erhöht worden wären wie gefordert, wären in Deutschland weniger Arbeitsplätze entstanden."

Der eher linke Ökonom Horn widerspricht. Er berechnete, was geschehen wäre, wenn die Nominallöhne nicht wie in der Realität im Schnitt um 1,7 Prozent gestiegen wären, sondern um 2,7 Prozent im Jahr, was sich ergibt, wenn als Lohnsteigerung die zunehmende Produktivität und die Zielinflation der Europäischen Zentralbank gewährt wird. Ergebnis: "Stärker steigende Löhne können die Ungleichheit in Deutschland verringern, ohne Wachstum und Beschäftigung zu gefährden", sagt er. Beides nehme sogar leicht zu. Bemerkenswerterweise stimmt Horn aber mit Fuest in einem überein: Höhere Löhne helfen nur eingeschränkt, um den Leistungsbilanzüberschuss zu reduzieren. Denn die Wettbewerbsfähigkeit sei gar nicht so entscheidend dafür, dass Deutschland zum Exportmeister wurde. Steigen die Lohnstückkosten um ein Prozent, sinkt die Exportmenge nur um ein Fünftel davon. Gleichzeitig nehmen die Exporteure mehr ein, wenn sie ihre Waren wegen der höheren Löhne verteuern. Das kompensiert die geringeren Verkäufe teilweise sogar über. Die Überschüsse bleiben hoch.

Horn schlägt daher vor, Deutschland solle höhere Löhne mit staatlichen Mehrausgaben für Straßen, Schulen oder Wohnungsbau kombinieren. Seine Berechnungen legen nahe: Höhere Löhne erhöhen Wachstum und Beschäftigung und damit die Steuern. Investiert der Staat diese Mehreinnahmen, so gibt es einen doppelten Effekt auf die Leistungsbilanz. Sowohl höhere Löhne wie auch höhere Investitionen reduzieren den Überschuss.

Allerdings reicht das noch nicht aus, um den Leistungsbilanzüberhang von aktuell fast neun Prozent auf sechs Prozent zu drücken, wie es die EU-Kommission fordert, um Ungleichgewichte zwischen den EU-Ländern zu vermeiden. Um das zu schaffen, müsste der deutsche Staat noch mehr ausgeben. Ifo-Präsident Fuest fürchtet in diesem Fall allerdings Verschwendung. Deutschland brauche zwar Investitionen in die Infrastruktur, aber weniger, als manchmal unterstellt. "Wir reden da im Verkehr über zehn Milliarden Euro. Der Leistungsbilanzüberschuss würde durch öffentliche Investitionen, die sinnvoll sind, nur wenig sinken." Fuest favorisiert deshalb, dass der Staat die Rahmenbedingungen für mehr private Investitionen schafft - durch Marktöffnung bei Dienstleistung, beschleunigte Abschreibungen oder Gutschriften für Unternehmen, die mehr forschen. Sein Fazit: Die Überschüsse in der Leistungsbilanz sind ein Problem, das die Deutschen gar nicht alleine lösen können. "Wieso können sich ausländische Haushalte viel Geld leihen, um sich deutsche Produkte zu kaufen? Wenn die Finanzmärkte so reguliert wären, dass Verschuldung weniger leicht ist, wäre der Überschuss niedriger", sagt er.

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