Ökonomen-Serie:Ein Forscher der Gefühle

Georg Weizsäcker beschäftigt sich als Volkswirt mit dem, was Menschen bewegt: Angst, Glück, Unsicherheit. Den Homo oeconomicus hält er für "hanebüchen".

Von Catherine Hoffmann, Berlin

Er will raus aus seinem Elfenbeinturm. "Wir sind hier noch zu sehr in alten Strukturen gefangen", sagt Georg Weizsäcker. Hier, das ist die Humboldt-Universität, wo Weizsäcker Professor für Volkswirtschaftslehre ist. Mit Vorzimmer für die Sekretärin, eigenem Lehrstuhl samt eigenen Mitarbeitern, großzügigem Eckbüro und neuen Möbeln. Braucht man so was? Weizsäcker braucht es nicht. Als er mit der Uni verhandelte, wollte er das Lehrstuhlprinzip abschaffen, seine Mittel mit denen anderer Kollegen poolen - und scheiterte. Nun sitzt er mit offenem Hemd, grauer Chino und Espadrilles hinter seinem großen Schreibtisch in Berlin-Mitte und sagt: "Es gibt vieles, was ich ändern will."

Sein erster Wunsch: Der akademische Nachwuchs soll eine Perspektive bekommen in Deutschland. Damit gute Leute nicht andere Karrierewege gehen und die Uni verlassen, brauche es mehr Professuren und mehr Geld. So ließen sich auch Frauen fördern, die in der Volkswirtschaftslehre noch immer viel zu selten anzutreffen sind. "Vor allem aber müssen wir in der Forschung besser werden", ist Weizsäcker überzeugt. "In der VWL liegt Deutschland auf einem international guten Niveau, aber viele amerikanische und englische Universitäten sind besser."

Er weiß, wovon er spricht. Nach dem VWL-Studium in Berlin ging Weizsäcker als Stipendiat an die University of California. 1999 machte er in Berlin sein Diplom. Danach erhielt er Doktoranden-Stipendien für Harvard, wo er 2004 promovierte. Er wechselte an die London School of Economics and Political Science (LSE), zunächst als Assistenzprofessor, dann als Professor. 2010 erhielt er einen Lehrstuhl für das Fach Economics. In all den Jahren im Ausland hielt er den Kontakt nach Deutschland und half schließlich dem Berliner Wirtschaftsforschungsinstitut DIW aus der Krise. Nun will er mithelfen, die Humboldt-Universität von innen zu modernisieren. Um die äußerlichen Renovierungsarbeiten kümmert sich bereits der Berliner Senat, der das vergilbte Treppenhaus sanieren lässt, in dem Weizsäcker als Student noch geraucht hat. Einfach ist seine Mission nicht. "Wenn man aus dem Ausland kommt und sagt 'Ich habe das Licht gesehen', kommt das nicht gut an."

Dass Deutschland international nicht mithalten kann, hat auch historische Gründe. Nach dem Krieg war das Fach sehr stark auf Ordnungspolitik ausgerichtet. Ökonometrie, Mikro- und Makroökonomie wurden lange Zeit vernachlässigt. Viele Forschungsarbeiten von internationalem Rang stecken heute aber voller Formeln und Zahlen. Da machen die Arbeiten des Verhaltensökonomen Weizsäcker keinen Unterschied. Das Whiteboard in seinem Zimmer ist mit Gleichungen übersät.

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(Foto: Valentin Birkner)

An der mathematischen Formalisierung von Argumenten will er nicht rütteln; er sieht sie als Test, ob ein Argument wasserdicht ist. Im Zentrum seiner Forschungsarbeit stehen aber der Mensch und sein Verhalten. Längst haben die Wissenschaftler begonnen, den Homo oeconomicus weiterzuentwickeln. Die Annahme, dass Menschen stets rationale Erwartungen haben, sagt Weizsäcker, "ist vollkommen hanebüchen". Das neue Menschenbild der Ökonomen kennt Gefühle, Angst und Glück, falsche Erwartungen, Selbstüberschätzung und Unsicherheit.

Dem Homo oeconomicus fällt es sehr schwer, die unsichtbaren Marktkräfte zu verstehen

Weizsäcker beschäftigt sich viel mit der Frage, wie Menschen ihre Finanzen regeln. Da zeigt sich ihre ganze Irrationalität. Wenn jemand zur Bank geht und eine Lebensversicherung abschließt, wie viel bekommt er später raus? Nach Lehrbuch versteht der Kunde, was ihn erwartet. In der Praxis hat nur die Bank eine konkrete Vorstellung davon. Der Kunde weiß nur, was Finanzberater oder Werbung suggeriert haben: Er weiß nichts. Das ist dann die Abweichung von den rationalen Erwartungen. Dass Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, zeigen die hohen Stornoraten von Policen. Und die hohen Gebühren, die dann anfallen: "Daran sieht man, dass die Versicherer das naive Verhalten der Kunden schon antizipiert haben", sagt Weizsäcker. "Die Verträge sind so konstruiert, dass die Kunden nur schwer rauskommen und hohe Verluste in Kauf nehmen müssen." Was macht der Forscher in diesem Fall? Er versucht erst mal nachzuweisen, dass seine Hypothesen wahr sind.

Experimentalökonomie nennt sich das dann, es ist Weizsäckers Spezialgebiet. Was nach hoher Mathematik klingt, bedeutet in der Praxis: In einem kleinen weißen Raum stehen zwei Dutzend Rechner, abgetrennt durch graue Stellwände. Hier werden keine Klausuren geschrieben, sondern ökonomische Experimente durchgespielt. Versuchspersonen klicken sich am Bildschirm durch Fragenkataloge. Sie haben 90 Minuten Zeit. So lässt sich zum Beispiel prüfen, wie Menschen reagieren, wenn der Kurs einer Aktie plötzlich an Wert verliert - oder gewinnt. "Ich kann nicht sicherstellen, dass Menschen am Computer genauso entscheiden wie in der richtigen Welt", gesteht der Forscher ein. "Aber es sind echte Daten von Menschen."

Es zeigt sich: Der Homo sapiens hat massive Schwierigkeiten, sich Erträge vorzustellen, die weit in der Zukunft liegen und in jeder Periode Zufälligkeiten unterworfen sind. Er vermag vielfach auch nicht zu erkennen, welch unsichtbare Kräfte auf Renditen wirken. Er unterschätzt den Zinseszins ebenso wie die Asymmetrien von Gewinnen und Verlusten.

Die Verhaltensökonomen haben die Forschung näher rangerückt ans wirkliche Leben. Belächelt werden sie schon lange nicht mehr. "Wir müssen aber schauen, dass wir uns mit Dingen befassen, die ökonomisch wichtig sind und weiter in die Mitte des Faches rücken." Dorthin also, wo man sich zum Beispiel mit Arbeits- und Finanzmärkten beschäftigt, den großen Fragen der Wirtschaftswissenschaft.

Hier gibt es noch viel zu tun. Nach der Finanzkrise war die Kritik an der Zunft groß. Allenthalben war zu hören: Die Ökonomen haben zu lange an falschen Gewissheiten festgehalten. Weizsäcker wirkt betroffen. Er ist zwar kein Verfechter von neoklassischem Gedankengut. Aber es schmerzt ihn, dass der Ruf seines Faches so gelitten hat. In der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten ließ sich die Bundesregierung vor allem von Juristen beraten. "Von akademischen Volkswirten kamen zu wenig intelligente Beiträge zur öffentlichen Diskussion", sagt Weizsäcker. Die meisten schwiegen. Auch er drängte sich nicht vor Fernsehkameras, um die Welt zu erklären.

Das "von" in seinem Namen lässt er konsequent weg

Weizsäcker hält sich lieber im Hintergrund. Das "von" in seinem Namen lässt er konsequent weg. Geboren wurde er am 10. Oktober 1973 in München. Sein Vater Heinrich Wolfgang von Weizsäcker begann in jenen Jahren seine Universitätslaufbahn in München und wurde später Professor für Mathematik in Kaiserslautern. Dessen Vater, also der Großvater von Georg Weizsäcker, war der Kernphysiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker, ein Bruder des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.

"Ich bin eher der Typ, der ein Jahr lang an einem Papier sitzt und sich dann freut: 'Mensch, jetzt habe ich was rausgefunden!'" So lange über etwas nachzudenken, sei "herrlich", erzählt er. Wenn er das gemeinsam mit seiner Frau tun kann: umso schöner. Dorothea Kübler ist wie er Spezialistin für experimentelle Wirtschaftsforschung; seit 2003 lehrt sie als Professorin an der Technischen Universität Berlin. "Die Kinder finden das ganz schrecklich, wenn wir beim Abendessen über die Arbeit reden", erzählt Weizsäcker. Er weiß: Kinder leiden darunter, wenn man den Beruf mit nach Hause nimmt. Auf der anderen Seite sei man flexibler, wenn man nicht ins Büro gehen müsse, um über die Arbeit nachzudenken.

Überhaupt sei der Professorenberuf wie gemacht fürs Kinderkriegen - vorausgesetzt, man ist keine Frau. "Die Mutter ist immer noch ein Heiligtum in Deutschland. Das erzeugt Druck, dem man sich nicht leicht widersetzen kann", sagt Weizsäcker, der gern mehr Frauen für die Wirtschaftswissenschaften gewinnen will. Im Studium seien es noch recht viele, doch Professorin würden nur wenige. "Wir versuchen, die Karriere von jungen Menschen so aufzubauen, dass die Schwangerschaft kein Schadensfall ist." Die Schwangerschaft ein Schadensfall? Vielleicht ist das ja der Grund, warum er geholfen hat, den Kinderladen vor der Pleite zu retten, in den auch eines seiner Kinder ging. "Die Lage war angespannt; da wollte ich anpacken."

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