Ökoboom:Von Deutschland lernen

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Sauber gegen schmutzig: Windräder vor den Kühltürmen des Braunkohle-Kraftwerks in Jänschwalde. (Foto: Patrick Pleul/dpa)

Deutschland gibt für Ökostrom mehr aus als für Bildung und Forschung. Doch der erste Blick auf die Zahlen täuscht.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Schattenseite der deutschen Energiewende passt auf ein DIN-A4-Blatt und wird monatlich aktualisiert. In langen Kolonnen steht da, wie viel die Stromkunden im Monat für den Ausbau erneuerbarer Energien überwiesen haben, und wie viel geförderter Ökostrom auf der anderen Seite ins deutsche Netz floss, nebst aller möglichen Unterposten. Mit einer guten Lupe kann man ihn sogar lesen - den monatlichen Kontoauszug des größten Umbaus in der deutschen Wirtschaft. Im vergangenen Jahr wurden demnach genau 24 112 781 100,22 Euro für den Ökostrom umverteilt. 24,1 Milliarden Euro, so viel wie nie.

Verbraucher zahlen heute noch für die opulenten Zuschüsse der ersten Jahre

Nicht wenigen im In- und Ausland wird bei solchen Zahlen schummerig. "Das entspricht dem Zweifachen dessen, was der Bund im Jahr 2014 für Bildung und Forschung ausgegeben hat", sagt Wolfgang Steiger, Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates. Der "Hauptkostentreiber", das Ökostromgesetz EEG, dürfe "nicht weiter befeuert" werden. Auch jenseits der Grenzen gelten die Milliarden regelmäßig als Beweis, dass sich Deutschland auf ein ziemlich kostspieliges Experiment eingelassen hat, dass man nicht unbedingt nachahmen sollte. Doch die Zahlen trügen.

Denn anders als die Nachahmer zahlen deutsche Stromkunden vor allem die Kosten des Beginns. Damit der Ökoboom überhaupt loslegen konnte, wurde die Förderung von Anfang an über einen Zeitraum von 20 Jahren gewährt. Investoren sollten die Sicherheit haben, dass sich Windräder und Solarparks dauerhaft rechnen. Weil die anfangs recht teuer waren, erhielten die Betreiber auch opulente Förderung. So verdienten die Solarstromer der ersten Stunden mit jeder Kilowattstunde mehr als 50 Cent Förderung. Weil die Preise für Solaranlagen schneller sanken als die Vergütungen, kam es zwischenzeitlich zu einer wahren Bonanza: Um noch hohe Vergütungen einzustreichen, schraubten sich Hunderttausende Bundesbürger eilig Solarzellen aufs Dach. Mittlerweile gibt es je Kilowattstunde nur noch 12,7 Cent.

Auf dem Kontoauszug der Energiewende aber lastet aus jener Zeit eine milliardenschwere Hypothek. "Der Blick auf die Kosten der Vergangenheit verstellt die Kostensituation von heute", sagt Patrick Graichen, Direktor der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende. "Bei Neuinvestitionen sind Wind- und Solaranlagen inzwischen klar günstiger als neue Atomkraftwerke." Deutschland schleppe die "Lernkurveneffekte" der Solarkraft mit sich herum. Erst von 2020 an werden die teuren Solaranlagen peu à peu aus der Förderung fallen. Solange rollt die Welle noch.

Von den teuren Lernkurven profitieren derweil andere. Kostensenkungen bei Wind- und Solaranlagen lassen mittlerweile auch anderswo den Ökostrom boomen, derzeit nirgends so stark wie in China. Mit einer Neufassung des EEG will der Bund zudem verhindern, dass noch einmal die Schere zwischen den politisch ausgehandelten Vergütungssätzen und den Kosten für neue Anlagen auseinandergeht: Nach den Solarparks sollen von 2017 an auch neue Windparks per Ausschreibung vergeben werden - wer die geringste Förderung braucht, darf bauen. "Aus den Welpen sind ziemlich kräftige Jagdhunde geworden", sagt Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). "Deshalb gibt es keinen Grund mehr für Welpenschutz." Schon kommt die Sorge auf, der Bund könnte die Energiewende so ausbremsen. "Bei Ausschreibungsmodellen kann man auch viel falsch machen", sagt Christian Hey vom Sachverständigenrat für Umweltfragen. "Da bedarf es mehr Zeit und Sorgfalt für Erprobung und Entwicklung." Beim Kohleausstieg seien derweil die Briten weiter als Deutschland.

Doch bei den Einspeisetarifen für Atomstrom blüht Großbritannien eine teure Lektion. Je mehr Ökostrom in Europas Netze fließt, desto erratischer werden die Ausschläge an der Strombörse. Bei viel Sonne und Wind sacken dort jetzt schon die Preise ab. Doch staatlich garantierte Einspeisevergütungen, egal ob für Ökostrom oder Atomenergie, setzen immer auf diesen Börsenpreis auf: Sie füllen die Lücke zwischen dem Preis, den der Strom am Markt erzielt, und der garantierten Vergütung. Kurzum: Je niedriger der Preis an der Börse, desto mehr müssen Stromkunden oder Schatzkanzler draufzahlen, und das für jede einzelne Kilowattstunde. "Hätte der Schatzkanzler allein zu entscheiden gehabt", sagt Agora-Chef Graichen, "hätte es den britischen Einspeisetarif für neue Atomkraftwerke sicher nie gegeben."

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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