NS-Vergangenheit:Das laute Schweigen der Quandts

Ende September schlug eine Dokumentation über die Nazi-Verstrickung der Industriellen-Familie Quandt hohe Wellen. Jetzt zeigt der NDR eine Langfassung.

Willi Winkler

Im Sommer 1954 betraut das Amtsgericht Zehlendorf unter der Geschäftsnummer 5 VI 623.54 Dr. Kurt Leyke mit einer delikaten Sache. Der Berliner Rechtsanwalt und Notar soll sich um den "Nachlaß des im April 1945 verstorbenen Dr. Joseph Goebbels zuletzt wohnhaft gewesen in Berlin-Schwanenwerder, Inselstr. 8/10" kümmern.

Quandt NS

Günther Quandt: millionenschwerer Unternehmer im Nationalsozialismus.

(Foto: Foto: NDR/privat)

Dr. Leyke nimmt seinen Auftrag ernst und sucht nach den Goebbels-Erben. Wie jedermann weiß, folgte der Propagandaminister mitsamt seiner Frau Magda 1945 seinem geliebten Führer in den Tod, allerdings nicht, ohne vorher die sechs gemeinsamen Kinder umzubringen, denn die "Welt, die nach dem Führer und dem Nationalsozialismus kommt, ist", wie Magda Goebbels verkündet, "nicht mehr wert, darin zu leben".

An seinen Stiefsohn Harald Quandt, Magdas Sohn aus erster Ehe, der als Offizier in den Krieg gezogen war und deshalb den gemeinsamen Selbstmord im Führerbunker überlebte, richtete Goebbels seine letzten Worte: "Es ist wahrscheinlich, dass du der einzige bist, der übrig bleibt, die Tradition unserer Familie fortzusetzen."

Traditionen sind etwas Schönes und werden besonders in Familien hochgehalten. Die ehrwürdige Familie Quandt wirkte bereits seit dem 18. Jahrhundert im Tuchgewerbe, wusste aber mit der Zeit zu gehen, trat mit dem Ersten Weltkrieg in die Rüstungsindustrie ein und wurde reich.

Günther Quandt mehrte seinen Reichtum

Dass Magda Ritschel nach ihrer Scheidung von Günther Quandt den zu den schönsten Hoffnungen berechtigenden Gauleiter von Berlin heiratete, wird der Firma ebenso wenig geschadet haben wie der Zweite Weltkrieg, in dem Günther Quandt als "Wehrwirtschaftsführer" wirkte und seinen Reichtum vermehrte.

Seine Söhne Herbert und Harald übernahmen 1959 die damals notleidenden Bayerischen Motoren-Werke (BMW). Neben anderen Beteiligungen hält die Familie heute fast die Hälfte von BMW und bringt es auf gut und gerne 20 Milliarden Euro Vermögen.

Dass man sich soviel mit der Vergangenheit beschäftige, "hilft Deutschland wahrscheinlich nicht weiter", sagt Sven Quandt, das habe so einen "Negativ-Touch". Der Sohn Herbert Quandts ist der einzige aus der Familie, der mit den Filmemachern Eric Friedler und Barbara Siebert gesprochen hat, und er ist sich natürlich keiner Verantwortung für die Firmengeschichte bewusst.

Die Vergangenheit der Familien Goebbels und Quandt hat, wenn nicht Deutschland, so doch ihr selber weitergeholfen, und schon deshalb wäre Reden geschäftsschädigend.

Das laute Schweigen der Quandts

Der Film Das Schweigen der Quandts tut genau das, er schädigt die sonst so diskreten Geschäfte der Familie. Die ARD erlaubte sich vor sieben Wochen einen erstaunlich kritischen Film über die traditionsbewusste Familie Quandt.

Das Schweigen der Quandts erregte großes Aufsehen, nicht zuletzt, weil die ARD den Film unter fast konspirativen Umständen ins Sonntagabend-Programm geschoben hatte. Damals sahen trotzdem 1,3 Millionen Zuschauern zu. Heute wird eine Langfassung mit dreißig zusätzlichen informativen Minuten ein weiteres Mal beim NDR gezeigt.

Am 28. Oktober 1954 schreibt Harald Quandt an den Goebbels-Nachlassverwalter Leyke, dass er am Haus seines Stiefvaters interessiert sei. "Da ich dort selbst aufgewachsen bin, verbinden mich naturgemäß starke Reminiszenzen damit."

Manchen befallen bei der Erinnerung an die Familie Quandt ganz andere Reminiszenzen. Der Däne Carl-Gustaf Soerensen musste Zwangsarbeit in der "Accumulatoren-Fabrik" in Hannover-Stöcken leisten, für das die Familie Quandt unter Aufsicht der SS ein eigenes Konzentrationslager unterhielt.

Ein Facharbeiter kostete sechs Reichsmark am Tag, ein Hilfsarbeiter vier, jeweils zahlbar an die SS. Schutzanzüge, Atemschutz oder ähnlichen Luxus gab es nicht, dafür mussten Juden den gelben Stern schon tragen, ehe er reichsweit vorgeschrieben wurde.

Das kurze Leben des Playboy Harald

Auch das bringt Geld, Geld, das sich über Kapitulation und Nürnberger Prozess (in dem sich die Familie nicht verantworten musste) bis zum Aufbau eines neuen, besseren Deutschland retten ließ.

Der Film orientiert sich am kurzen Leben des Goebbels-Stiefsohns Harald Quandt, für den es nach den Worten seines Kriegskameraden Wolf Jobst Siedler "nur das Hier und Jetzt" gab, der nach dem Krieg als Playboy auffiel und als kühner Flieger. Im Film wird glaubhaft, dass er darunter litt, wie seine Halbgeschwister zuletzt auch noch dem Führer geopfert wurden.

An Goebbels und dessen Propaganda scheint er weniger gelitten zu haben, sondern beschäftigte sogar dessen designierten Nachfolger in seinem Büro. Es handelte sich dabei um jenen Werner Naumann, der in den frühen fünfziger Jahren die ohnehin rechtslastige FDP in Richtung "geläuterten Nationalsozialismus" (Spiegel) drehen wollte und deshalb 1953 vom britischen Hochkommissar verhaftet wurde. In der Tradition seiner Familie verdiente auch Harald Quandt sein Geld mit Waffenproduktion.

Der Film zeigte übrigens Wirkung: Inzwischen haben die Quandts den Historiker Joachim Scholtyseck mit der unabhängigen Erforschung der Firmengeschichte beauftragt. Mit ihrer Vergangenheit will die Familie, wie sie nicht ohne historischen Sinn für Ironie mitteilen lässt, "weiterhin offen und verantwortungsvoll umgehen".

Das Schweigen der Quandts, NDR, Donnerstag, 21 Uhr.

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