Notfallpläne der Banken:Furcht vor der Rückkehr der Drachme

Längst bereiten sich Banken darauf vor, dass die Europäische Währungsunion zerbricht. Ihre Notfallpläne beschäftigen Scharen von Unternehmensberatern und Juristen. Einblicke in ein Thema, das eigentlich tabu ist.

Catherine Hoffmann

Schweigen ist Pflicht in diesen heißen Tagen der Euro-Krise. Zwar ist es längst kein Geheimnis mehr, dass sich große Banken in Europa und den USA auf das Schlimmste vorbereiten: den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone, ja den Zusammenbruch der Währungsunion. Während hinter verschlossenen Türen Notfallpläne erarbeitet werden, üben sich die Kommunikationsabteilungen in Verschwiegenheit. "Kein Kommentar", heißt es bei der Deutschen Bank. Die Commerzbank immerhin lässt wissen: "Unsere Aktionäre, unsere Kunden und die Aufsichtsbehörden erwarten, dass sich die Bank sorgfältig und rechtzeitig auf alle Eventualitäten und Szenarien vorbereitet."

(FILE) Northern Rock Bank Nationalised by UK Government

Wenn alles schiefläuft: Die britische Bank Northern Rock war auf den Ansturm besorgter Kunden im September 2007 nicht vorbereitet. Das Geldhaus brach zusammen, und der Staat griff ein.

(Foto: Getty Images)

Auch die Finanzaufsicht Bafin beteuert, man diskutiere bestimmte Szenarien und sei dafür gerüstet, "ungeachtet der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts". Die Aufseher wissen, wie viel Geld die deutschen Banken in den einzelnen Euro-Staaten investiert haben und wie sie abgesichert sind. Details unterliegen allerdings der "gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht", wie es heißt. Öffentlich gibt es nur die Versicherung: "Die Institute sind auf eine Krise besser vorbereitet als 2008."

Die Einzigen, die aus der verschlossenen Welt der Banker berichten, sind Unternehmensberater wie Capco, die sich auf Finanzdienstleistung spezialisiert haben. In einem Weißbuch ("Was würden Sie tun, wenn die Euro-Zone auseinanderfällt?") skizzieren sie, woran zu denken ist. Darin wird vor inneren Unruhen in Krisenländern gewarnt, die das Personal gefährden könnten, und empfohlen, auf einen Bank Run vorbereitet zu sein. Auch die Boston Consulting Group gibt Instituten, für die sie tätig ist, ein 100-Punkte-Programm an die Hand. In diesem Notfallplan geht es um mögliche Turbulenzen an den Finanzmärkten oder rechtliche Fragen.

Griechenland wird sich vom Euro verabschieden

Die Berater wollen die wenigen Manager wachrütteln, die ihre Augen noch vor der Gefahr verschließen. Denn, dass Griechenland in einen Staatsbankrott schlittert und vom Strom der Hilfsgelder abgeschnitten werden könnte, ist nicht mehr auszuschließen; sein Verbleib in der Euro-Zone stünde auf der Kippe. Es lässt sich darüber streiten, wie wahrscheinlich ein solches Szenario ist, unmöglich ist es nicht.

Also laufen seit Wochen die Vorbereitungen für einen Abschied Griechenlands vom Euro - die Banker sprechen vom "Grexit". Wenn es so weit kommt, dann wird das sehr kurzfristig geschehen, nach Börsenschluss am Freitag. Danach wird es in Griechenland ausgedehnte Bankfeiertage geben, damit das Land genügend Zeit hat, eine neue Währung einzuführen, die vielleicht Drachme heißt. Diese würde im Verhältnis zum Euro kräftig abwerten, um 50 Prozent oder mehr, schätzen Ökonomen.

Ein Bankensturm gleicht einem Brandbeschleiniger

Aus Angst davor haben wohlhabende Griechen ihre Konten bereits leergeräumt und sind mit dem Geld ins Ausland geflüchtet. Mit Einführung der Drachme würden wohl die letzten treuen Bankkunden versuchen, ihr Geld zu retten. Die griechischen Institute könnten den Ansturm nur aushalten, wenn sie bei ihrer Notenbank und damit beim Euro-System weiter Kredit erhielten. Genau dieser Punkt ist in der Europäischen Zentralbank (EZB) aber umstritten: Die Bundesbank argumentiert, dass in diesem Fall Griechenland und seine Banken nicht mehr solvent seien. Das Euro-System dürfe Kredite aber nur an solvente Häuser vergeben. Andererseits: Jeder Währungshüter weiß, dass ein solcher Sturm auf die Banken wie ein Brandbeschleuniger wirkt. Griechenland könnte der Herd sein, von dem ein Flächenbrand ausgeht, der auch Spanien und Italien erfasst, ein Albtraum für jeden Bankchef.

Word 'Euro' is painted onto glass door of Academy of Arts in Berlin

Um den Schaden für die Banken zu begrenzen, planen ihre Berater bereits den Notfall.

(Foto: Reuters)

Wie reagieren die Märkte, wenn am Montag nach der Umtauschaktion die Börsen öffnen? Was empfiehlt man Kunden? Wie verhindert man, dass das Telefon zusammenbricht und Mitarbeiter in Erklärungsnot geraten? Wie lässt sich der Zahlungsverkehr mit Griechenland aufrechterhalten, nachdem es eine neue Währung eingeführt hat? Wie kann eine Bank sicherstellen, dass ihr Computersystem Drachmen akzeptiert, dass Kunden griechische Wertpapiere verkaufen können, dass alle bestehenden Verträge, Vermögenswerte und Schulden auf die neue Währung umgestellt werden? In welchen Fällen ist dies überhaupt erlaubt? Viele Wertpapiere hören nicht auf griechisches, sondern auf internationales Recht, Euros dürfen hier nicht einfach durch Drachmen ersetzt werden; es ist ein Thema, das in diesen Tagen Scharen von Juristen umtreibt.

Vermutlich werden die Banken auch mit Kapitalverkehrskontrollen und anderen hastig beschlossenen Regeln konfrontiert, die den Geldabfluss aus der Krisenregion verhindern sollen. Vermögensverwalter müssen ihre Investments überdenken, um das neue Wechselkursrisiko und veränderte Renditechancen zu berücksichtigen. Es gibt unendlich viel zu tun. Die britische Lloyds Banking Group hat eigens ein "Euro Instability Committee" gegründet, um auf die vielen Fragen eine Antwort zu finden. HSBC ließ ganz praktisch prüfen, ob ihre Geldautomaten in Athen auch Drachmen ausspucken könnten. Und Goldman Sachs soll Gerüchten zufolge in seinem Londoner Büro einen "War Room" für kritische Situationen unterhalten, sein Name: "Room 17", nach den 17 Euro-Mitgliedern.

Alles schon mal geübt - bei der Euro-Einführung

Die Sache ist verzwickt, weil es weder ein historisches Vorbild noch einen klar gezeichneten Weg dafür gibt, wie ein Land die Euro-Zone rechtmäßig verlassen könnte - einerseits. Andererseits können Banken auf Erfahrungen zurückgreifen, die sie bei der Einführung des Euro gemacht haben oder beim Verkauf von Geschäftsbereichen.

Dort planen sie für den Ernstfall, um den Schaden für die Bank zu begrenzen. "Im Falle eines Austritts werden die betroffenen Wertpapiere typischerweise isoliert und in ein eigenes Handelsbuch übertragen", sagt Bernd Richter, Partner beim Beratungsunternehmen Capco. Das funktioniert ähnlich wie beim Verkauf von Geschäftsbereichen; es gibt also Erfahrungen, die genutzt werden können. Es ist für Banken auch nicht ungewöhnlich, eine neue Währung einzuführen oder Produkte auf eine andere Währung umzustellen. All das haben die europäischen Banken in einem Mammutprojekt geübt - bei der Einführung des Euro. Damals wurde die nötige Infrastruktur geschaffen, mit der sich der Euro auch wieder abwickeln ließe, zumindest was die Technik angeht.

Derivate, das größte Risiko

Die Berater erarbeiten dafür ein sogenanntes Run Book, eine Art Arbeitsanleitung, damit Mitarbeiter genau wissen, was sie wann zu tun haben. Der Ablauf ist auf die Minute genau getaktet. Zum Notfallplan gehört auch ein Einsatzkommando, das in die Pläne eingeweiht ist und am Tag X die Arbeit überwacht. Wer sichergehen will, dass dabei nichts schiefgeht, probt vorher schon mal den Notfall. Die Banken sind dabei nicht allein. "Auch die nationalen Notenbanken sind vorbereitet für einen solchen Tag, sie arbeiten an ähnlichen Plänen", sagt Richter.

Natürlich beschäftigen sich die Berater auch mit Solvenzfragen. Wenn der griechische Staat pleitegehen würde, müssten Banken schmerzhafte Abschreibungen verkraften. Hinzu kämen Kreditausfälle von Unternehmen und privaten Haushalten. "Dafür müssten die Banken einen entsprechenden Puffer aufbauen", sagt Richter. "Wie groß der Kapitalbedarf hierfür ist, lässt sich berechnen." Auch die Finanzaufsicht Bafin hält den Grexit für beherrschbar: Deutsche Banken könnten eine Pleite Griechenlands verkraften. Das Engagement der Institute in dem Inselreich sei vergleichsweise gering (Grafik).

Aber was geschieht, wenn es zu einem Dominoeffekt kommt, wenn sich die Pleitewelle nicht an der griechischen Grenze stoppen lässt, sondern Spanien und Italien erfasst? "Wenn Griechenland ausscheidet, werden die Spekulationen nicht abreißen, dann geraten Spanien und Italien ins Visier", glaubt Falko Fecht, Professor an der Frankfurt School of Finance. "Denn das ist das Signal, dass der Euro reversibel ist, dass er wieder abgeschafft werden kann." Ein "äußerst heikle Situation" wäre das, sagt Berater Richter. "Schwer berechenbar, was dann geschieht." Das größte Risiko sieht er im Geschäft mit hochmodernen, komplexen Finanzinstrumenten, den Derivaten.

Überforderte Risikomanager

Kein Mensch und auch kein Computer hat einen Überblick, wer auf diesem Multi-Billionen-Markt mit wem verbunden ist. Welche Gefahren stecken hinter exotischen Namen wie CDS, Zins-Swaps oder Cash-Bonds? Wie viele Institute sind in die exotischen Produkte verstrickt, wie viele Länder involviert? Schier unmöglich, das auseinanderzudividieren. Derivate basieren im Wesentlichen darauf, dass Risiken über eine Gegenwette abgesichert werden - Experten sprechen von "counterparty risk", dem Risiko, dass der Geschäftspartner seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Das einzuschätzen überforderte vor vier Jahren auch die besten Risikomanager, wie die Pleite von Lehman Brothers im September 2008 offenbarte.

Am Freitag, bevor die US-Investmentbank zusammenbrach, wollte Barclays Investors, einer der größten Kapitalanleger weltweit, seine Manager für den Notfall schulen. Die Banker sollten sich überlegen, was geschieht, wenn ein Geschäftspartner - Lehman - ausfällt. Sie haben nicht erkannt, dass es lichterloh brennen würde, wenn Lehman zusammenbricht - bei fast allen Geschäftspartnern. Das Training übrigens wurde abgeblasen. Man wollte seine Kräfte für den Ernstfall schonen.

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