Norwegian:"Der Plan ist nicht haltbar"

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Die Ankündigung von Lufthansa-Chef Carsten Spohr, an einer Übernahme der norwegischen Billigfluggesellschaft Norwegian interessiert zu sein, hat deren Aktien steil nach oben getrieben Doch Analysten warnen vor Norwegian-Pleite.

Von Jens Flottau, Frankfurt

Die Reaktion der Anleger deutet auf ein gewisses Maß an Verzweiflung hin. Nachdem Lufthansa-Chef Carsten Spohr am Montag im SZ-Interview bestätigt hatte, dass sein Unternehmen mit Norwegian in Kontakt stehe, schoss die Aktie der skandinavischen Fluggesellschaft um bis zu zwölf Prozent nach oben. Bei einer Übernahme würde Norwegian zwar ihre Unabhängigkeit verlieren, aber überleben.

Die norwegische Billigfluggesellschaft versucht gerade ein waghalsiges Experiment: Die Airline, die noch 2012 weniger als 70 Flugzeuge einsetzte, bestellte auf einen Schlag mehr als 220 Maschinen bei Airbus und Boeing und drängte zugleich in neue Geschäftsfelder. Norwegian begann, Billigflüge nicht nur auf den Kurz- und Mittelstrecken anzubieten, sondern auch auf Langstrecken. Norwegian-Chef Björn Kjos, der mit einem Partner rund 26 Prozent der Aktien hält, scheint entschlossen, den Kurs trotz der Probleme beizubehalten. Im ersten Quartal stieg die Kapazität gegenüber dem Vorjahr um 36 Prozent, doch die Expansion hat verheerende Folgen für das wirtschaftliche Ergebnis: Norwegian machte im Quartal einen operativen Verlust von 235 Millionen Euro, das entspricht knapp einem Drittel des Umsatzes. Das Unternehmen ist zudem hoch verschuldet. Die Frage ist, wie lange das noch gut gehen kann, zumal die steigenden Treibstoffpreise die Kalkulation über den Haufen werfen.

"Der ursprüngliche Plan ist nicht haltbar", sagt Daniel Röska, Analyst bei Bernstein Research. "Eine Restrukturierung ist unvermeidlich. Ohne mehr Cash und Kapital wird Norwegian nicht überleben." In den nächsten zwei Jahren muss Norwegian laut Röska einen Kapitalbedarf von bis zu 1,2 Milliarden Euro abdecken, vor allem wegen der vielen bestellten Flugzeuge, aber auch um steigende operative Verluste auszugleichen. Schon jetzt versucht Norwegian dem Vernehmen nach, den Airbus-Auftrag für 95 Jets wieder loszuwerden. Auch hinsichtlich der Strategie hat Röska Bedenken: "Die Langstreckenbilligflüge funktionieren für Norwegian nicht." Der Umsatz pro Passagier sei zu gering. Laut Bernstein-Kalkulationen macht Norwegian auf jedem Langstreckenflug einen Verlust von 25 000 Euro, das entspricht etwa 100 Euro pro Passagier.

Lufthansa ist nicht der erste Konkurrent, der Interesse an Norwegian signalisiert, und es gilt als eher unwahrscheinlich, dass der deutsche Konzern zum Zuge kommen wird. International Airlines Group (IAG), die Muttergesellschaft von British Airways, Iberia, Vueling, Aer Lingus und Level, hatte im April einen Anteil von knapp fünf Prozent an Norwegian gekauft und angekündigt, Gespräche für eine vollständige Übernahme aufzunehmen. Doch Kjos lehnte nach eigenen Angaben zwei Kaufangebote als zu niedrig ab.

IAG würde mit Norwegian eine Airline übernehmen, deren Angebot sich mit dem eigenen überschneidet. Unter anderem expandiert Norwegian stark auf den Langstrecken von London-Gatwick, es bieten sich also Möglichkeiten zur Rationalisierung. Die Frage ist allerdings, welche Auflagen die Wettbewerbsbehörden machen würden. Mit Lufthansa gibt es kaum Überschneidungen, die Auswirkungen auf den Wettbewerb wären geringer. Im Gegenteil: Mit einer Tochter Norwegian würde Lufthansa stärker IAG und auch Air France-KLM angreifen. Allerdings käme die Übernahme zur Unzeit: Lufthansa hat gerade alle Hände voll damit zu tun, die operativen Probleme bei der Konsolidierung der Billigflugsparte Eurowings mit den von Air Berlin übernommenen Teilen in den Griff zu bekommen.

© SZ vom 19.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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