Nordrhein-Westfalens Steuerparadiese:Schuldenfrei im Speckgürtel

Das Monheim-Phänomen - Jugend an der Macht

Daniel Zimmermann, Bürgermeister von Monheim: Seine Gemeinde ist schuldenfrei. 

(Foto: dpa)

Sie schufen Anreize, damit sich Firmen ansiedeln, doch von Steuerdumping spricht niemand: Die Nachbargemeinden Monheim und Langenfeld sind beide schuldenfrei. Die einen sparten, die anderen hatten Glück.

Von Sophie Crocoll

Monheims Glück kam in Form eines Steuerbescheids. 5,8 Millionen Euro würden der Stadt nachbezahlt, schrieb das Finanzamt - Gewerbesteuern eines Unternehmens. Max Herrmann rief bei der Firma an: "Was ist bei euch passiert?", fragte er. Das Unternehmen hatte den Gewinn zu gering eingeschätzt. Kurz darauf schickte das Finanzamt noch einen Bescheid, kündigte weitere zehn Millionen Euro für die Stadt an, später noch einen. Ende 2011 verfügte Max Herrmann, der Kämmerer Monheims, über 30 Millionen Euro, mit denen er nicht gerechnet hatte.

Monheim, zwischen Köln und Düsseldorf am Rhein gelegen, ist eine Stadt mit Altstadt und sozialem Wohnungsbau, mit Busbahnhof und zwei Einkaufszentren. Etwas mehr als 40.000 Menschen leben hier, 2011 hatte die Stadt fast 100 Millionen Euro Schulden, angehäuft über 40 Jahre, erst stetig, dann von 2000 an schneller.

Heute ist die Stadt schuldenfrei. Bei Kommunen ist das selten. 134 Milliarden Euro Schulden drücken die deutschen Städte und Gemeinden, bei den Bundesländern sind es 780 Milliarden, und der Bund ist mit 1,3 Billionen Euro verschuldet. In Nordrhein-Westfalen geben neun von zehn Kommunen mehr Geld aus, als sie einnehmen.

Monheim hat seinen Gewerbesteuer-Hebesatz gesenkt

Wie hat Monheim es geschafft, seine Schulden in so kurzer Zeit loszuwerden? Und kann der Erfolg als Modell dienen für die große Politik?

Um Monheims Erfolg anschaulich zu machen, steigt Max Herrmann die Treppen zum Monberg hinauf, etwa 20 Meter ist der hoch, aufgeschüttet, das war günstiger, als den Boden eines ehemaligen Fabrikgeländes abzutragen. Auf der Spitze des Hügels haben drei Männer, die sich Szenegastronomen nennen, ein Restaurant mit Biergarten eröffnet, auch einen künstlichen Strand gibt es hier.

Von oben schweift der Blick über den Rhein, an Tagen mit klarer Sicht soll man den Kölner Dom erkennen können, vor allem aber sieht man Monheims Gewerbegebiete. "Unsere Gewerbesteuereinnahmen haben immer relativ konstant bei 18 bis 20 Millionen Euro gelegen", sagt Herrmann. Er ist 62 und gut vier Wochen im Ruhestand. Mehr als 35 Jahre hat er bei der Monheimer Finanzverwaltung gearbeitet. Wenn er von seinem Coup erzählt, dann ziehen sich die Lachfältchen um seinen Augen zusammen: "Dieses Jahr erwarten wir 200 Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen."

Monheim hat 2012 seinen Gewerbesteuer-Hebesatz von 435 auf 300 Punkte gesenkt, die Stadt berechnet nun den niedrigsten in Nordrhein-Westfalen, im Bundesdurchschnitt liegen die Sätze in den Kommunen des Landes deutlich höher als anderswo. Der Hebesatz ist das Instrument, mit dem eine Kommune die Höhe der ihr zufließenden Steuereinnahmen beeinflusst. Obwohl Monheim diesen Satz gesenkt hat, haben sich die Einnahmen verzehnfacht. Man kann sagen: gerade deshalb.

Die Finanzen seiner Stadt so grundlegend umgekrempelt zu haben, Daniel Zimmermann nennt das "nichts wahnsinnig Revolutionäres". Zimmermann ist Monheims Bürgermeister. Als er gewählt wurde, war er 27, Spitzenkandidat der noch zu Schulzeiten von ihm mitgegründeten Partei Peto (Lateinisch für "ich fordere") und kam gerade von der Uni. Heute ist er 31, und wie sehr er sich von seinen Vorgängern unterscheidet, wird nicht nur deutlich, wenn er an der Ahnengalerie im Rathausflur vorbeigeht.

Die Langenfelder wollten den Schuldenabbau

In Goldrahmen hängen da die Monheimer Bürgermeister. Porträts von Männern und einer Frau, die Männer fast alle mit schütterem Haar. 2009 zog Zimmermann ins Rathaus, Anfang 2010 wurde Monheim unter Nothaushalt gestellt, die Stadt konnte nicht mehr frei über ihre Finanzen entscheiden.

Zimmermanns Vorgänger hatten versucht zu sparen. Sie hatten die Außenstelle der Bibliothek geschlossen und die Volkshochschul- und Musikschulbeiträge erhöht, die Müllgebühren nach Gewicht berechnen lassen - der Schuldenberg hatte sich nicht verkleinert. Zimmermann stellte zwei Fragen, die keiner der früheren Bürgermeister gestellt hatte: Können wir Firmen ansiedeln, wenn wir die Steuern senken? Und wie hoch muss das Steuervolumen sein, damit sich das für uns lohnt?

Der junge Bürgermeister profitierte davon, dass seine Vorgänger zumindest Gewerbeflächen erschlossen hatten, auch wenn sich dort nie ausreichend Unternehmen angesiedelt hatten. Und er hatte die Nachzahlung von 30 Millionen Euro an Gewerbesteuern, die nicht im Haushalt einplant waren. Wäre der Plan nicht aufgegangen, sie hätten eine Rücklage gehabt und die Gewerbesteuer ein Jahr später wieder auf das alte Niveau angehoben.

Der Plan ging auf. Bayers Pflanzenschutztochter Crop Science holte eine zusätzliche Gesellschaft an den Standort, andere Unternehmen vergrößerten sich, und einige siedelten sich neu an. Die Deutschland-Zentrale des US-Hygieneprodukte-Herstellers Ecolab sitzt heute in einem Gewerbegebiet, das Monheim vor einigen Jahren durch einen Flächentausch von seiner Nachbarstadt Langenfeld bekommen hat. Auch Langenfeld hat um das Unternehmen gebuhlt. Und es ausgerechnet an die Stadt verloren, die lange in seinem Schatten stand.

Die Langenfelder hängten an ihrem Rathaus eine Schuldenuhr auf

Denn auch Langenfeld ist schuldenfrei und das schon seit dem 3. Oktober 2008. Über 20 Jahre hatten Politiker und Stadtverwaltung darauf hingearbeitet, fast 40 Millionen Euro Schulden abgetragen, langsam, mühsam. Sie haben von allen eine Gegenleistung eingefordert, die Anlagen der Stadt nutzen: Erwachsene zahlen, wenn sie in Sporthallen schwitzen, Chöre, wenn sie in der Stadthalle proben, Fußballvereine pflegen ihre Spielfelder selbst. Sie haben in der Verwaltung frei werdende Stellen nicht neu besetzt.

Die Steuern wurden angehoben, die Gewerbesteuer später wieder gesenkt, um Unternehmen anzusiedeln. Der Hebesatz liegt derzeit bei 360 Punkten - er ist jetzt der zweitniedrigste in Nordrhein-Westfalen. "Keine Kommune kann sich gesundsparen", sagt Kämmerer Detlev Müller, 61, er arbeitet seit 46 Jahren bei der Stadt, länger noch als sein ehemaliger Monheimer Kollege.

Wie es gelungen ist, die etwa 60.000 Langenfelder zu überzeugen, dass sie den Schuldenabbau wollen, kann auch Müller nicht genau erklären. Klar ist: Sie wollten ihn. Sie akzeptierten, dass sie dafür mehr bezahlen, sich selbst um Ausstellungen und Konzerte kümmern müssen, dass Gewerbe Verkehr mit sich bringt und Lärm. Die Langenfelder hängten an ihrem Rathaus eine Schuldenuhr auf, die rückwärts lief.

"Schokolade fließt hier nicht aus goldenen Hähnen"

Als die Pro-Kopf-Verschuldung unter 100 Euro sprang, kauften sich mehr als 500 Bürger symbolisch frei, um sich eine Urkunde aufzuhängen. "Schuldenfreier Langenfelder" steht darauf. Später verliehen sie die Schuldenuhr an andere Gemeinden, heute steht sie hinter einer Eisentür im Stadtarchiv, zwischen alten Telefonen, einem Wetterhahn und einer Bogensäge, Inventarnummer 3816. Die Schuldenfreiheit gehört zu Langenfeld, sie brauchen die Uhr nicht mehr, um sich daran zu erinnern.

Da fällt es schwer, das Alleinstellungsmerkmal zu verlieren. Ausgerechnet an den Nachbarn. "Langenfeld hat auf alles runtergeguckt, aber das haben sie sich erarbeitet und verdient", sagt Monheims ehemaliger Kämmerer Herrmann, der selbst in der Nachbarstadt lebt und "Schuldenfreier Langenfelder" ist. Auch Langenfelds Kämmerer Müller lobt und stichelt zugleich: "Es war eine geniale Idee des Monheimer Bürgermeisters, den Gewerbesteuer-Hebesatz zu senken. Es haben sich keine Firmen angesiedelt, sondern Firmensitze. Und der Zimmermann kann wie Sterntaler die Schürze aufhalten und den Geldregen einsammeln."

Von Steuerdumping spricht Müller nicht. Auch nicht die Stadt Leverkusen oder Düsseldorf, aus denen Abteilungen von Bayer beziehungsweise Ecolab abgewandert sind. Fluktuation sei natürlich. Einer sagt, mit einer "Kleckerskommune" wie Monheim vergleiche man sich nicht. Drei Viertel der zusätzlichen Monheimer Steuereinnahmen stammten nicht aus Nordrhein-Westfalen, betont Daniel Zimmermann. Ohne gefragt zu werden, sagt er aber: "Natürlich hegen manche den Verdacht, dass wir eine Steueroase zulasten anderer sind." Später wird Max Herrmann ergänzen: "Von einem Euro bleiben uns 20 Cent, mehr brauchen wir nicht, um glücklich zu sein." Der Rest geht in den Finanzausgleich. Andere Kommunen des Kreises müssen seither weniger bezahlen.

Zimmermann hält sich zurück, seinen Plan für die Stadt ein Modell zu nennen. Monheim hat Glück mit seiner Lage, nach Düsseldorf, Köln und Bonn ist es nicht weit, dort gibt es Konzernzentralen. Die Stadt ist an die Autobahn angeschlossen, die Flughäfen sind nah. Auch Nachbar Langenfeld hat diesen Vorteil. Kämmerer Detlev Müller aber sagt: "Die meisten Städte im Speckgürtel sind trotzdem verschuldet. Es ist falsch, nichts zu machen." Jede Region müsse mit der Kraft wuchern, die sie habe, ob das nun Landwirtschaft sei, Industrie oder Tourismus. Und sparen ließe sich immer irgendwo.

Ob Monheim schuldenfrei bleibt, hängt auch von der Landesregierung ab

Auch wenn Langenfeld und Monheim schuldenfrei sind, "Schokolade fließt hier nicht aus goldenen Hähnen", so beschreibt es ein Langenfelder. Drei Jahre in Folge hat die Stadt mehr Geld ausgegeben als eingenommen und von ihren Reserven gezehrt, in diesem Jahr wird sie wohl wieder einen Überschuss schaffen. In Monheim erlauben sie sich nur, zusätzlich auszugeben, was sie nicht mehr an Zinsen zahlen müssen: jährlich fünf Millionen Euro.

Daniel Zimmermann ist an diesem Nachmittag auf dem Weg zu einem Sommerfest im sozial schwächsten Viertel der Stadt, er geht vorbei an grauen Wohnblöcken, Ende der Sechzigerjahre als Trabantenstadt für Düsseldorf erbaut. In Monheim wohnen, verglichen mit dem Kreis Mettmann, die meisten Familien, die von Hartz IV leben. Beim Fest haben sie einen Sandkasten mit einer Plastikplane in ein Planschbecken verwandelt, viele Kinder baden in Kleidern, manche Mütter sehen selbst noch wie Kinder aus.

Zimmermann hält keine Ansprache, er ist einfach nur da, groß und schmal, steht fast schüchtern am Rand und spricht mit den Leuten, viele erkennen ihn. Gerade ist die Hitze für viele ein Thema, die Schuldenfreiheit ihrer Stadt eher nicht. "Wir kümmern uns um unsere Schulden", sagt eine Frau. Monheim wird jetzt in dem Viertel sechs zusätzliche Kita-Mitarbeiter einstellen. Das werden dann vielleicht auch die Menschen spüren.

Ob Monheim schuldenfrei bleiben kann, hängt auch von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens ab: Sie hat beschlossen, dass Kommunen, die so hohe Steuereinnahmen erzielen, dass sie kein Geld aus dem Finanzausgleich erhalten, von 2014 an im Jahr 182 Millionen Euro für klamme Gemeinden aufbringen sollen. Die Euro-Krise kommunal: Die Starken würden für die Schwachen zahlen - und könnten durch die Ausgaben selbst wieder finanzielle Probleme bekommen. Nicht nur Langenfeld und Monheim erwägen, dagegen zu klagen.

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