Nordkorea:In einem anderen Land

Sie fahren in Nussschalen zur See oder sie verkaufen Drogen nach China: Wer in Nordkorea Geld verdienen will, muss wirklich mutig sein und meist auch das Gesetz brechen. Denn Beamte lassen sich gern bestechen - mit Dollar oder Yuan, oder auch mit Pillen.

Von Christoph Giesen, Pjöngjang

Es gibt sie in Nordkorea, doch zu sehen bekommt man sie als Besucher aus dem Ausland ähnlich oft wie das streng geheime Atomtestgelände oder die Raketenabschussrampen: "Wir haben keine Märkte, wir leben im Sozialismus", erzählen einem die staatlichen Aufpasser. Immer und immer wieder. Irgendwann steht man aber doch auf einem dieser Märkte, die es eigentlich nicht gibt. Fotografieren streng verboten.

Fast alles bekommt man hier: Autoteile, eingelegten Kohl, Fleisch, Schokoriegel aus China, ja selbst importierte Coca-Cola. Man kann sich auch einen Anzug aus Vinalon schneidern lassen, wie Kim Jong-il, der verstorbene Vater von Nordkoreas Herrscher Kim Jong-un ihn so gerne trug. 300 000 Won verlangt die Schneiderin. Der offizielle Kurs zum Dollar beträgt eins zu hundert. Macht genau 3000 Dollar. Haute Couture? Auf dem Papier. In Wahrheit existiert ein Parallelkurs, schwarz gehandelt. Etwa 8300 Won entsprechen einem Dollar. Diktatoren-Jacke nebst Schlaghose kosten dann nur noch 36 Dollar. Doch für die meisten Nordkoreaner ist auch das viel zu teuer.

Das Problem: Die Löhne in Nordkorea orientieren sich am offiziellen Wechselkurs. Ein Beamter verdient im Monat 6000 Won, ein Arbeiter in einer staatlichen Mine erhält mit Zulagen vielleicht 50 000 Won. Alle sechs Monate also ein Kim-Jong-il-Janker? Wer kann sich Nordkorea überhaupt leisten?

Die Mutigen.

Wer in diesem Land überleben möchte, muss für sich selbst sorgen. Immer in der Gefahr, das Gesetz zu brechen.

Das meiste Geld in Nordkorea verdienen die Frauen. Sie sind es, die den Handel treiben, auf den Märkten stehen und ihre Waren feilbieten. Im Sozialismus muss jeder arbeiten und bekommt eine Stelle zugeteilt. Befreit davon sind ausschließlich verheiratete Frauen. Während die Männer kärgliche Löhne erhalten, waren es die Frauen, die etwa in den Hungerjahren Ende der Neunzigerjahre ihre Familien durchbrachten.

Inzwischen können sich auch Männer von der Arbeit beurlauben lassen. Sie müssen dafür bezahlen. "3.-August-Abgabe" nennt sich der freiwillige Gang in die Arbeitslosigkeit in Nordkorea. Anfang der Achtzigerjahre hatte Staatsgründer Kim Il-sung an einem 3. August die Heimarbeit für ältere Frauen eingeführt. Darauf berufen sich nun Tausende Nordkoreaner. Zu Hause trifft man sie nicht. Stattdessen werden sie zum Beispiel Fischer, und fangen Krabben oder Hummer. In Holzbooten mit altersschwachen Außenbordern wagen sie sich weit auf den Ozean. Etliche Kapitäne verlieren im Sturm die Kontrolle über ihre Boote. Als Geisterschiffe werden manche von ihnen Wochen später an die japanische Küste gespült. Der Tod fährt mit auf nordkoreanischen Booten. Abschrecken lässt sich davon kaum jemand. "100, manchmal sogar 200 Dollar können Matrosen auf den Booten verdienen", sagt Andrei Lankov, Nordkorea-Spezialist, der an der Kookmin-Universität in Seoul lehrt.

Eine Ausnahmeregel für ältere Frauen nutzen Tausende, um sich von der Arbeit befreien zu lassen

Bis vor wenigen Monaten wurde der Großteil des Fangs nach China exportiert, und dann oft weiterverkauft auch nach Japan oder Südkorea - deklariert als chinesische Ware. Vorbei. Die UN-Sanktionen treffen die Fischerei hart. Meeresfrüchte dürfen nicht mehr ausgeführt werden. Manch eine Besatzung verkauft inzwischen direkt auf hoher See an chinesische Fischer. Die Preise sind stark gefallen.

Auch der Bergbau liegt brach, als Kumpel in einer der vielen illegalen Kupfer- oder Eisenminen konnte man ordentlich verdienen. Was bleibt, ist der Schmuggel. Kohle oder Erze über die Grenze nach China zu bringen, das lohnt sich nicht - viel zu schwer. Was boomt, ist der Handel mit Wirkstoffen für die chinesische Medizin. Ginseng, Froschöl oder das Fleisch seltener Hirsche. "15 000, vielleicht 20 000 Händler versuchen sich trotz der Sanktionen noch immer im kleinen Grenzverkehr", schätzt Lankov. "Ich erwarte, dass auch der Drogenhandel zunehmen wird." Der chinesische Nordosten ist bereits fest in der Hand nordkoreanischer Banden, die synthetische Drogen verkaufen.

Seit Jahrzehnten werden in Nordkorea Amphetamine hergestellt - ursprünglich für die Armee. Im Zweiten Weltkrieg setzten die Japaner die Droge ein. Den Kamikaze-Fliegern verabreichte man sogenannte Angriffstabletten - Amphetamine, gestreckt mit grünem Teepulver. Nordkoreas Truppen haben das übernommen. Soldaten, die eine solche Pille intus haben, können tagelang Wache schieben.

Vor ein paar Jahren brach jedoch die staatliche Produktion zusammen. Überall im Land entstanden kleine Labore. Eine Küche, ein paar Chemikalien und ein Ingenieur reichen aus. Auch Tausende Nordkoreaner selbst schlucken die Pillen. Das Land hat ein ernsthaftes Drogenproblem. Die erste Welle des Konsums begann wohl 2005. Es waren vor allem die Neureichen, die zuerst Amphetamine nahmen: Beamte etwa oder Händler, die ins benachbarte China reisten. Wer die Droge nahm, der gehörte zur Oberschicht. In manchem teuren Restaurants bietet man sich die Tabletten nach dem Essen an, als wäre es ein Espresso. Die Amphetamine haben sich längst zu einer Drittwährung entwickelt. Statt mit Dollar oder Yuan lassen sich Beamte auch mit Pillen bestechen.

Die Korruption, das ist das Handwerkszeug der Mutigen in Nordkorea.

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