Noch vor Gesetzesverabschiedung:Mindestlohn wirkt schon jetzt

Bayerische Bauern suchen Erntehelfer

Es zeichnet sich bereits ab: Für Saisonarbeiter dürfte es beim neuen Mindestlohn keine Ausnahme geben.

(Foto: dpa)

Die Arbeitgeber fürchten sich vor dem geplanten Mindestlohn und reden plötzlich mit Gewerkschaften, die für sie vorher quasi nicht existiert haben - weil es so erst einmal billiger ist. Im Niedriglohnsektor könnten davon knapp drei Millionen Beschäftigte profitieren.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Der Mindestlohn darf "kein Schweizer Käse werden". Dieser Satz ist für Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) seit Monaten in Stein gemeißelt. Ausnahmen von den 8,50 Euro, die von 2015 an gelten sollen, wird es deshalb nur in Sonderfällen geben, etwa für einen Teil der Praktikanten oder für Langzeitarbeitslose. Ein Schlupfloch bleibt aber: Gelingt es Arbeitgebern und Gewerkschaften in einer Branche noch in diesem Jahr einen bundesweiten Tarifvertrag zu unterzeichnen, können sie die Zahlung der 8,50 Euro bis Ende 2016 hinausschieben. So ist es noch zwei weitere Jahre möglich, die neue Lohnuntergrenze ganz legal zu unterschreiten.

Diese Klausel im Mindestlohngesetz, das der Bundestag Anfang Juli auf den Weg bringen wird, wirkt schon jetzt. Was jahrelang unmöglich war, geht auf einmal: Arbeitgeberverbände reden mit Gewerkschaften, die für sie vorher quasi nicht existiert haben. Ob für Gurkenpflücker und andere Erntehelfer, Taxifahrer oder Forstarbeiter - in letzter Minute soll es noch zu Tarifabschlüssen kommen. Gelingt dies, könnten davon knapp drei Millionen Beschäftigte im deutschen Niedriglohnsektor profitieren. Das ergab eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung.

Hoteliers und Wirte fürchten sich vor den 8,50 Euro

Hinter Zapfhähnen und in Restaurantküchen haben Gewerkschaften normalerweise nicht viel zu sagen. 59 Prozent der Betriebe im Hotel- und Gaststättengewerbe sind tariflos. Niedriglöhne sind in der Branche weitverbreitet, und entsprechend groß ist die Angst von Hoteliers und Wirten vor den 8,50 Euro. Viele sehen keine Chance, die Mehrausgaben bei den Personalkosten über höhere Preise hereinzuholen. Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), warnt: Sind die 8,50 Euro von 2015 an sofort gültig, würde dies in vielen Fällen die Personalkosten um 20 Prozent erhöhen. Dies gefährde den Job-Boom in der Branche. "Wir wollen eine Übergangslösung, um einen Anstieg der Arbeitslosigkeit bei jungen Leuten und ungelernten Arbeitskräften zu vermeiden", sagt die Juristin.

Deshalb will der Verband für die 1,8 Millionen Beschäftigten unbedingt noch 2014 einen nationalen Mindestlohn-Tarifvertrag abschließen - mit unterschiedlich hohen Mindestlöhnen im Osten und im Westen. Die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) fürchtet dagegen kein Jobsterben in der Branche. Bereit zum Reden ist die NGG trotzdem. Bereits Ende Juni sollen die Gespräche weitergehen.

Keine Ausnahme für Saisonarbeiter

Über einen tariflichen Mindestlohn wird auch für die 800 000 Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft sowie im Gartenbau verhandelt. Bei den ersten Gesprächen in dieser Woche gab es Fortschritte. "Bei der Höhe des Mindestlohns liegen die Vorstellungen allerdings noch deutlich auseinander", sagt der IG-Bau-Bundesvorsitzende Harald Schaum. Am 3. Juli wird weiter verhandelt, wenn klar ist, was endgültig im Mindestlohngesetz steht. Schon jetzt zeichnet sich ab: Für die mehr als 300 000 Saisonarbeiter dürfte es in dem Gesetz keine Ausnahme geben.

Etwa 90 Prozent kommen aus Osteuropa, die zu Stundenlöhnen von durchschnittlich 6,50 Euro Spargel oder Erdbeeren ernten, Gurken pflücken oder bei der Weinlese helfen. Ihnen weniger als einheimischen Kollegen zu zahlen, könnte gegen das Diskriminierungsverbot im Europarecht verstoßen, heißt es im Bundesarbeitsministerium.

Taxifahrer gehören zu den am schlechtesten bezahlten Beschäftigten

Auch die Arbeitgeber in der Landwirtschaft wollen daher möglichst schnell einen bundesweit gültigen Tarifvertrag, um zwei Jahre länger Zeit zu haben, bis die 8,50 Euro fällig sind. Derzeit liegen die regionalen Tarife deutlich darunter: In der untersten Lohngruppe sind in Landwirtschaftsbetrieben im Westen von Mitte 2015 an mindestens 7,60 Euro zu bezahlen. Der Mindestlohn steigt erst bis Ende 2017 auf 8,50 Euro. Die Arbeitgeber in der Branche müssen also nachbessern, wenn sie von der Übergangsfrist noch profitieren wollen.

Noch schwieriger wird es in der Taxibranche. Die 200 000 nicht-selbständigen Taxifahrer gehören zu den am schlechtesten bezahlten Beschäftigten der Nation. Ihr Stundensalär liegt bei sechs bis 6,50 Euro. So viel bleibt übrig, wenn man die Umsatzbeteiligung eines Fahrers auf die Arbeitszeit inklusive Wartezeiten umrechnet. Der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband argumentiert, dass ein Sprung um zwei Euro auf 8,50 Euro nicht innerhalb eines halben Jahres zu schaffen sei. Sie wollen deshalb einen Arbeitgeberverband gründen, um mit Verdi über einen Tarifvertrag zu verhandeln.

Ein Sprecher der Gewerkschaft sagt dazu: "Wir sind dafür offen, über eine schrittweise Anpassung zum Mindestlohn zu sprechen." Bleiben die 160 000 Zeitungszusteller, meist Mini-Jobber. Verhandlungen über einen Tarifvertrag hat der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) nach Angaben von Verdi bislang "schlichtweg verweigert". Der BDZV hofft immer noch auf eine Sonderlösung.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: