Niedrigzinsen:Gabriel und der liebe Gott

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"Kern des Problems ist, dass Europa zu wenig für Wachstum tut": Sigmar Gabriel widerspricht Schäuble. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Der Wirtschaftsminister stellt sich hinter Mario Draghi. Die Deutschen müssten ihre Einstellung zu dessen Niedrigzins-Politik überdenken. Er widerspricht damit auch Finanzminister Schäuble.

Von M. Bauchmüller und C. Gammelin, Berlin

Als Sigmar Gabriel mit dem eigentlichen Zweck seiner Pressekonferenz fertig ist, kommt plötzlich der liebe Gott ins Spiel. "Der liebe Gott hat uns ja zwei Hände gegeben", holt Gabriel aus. "Warum wir immer nur die eine Hand gebrauchen, ist mir nicht klar." Politik könne sich an Nachfrage oder Angebot orientieren, also, verkürzt gesagt, den Konsum steigern oder die Bedingungen für florierende Firmen schaffen. "Es ist reine Ideologie so zu tun, als dürfe man immer nur die eine oder die andere Wahl treffen." Das eine schließe das andere aber nicht aus.

Die Frühjahrsprognose hat Gabriel zu diesem Zeitpunkt schon innerlich abgehakt: Der deutschen Wirtschaft geht es gut, sie soll in diesem Jahr um 1,7 und im kommenden Jahr um 1,5 Prozent wachsen. Investitionen und privater Konsum legen zu, Renten und Löhne steigen. Alles bestens also. Nachdem er sich durch diesen Teil gehechelt hat, kommt die Europäische Zentralbank (EZB) dran. Und zwar ganz ausführlich und in aller Ruhe.

Sie ist für ihre Politik des niedrigen Zinses in Deutschland in die Kritik geraten. Zuletzt hatte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) das Tabu gebrochen, sich nicht in das Tun der Notenbank einzumischen, und die EZB für die Wählerwanderung zur AfD verantwortlich gemacht. Gabriel fordert, das Spiel der "bösen Jungs von der EZB" müsse ein Ende haben. Nicht die Zentralbank sei das Problem, sondern zögerliche Politiker: "Es wäre falsch, die EZB-Politik zur Ursache zu machen", sagt der Wirtschaftsminister. "Kern des Problems ist, dass Europa zu wenig für Wachstum tut." Mit anderen Worten: Die Geldpolitik der Notenbank sei die Folge davon, dass Regierungen nicht genügend reformierten und investierten. Der Zentralbank der Euro-Zone bleibe nichts anderes übrig, als dieses Manko auszugleichen. Verzichteten dagegen Regierungen auf Investitionen oder werden - etwa durch die einseitige Auslegung von Verträgen - daran gehindert, "ist die einzige Konjunktur, die gefördert wird, die Konjunktur der Rechtspopulisten". Ausdrücklich betont Gabriel, dass es in Europa den Stabilitäts- und Wachstumspakt gebe, der in Deutschland auf Stabi-Pakt verkürzt werde - allein darin zeige sich die "herrschende Ideologie". Es müsse aber mehr für Wachstum getan werden. Und: Die Lage verschärfe die Entfremdung zwischen Politik und Bürgern, die unter niedrigen Zinsen auf Sparguthaben und Altersvorsorge litten. "Die Bürger zahlen damit den Preis für die verfehlte Wirtschaftspolitik des Staates." Der Staat dagegen profitiere. Tatsächlich kann Schäuble für 2016 deshalb mit einem ausgeglichenen Haushalt, also der schwarzen Null kalkulieren, weil er bei der Refinanzierung der Staatsschuld Zinsen in Milliardenhöhe einspart.

Auch das geplante Freihandelsabkommen mit den USA, TTIP, zieht er in Zweifel. Er sei ja für Regeln im Welthandel, sagt Gabriel. "Aber wenn die Regeln schlecht sind, dann ist es auch denkbar, dass die Verhandlungen scheitern. Das hängt sehr von den Amerikanern ab." So seien die Regeln, die Europäer und Kandier für die Beilegung von Streitigkeiten zwischen Staaten und Investoren ausgehandelt hätten, der Maßstab für TTIP. "Wenn die Amerikaner signalisieren, wir können diesen Standard nicht erreichen, dann hat es keinen Sinn mehr." Die USA hatten zuletzt wiederholt Kritik an dem neuen Verfahren geäußert. Die Verhandler treffen kommende Woche in New York zur 13. Runde zusammen.

© SZ vom 21.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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