Niedrigzinsen:EZB-Chef Draghi: Geld nicht nur aufs Sparbuch legen!

European Central Bank President Mario Draghi Announces Interest Rate Decision

EZB-Präsident Mario Draghi

(Foto: Bloomberg)
  • EZB-Chef Draghi wehrt sich in einem Zeitungsinterview gegen die Kritik aus Deutschland, dass die niedrigen Zinsen die Erträge deutscher Sparer auffressen würden.
  • Er wird auch einer Einladung des Bundestags folgen, dort die Zinspolitik der EZB zu erklären.
  • Außerdem warnt Draghi vor der Krise der Europäischen Union und dem drohenden Austritt Großbritanniens aus der EU.

Angesichts der extrem niedrigen Zinsen mahnt EZB-Chef Mario Draghi die deutschen Sparer zu einem veränderten Anlageverhalten. Sie hätten es "mit ihren Anlage-Entscheidungen auch selbst in der Hand, wie hoch ihre Erträge ausfallen, auch in Zeiten niedriger Zinsen", sagte er in einem Interview mit der Bild-Zeitung. In den USA habe es sieben Jahre lang einen Null-Prozent-Leitzins gegeben, und Banken, Versicherer und das ganze Finanzsystem habe trotzdem funktioniert. Alternativen zum Sparbuch brächten "gute Erträge", sagte Draghi, der einst für die US-Investmentbank Goldman Sachs arbeitete.

Außerdem erinnert der EZB-Präsident daran, dass Sparer den niedrigen Leitzins nicht isoliert betrachten dürften. Immerhin gleiche die niedrige Inflation die negativen Effekte der niedrigen Zinsen für Sparer aus. "Derzeit liegt der reale Zins, also die Verzinsung minus Inflation, höher als im Durchschnitt der 90er-Jahre", sagt Draghi. Damals sei zwar der Zins höher gewesen als heute, aber zugleich gab es meist eine noch höhere Inflation. "Also sah der Zins nur auf den ersten Blick gut aus, in Wahrheit waren die realen Erträge aber viel geringer."

Während er die europäische Wirtschaft im Wachstum sehe, mache sich Draghi über die Europäische Union große Sorgen. "Wir erleben mehrere Krisen, die alle miteinander zusammenhängen und sich gegenseitig verstärken", sagte er. "Umso wichtiger ist es, jedem Nationalismus und Isolationismus zu widerstehen." Das britische Volk warnt er mit Blick auf das "Brexit"-Referendum Ende Juni vor einem EU-Austritt: "Gemeinsam sind wir stärker. Aber wenn sie es doch tun, muss ihnen klar sein: Sie verlieren all die Vorteile des Binnenmarkts."

Der Kritik aus Deutschland an der Zinspolitik der EZB will sich Draghi im Bundestag stellen. Er werde eine entsprechende Einladung annehmen und freue sich darauf, sagte er. "Eine höflich und konstruktiv geführte Debatte ist durchaus willkommen und hilft uns sogar, unsere Politik zu erklären." Zugleich hob Draghi die Unabhängigkeit der EZB hervor. "Die EZB gehorcht den Gesetzen, nicht den Politikern." Einer seiner Vorgänger habe einmal gesagt: "Es ist normal, dass Politiker unser Tun kommentieren. Aber es wäre unnormal, wenn wir darauf hörten."

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