Niedrige Nettolöhne:Eine nette Schlagzeile - mehr nicht

Die Nettolöhne der Deutschen sind so niedrig wie vor 20 Jahren, behauptet eine neue Statistik. Doch einen erhellenden Beitrag zur Abgabendebatte kann das Zahlenwerk nicht liefern.

Claus Hulverscheidt

Habe ich es doch gewusst! Dieser Gedanke wird vielen Menschen durch den Kopf geschossen sein, als sie am Montag am Kiosk die fette Schlagzeile eines Boulevardblatts entdeckten: Die Nettolöhne in Deutschland, so hieß es dort, seien "so niedrig wie vor 20 Jahren". Das deckt sich mit dem Empfinden der Bürger.

Richtig daran ist zunächst, dass die Löhne seit Jahren langsamer steigen als etwa die Unternehmensgewinne oder die Kapitaleinkünfte. Ein Grund dafür sind niedrige Tarifabschlüsse, die - gepaart mit Steuer- und Abgabenerhöhungen - die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer geschmälert haben.

Auf der anderen Seite hat das dazu geführt, dass die deutschen Unternehmen heute zu den wettbewerbsfähigsten der Welt zählen und wieder mehr Menschen einstellen.

Die Statistik führt in die Irre

Richtig ist aber auch, dass der Zeitungsartikel und die ihm zugrundeliegende Statistik in die Irre führen. So wird suggeriert, dass die Menschen heute ärmer wären als 1986. Tatsächlich aber ist die Kaufkraft gleich geblieben. Der Durchschnittsbürger kann sich von seinem Gehalt also genau so viele Fernseher oder Autos leisten wie seinerzeit.

Über die wahren Verhältnisse im Lande sagt diese Durchschnittsbetrachtung zudem nur wenig aus, vor allem deshalb, weil sich das Gehaltsgefüge durch die Einrichtung eines Niedriglohnsektors in den letzten 20 Jahren erheblich ausgeweitet hat. Konkret: Viele Menschen verfügen heute über weniger Kaufkraft als 1986, viele andere dagegen über deutlich mehr.

Insofern taugt die Statistik zwar für eine dicke Schlagzeile. Einen wirklich erhellenden Beitrag zur Diskussion über Mindestlöhne auf der einen sowie Steuer- und Abgabensenkungen auf der anderen Seite aber leistet sie nicht.

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