Neues Datenleck:Zweite Enthüllungs-Welle trifft Luxemburg

Juncker presser on Luxembourg leaks

Eine Woche schwieg Juncker nach den ersten Luxemburg-Leaks - dann gab er eine Pressekonferenz

(Foto: dpa)
  • Das Ausmaß der Steuervermeidung in Luxemburg ist deutlich größer als bisher bekannt. Das belegen neue Dokumente, die der Süddeutschen Zeitung und weiteren internationalen Medien vorliegen.
  • Die Unterlagen enthüllen die Praktiken von 35 Unternehmen. Betroffen sind etwa der Internet-Telefondienst Skype, das Unterhaltungsimperium Disney sowie der Hygieneartikelhersteller Reckitt Benckiser (RB), an dem die Familie Reimann beteiligt ist, einer der reichsten deutschen Industriellen-Clans.
  • Skype konnte über mehrere Jahre bis zu 95 Prozent der Lizenzeinnahmen steuerfrei kassieren. Disney hat im Großherzogtum eine konzerninterne Bank gegründet, die ihre Gewinne mit weniger als einem Prozent versteuerte. Der Konzern RB, zu dem Marken wie Calgon und Clearasil gehören, lässt über Luxemburg Milliardenkredite laufen.

Von Bastian Brinkmann und Bastian Obermayer

Die Gästeliste der abendlichen Gala war erstaunlich: Nicht nur der Luxemburger Premierminister Xavier Bettel und sein Finanzminister Pierre Gramegna hatten ihr Kommen zugesagt - sogar der Luxemburger Kronprinz Guillaume hatte sich angekündigt für diesen Abend Ende November. Es galt die feierliche Eröffnung eines neuen Gebäudes zu begehen, allerdings war es nicht das Gebäude eines Staatsunternehmens, wie man ob dieser Ballung der höchsten staatlichen Repräsentanten vielleicht vermuten könnte. Tatsächlich fuhren die Gäste am hell erleuchteten neuen Hauptquartier der Beratungsfirma Pricewaterhouse Coopers (PwC) vor, wo sie von einer Schar aufgeregter Parkeinweiser ihre Plätze zugewiesen bekamen.

Erstaunlich ist das auch deshalb, weil PwC just jenes Beratungsunternehmen ist, das im Zentrum der Luxemburg-Leaks steht, die das kleine Land Anfang November erschütterten. Die Berater von PwC hatten sämtliche der rund 550 ehemals geheimen und nun öffentlichen Steuer-Dokumente - sogenannte "rulings" - ausgehandelt. Diese belegten erstmals detailliert, wie internationale Konzerne und die Luxemburger Steuerbehörden Hand in Hand dafür sorgen, dass Firmen zum Teil auf Steuerquoten von weniger als einem Prozent kommen.

Die Eröffnung des PwC-Neubaus fand wohlgemerkt gut drei Wochen nach den ersten Artikeln zu Luxleaks statt, wie das Projekt international genannt wird. Während im Rest Europas diskutiert wurde, wie man die Luxemburger Praktiken beenden könne, demonstrierten die Spitzen des Großherzogtums bei Flying Dinner, Ansprachen und Musik Verbundenheit mit PwC - allerdings ohne den Kronprinzen. Der hatte kurzfristig abgesagt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ), das die Recherchen des Reporterteams - mehr als 80 Journalisten aus 26 Ländern waren beteiligt - koordiniert hatte, bereits eine Nachlieferung aus Luxemburg erhalten. Mehr als 50 bislang geheime Steuerdokumente von 35 Konzernen gingen beim ICIJ ein, sie stammen aus den Jahren 2003 bis 2010, darunter wiederum große Namen, und wiederum sind auch deutsche Firmen darunter.

Ein zweites Leak. Eine neue Quelle. Eine zweite Welle von Fällen also.

Der Damm ist dabei an einer anderen Stelle gebrochen. Denn dieses Mal ist es nicht nur das Logo von Pricewaterhouse Coopers, das auf den Schriftsätzen an die Luxemburger Finanzbehörden prangt. Sondern eben auch die Namen einer Reihe von anderen Beratungsunternehmen, darunter die renommierten Gesellschaften KPMG, Ernst & Young und Deloitte. Damit sind die "Big Four" der weltweiten Beraterbranche komplett in den Luxemburg Leaks versammelt.

Das ist die entscheidende Erkenntnis aus den neuen Dokumenten: Die Berater von PwC sind nicht mehr allein die schwarzen Schafe. Nicht nur sie haben dabei geholfen, dass multinationale Konzerne die vielfältigen Möglichkeiten des Luxemburger Steuersystems auf teils exzessive Art und Weise nutzen können. Nicht nur sie haben ihre Anfragen an die Luxemburger Steuerverwaltung geschickt - in der Hoffnung auf wohlwollende Behandlung. Die absurde Nähe zwischen den Steuerberatern der Konzerne und den Finanzbehörden ist in Luxemburg nicht die Ausnahme, sondern offenbar der Regelfall. Dieses noch größere Ausmaß der steuerlichen Vorzugsbehandlungen war zuvor zwar vermutet worden - nun ist es auch dokumentiert.

Wie reagiert Juncker?

Statt Amazon und Ikea, Deutscher Bank und Eon, Pepsi oder FedEx - die allesamt im ersten Leak vertreten gewesen waren - entdeckt man jetzt den Internettelefonanbieter Skype, den Unterhaltungsriesen Disney, den Flugzeughersteller Bombardier oder Koch Industries - das zweitgrößte private Unternehmen der USA. Mit dem Oberhausener Chemiehersteller Oxea und dem Chemiehändler Brenntag sind auch dieses Mal deutsche Milliarden-Unternehmen in den Daten. Wieder scheinen die meisten Praktiken nach Luxemburger Recht legal zu sein, wieder handelt es sich oft um Milliarden Euro, die über Ländergrenzen hinweg hin- und hergeschoben werden. Nur die Namen der beteiligten Konzerne haben sich geändert.

Ein Sprecher des Luxemburger Finanzministeriums verteidigte auf ICIJ-Anfrage die "rulings". Er erklärte, die Interaktion der Steuergesetze verschiedener Länder sorge für die Niedrigbesteuerung. Dies sei legal, wenn auch "aus ethischer Perspektive", so räumte er ein, "zweifelhaft". Der ehemalige Luxemburger Ministerpräsident und Finanzminister Jean-Claude Juncker dagegen lehnte eine Interviewanfrage von ICIJ zu den neu geleakten Dokumenten ab.

Juncker hatte sich auch schon während des ersten Teils der Luxleaks-Recherchen, die im Spätsommer und Herbst stattfanden, nicht äußern wollen. Monatelang ließ er die Fragen des ICIJ-Teams unbeantwortet. Auch nach der Veröffentlichung Anfang November schwieg er weiter, fast eine Woche lang. Dann erklärte Juncker, die Praktiken in seinem Heimatland seien legal gewesen. Er gestand allerdings ein, das System sei "nicht immer mit steuerlicher Fairness vereinbar" gewesen. Zudem seien "ethische und moralische Standards" gebrochen worden.

Ende November erklärte Juncker im SZ-Interview dann, warum er monatelang auf die Fragen zu Luxleaks nicht reagiert habe, die NDR und SZ im Namen des ICIJ-Recherche-Teams an sein Büro gerichtet hatte. Es seien "widerliche Fragen" gewesen, sagte der EU-Kommissionspräsident. "Das waren keine Fragen. Das waren Attacken."

Die SZ hat die damals gestellten Fragen daraufhin auf SZ.de/luxleaks veröffentlicht, sodass sich jeder Leser seine Meinung selbst bilden kann.

Und nun also neue Dokumente. Neue Belege dafür, wie sehr Luxemburgs Steuerbehörden den internationalen Konzernen entgegenkommen. Die Frage, ob das Ganze System hat, dürfte damit geklärt sein.

Der bekannteste Name in den neuen Steuerdokumenten ist der des Disney-Konzerns. Angeleitet vom Beratungsunternehmen Ernst & Young schaffte es Disney offenbar, seine Steuerquote in Luxemburg auf unter ein Prozent zu drücken. Die interne Bank des Disney-Konzerns meldete für die vergangenen fünf Jahre Gewinne von mehr als einer Milliarde Euro - und bezahlte in Luxemburg nur rund 2,8 Millionen Euro an Einkommensteuer. Etwa ein Viertel eines Prozents.

Auch die Frage nach der Substanz ihrer Firmen muss Disney sich stellen lassen: Drei ihrer Luxemburger Tochterfirmen, die von 2009 bis 2013 mehr als zwei Milliarden Euro Gewinn machten, teilen sich laut den geleakten Dokumenten genau einen Angestellten. Der allerdings scheint sich nicht sonderlich oft im Büro aufzuhalten, Reporter von SZ und NDR klingelten wiederholt ohne Erfolg. Ein belgischer ICIJ-Kollege konnte schließlich einen Mann sprechen, der sich als Direktor der Disney-Firmen vorstellte. Mehr Personal sei nicht nötig, erklärte der.

Auch aus deutscher Sicht ist Disney relevant. Aus den neuen Dokumenten geht hervor, dass offenbar auch Gelder der deutschen Walt-Disney-Tochter an eine Luxemburger Firma transferiert wurden, wenn auch nur mittelbar.

Der Konzern wollte zu Detailfragen keine Stellung nehmen und ließ erklären, man halte sich an gesetzliche Vorgaben. Außerdem habe man in den vergangenen Jahren eine globale Steuerquote von rund 34 Prozent gehabt.

Traumhafte Gewinne - bis zu 95 Prozent steuerfrei

Der Internettelefonanbieter Skype hat seit 2003 im Großherzogtum seinen offiziellen Sitz, wenn auch die tatsächliche Arbeit wohl anderswo erledigt werden dürfte: In Estland entwickeln Programmierer die Software, in London entscheiden Buchhalter, Personalmanager und Juristen Verwaltungskram. Luxemburg hat die Finanzen. Hier kam der Konzern offenbar etliche Jahre in den Genuss einer angenehmen Regelung: Bis zu 95 Prozent der Lizenzeinnahmen muss die Luxemburger Zentrale nicht versteuern. So bleiben von der eigentlichen Körperschaftsteuer von rund 29 Prozent nur 1,5 Prozent übrig.

Auch die US-Firma Koch Industries, die wie Skype von Ernst & Young beraten wird, erreichte in manchen Jahren Steuerquoten von weniger als einem Prozent in Luxemburg. Ihre Besitzer, die Brüder Charles Koch und David H. Koch, gelten in den USA als bedeutende konservative Parteispender, die enormen Einfluss auf die Politik der Republikaner haben. 2011 musste Koch Industries zugeben, dass über eine ihrer Luxemburger Firmen illegale Wahlkampfspenden getätigt worden waren.

Koch Industries lässt erklären, all ihre legalen Steuerpflichten zu erfüllen.

Das ist auch noch immer die Verteidigungslinie von Luxemburg und Jean-Claude Juncker gleichermaßen: Alles legal. Tatsächlich ist genau das die Frage. Immerhin läuft gerade ein Verfahren der Europäischen Kommission, das diese Frage am Beispiel Amazon und Fiat klären soll. Möglicherweise wird es dabei nicht bleiben. Die neue EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager erklärte gerade, ihr Team werde die geleakten Dokumente sichten. "Wir betrachten die Luxemburg-Leaks als Marktinformationen", sagte sie, "wir werden sie untersuchen und prüfen, ob das dazu führt, neue Fälle zu eröffnen."

Die Luxemburger Regierung und Juncker geraten durch die neuerlichen Enthüllungen nun noch mehr in Bedrängnis. Luxemburg sieht sich bereits seit den ersten Luxleaks-Veröffentlichungen Anfang November dem Drängen seiner EU-Partner ausgesetzt, das Steuerdumping zu beenden. Insider vergleichen die politische Wirkung der Luxleaks mit der einer Schockwelle, die das Land tagelang in Erstarrung versetzte. Erst allmählich konnten sich die Politiker davon befreien.

Wegen der erneuten Anfragen des ICIJ ist der Regierung Luxemburgs seit einigen Tagen bekannt, dass es weitere Veröffentlichungen dazu geben wird. Finanzminister Gramegna hat offenbar sogar bereits das Parlament informiert, das berichten Luxemburger Medien. Das Land wird besser vorbereitet sein als beim letzten Mal.

Und Juncker? Der EU-Kommissionspräsident hat wegen der ersten Veröffentlichungen im November gerade erst ein Misstrauensvotum im Europäischen Parlament überstehen müssen - wenn auch eines, dessen Scheitern absehbar war, da es von den radikalen EU-Gegnern eingereicht wurde. Dennoch ist er schwer angeschlagen, und das schon in den ersten Wochen seiner Präsidentschaft.

Mitarbeit: Alison Fitzgerald und Marina Walker Guevara

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