Windows 10:Der letzte große Wurf

Windows 10: Illustration: Stefan Dimitrov

Illustration: Stefan Dimitrov

Windows 10 soll Microsoft zu alter Stärke verhelfen. Aber ist das Betriebssystem dafür gut genug?

Von Helmut Martin-Jung

Das Imperium ist angeknockt, kann es mit Windows 10 noch zurückschlagen? Die Frage entscheidet sich nicht alleine daran. Eine wichtige Rolle aber spielt es schon, ob Microsofts neues Betriebssystem das Versagen seines Vorgängers, der Version 8, vergessen machen kann. Und nicht nur das: Es soll dem Konzern auch helfen, verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Microsoft, man erinnert sich, entwickelte sich aus sehr bescheidenen Anfängen Ende der 1970er-Jahre in rasender Geschwindigkeit zu einem marktbeherrschenden Konzern. Noch heute läuft auf mehr als 90 Prozent aller Computer der Welt ein Windows-Betriebssystem.

Doch das gilt nur, wenn mit Computer Bürorechner oder Laptops gemeint sind. Auf Smartphones und Tablets - Computer im Mobilformat - ist Windows ein krasser Außenseiter. Die bisherigen Versuche von Microsoft, in dieser Sparte Fuß zu fassen, sind krachend gescheitert, zuletzt musste der Konzern die Investition in die Handy-Sparte von Nokia abschreiben - mehr als acht Milliarden Dollar.

Auf Windows 10, das von diesem Mittwoch an für die ersten Endkunden verfügbar ist, lastet daher viel Druck. Der Konzern versucht, Kunden an sich zu binden. Die Betriebssysteme der Endkunden-Geräte werden künftig alle auf Windows-10-Basis laufen: Handys und Tablets ebenso wie die Spielekonsole Xbox und natürlich PCs. Programme, die man nun auch bei Microsoft nur noch Apps nennt, sollen dadurch universell verwendbar werden. Man erwirbt sie einmal und nutzt sie auf dem PC ebenso wie auf Mobilgeräten.

Windows 10 könnte ein letzter Versuch sein

Dahinter steht auch ein neues Geschäftsmodell. Bei Office 365 lässt es sich schon studieren: Man kauft kein Word, Outlook oder Excel mehr, man mietet Nutzungsrechte. Für die Anwender besteht der Reiz dieser Lösung darin, dass sie auf allen Windows-Geräten und überall Zugriff auf die Programme und die Daten dazu haben - was vor allem Firmenkunden attraktiv finden. Denn die Systemverwalter müssen auf diese Weise nicht völlig unterschiedliche Geräte betreuen.

Microsoft hat zudem erkannt, dass die Zeiten großer Betriebssystem-Versionen vorbei sind. Die Kundschaft hat schlicht keine Lust mehr, Jahre darauf zu warten, dass die Zauberer in Redmond, dem Microsoft-Hauptsitz, sich etwas Tolles einfallen lassen. Windows 10 wird daher der letzte Versuch eines großen Wurfes sein, danach sollen wichtige Neuerungen in kleinen Schritten, dafür aber schneller kommen.

Und was ist nun neu am neuen Windows? Eine der offensichtlichen Neuerungen in Windows 10 ist gar keine: Das Startmenü gab es in Windows ja schon immer. Nun kehrt es, aufgepeppt mit ein bisschen Kachel-Flair aus Windows 8, wieder zurück. Die Nutzer werden sich wohl noch immer darüber streiten. Eigentlich kann sich das neue Startmenü aber sehen lassen und bietet, richtig eingesetzt, durch die Kacheln echten Mehrwert. Wer will, kann sich mit der kostenlosen Erweiterung Classic Shell aber auch ein Startmenü à la Windows 7 schaffen. Erstmals unterstützt Windows mit der neuen PC-Version auch mehrere Startbildschirme, zwischen denen man hin- und herwechseln kann. Sehr praktisch.

Eher Versprechen für die Zukunft als Hilfe im Alltag

Die digitale Assistentin Cortana ist noch nicht so bekannt wie ihre Schwester Siri von Apple. Doch das könnte sich ändern. Denn mit Windows 10 kommt erstmals eine solche sprachgesteuerte Assistenzfunktion auf den PC. Und Microsoft, das zeigt sich bei Gesprächen mit Verantwortlichen, arbeitet mit Hochdruck daran, ihre Fähigkeiten stetig auszubauen. Man kann Cortana so einstellen, dass sie ständig auf ein Codewort lauscht und per Sprachbefehl zu Hilfe gerufen werden kann - weil man die Hände nicht frei hat oder auch vielleicht, weil es schneller geht, als zu suchen und zu klicken.

Noch muss Cortana bei vielen Fragen passen oder aber sie als Frage an den Browser weiterleiten. Was meistens nicht allzu viel bringt, auch deshalb, weil Microsofts Suchmaschine Bing in Deutschland qualitativ nicht mit der von Google mithalten kann. Die Funktion ist daher eher ein Versprechen auf die Zukunft als eine ausgereifte Hilfe für den Alltag. Und wer will, dass die digitale Helferin tatsächlich Bescheid weiß, kommt nicht umhin, viel von seinen Daten preiszugeben. Eine Frage bleibt auch, ob die Nutzer wirklich und ernsthaft mit ihrem PC sprechen wollen, oder - im Großraumbüro etwa - können.

Ebenfalls für die meisten noch Zukunftsmusik ist die eingebaute Gesichtserkennung "Hello". Sie funktioniert derzeit nur mit einer Realsense-F200-Kamera von Intel. Diese enthält einen Tiefensensor für die räumliche Bilderkennung - mit einem Foto lässt sie sich also nicht überlisten. Tester der Fachzeitschrift c't kamen zum Ergebnis, dass Hello nur mit großem Aufwand ausgetrickst werden kann. Viele Laptops gibt es aber noch nicht, die eine solche Kamera eingebaut haben, Intel will immerhin auch ein Nachrüstgerät zum Aufstecken auf den Markt bringen.

Schiefgehen kann immer etwas

Auch dass Windows 10 schon fit ist für Microsofts überraschenden Vorstoß in die Welt der erweiterten Realität - der Konzern arbeitet an einer "Holo-Lens" genannten Brille, die die Realität mit einer virtuellen Schicht überlagert - auch das wird anfangs noch nicht viel bringen. Weshalb sich nun etliche Beobachter fragen, ob es überhaupt schon viel Sinn ergibt, bereits kurz nach dem Start auf Windows 10 zu wechseln. Microsoft möchte das gerne, versucht, mit dem Angebot des auf ein Jahr begrenzten kostenfreien Wechsels für Bestandskunden Druck aufzubauen.

Eigentlich aber kann man Nutzern nur raten, lieber etwas zu warten, bis die Kinderkrankheiten ausgeräumt sind. Ein Back-up der wichtigen Daten ist zudem Pflicht - schiefgehen kann immer etwas. Bei früheren Versionswechseln hat sich Microsoft auch nie damit hervorgetan, dass das Update gut funktionierte. Es dauerte lange, in den meisten Fällen war es besser, das neue System frisch aufzusetzen - wobei die unverzichtbaren Daten natürlich vorher gesichert werden müssen.

Windows-Vista-Gadgets verschwinden

Und sonst? Der Medienplayer kann keine DVDs abspielen, Microsoft will aber ein kostenloses Programm dafür nachschieben. Wer kopiergeschützte Blu-Rays gucken will, braucht kostenpflichtige Software dafür wie etwa Cyberlinks Power DVD. Das Media Center gibt es ebenfalls nicht mehr, die mit Windows Vista eingeführten Gadgets, Miniprogramme für den Desktop, verschwinden.

Im Inneren hat Microsoft vor allem an Sicherheitsfunktionen geschraubt, ansonsten dafür gesorgt, dass die große Masse derer, die die Vorgängerversionen 7 oder 8(.1) nutzen, ohne größere Probleme auf das neue System umsteigen kann. Ob es klappt, wird sich bald zeigen.

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