Neue Abzockermaschen:Flüchtlinge werden besonders häufig Opfer von Betrügern

dpa-Story: Flüchtlingskinder

Abzocker nutzen die Unerfahrenheit von Flüchtlingen aus.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)
  • Betrüger richten sich mit dubiosen Angeboten gezielt an Flüchtlinge. Sie nutzen dabei die Unerfahrenheit und mangelnde Sprachkenntnisse der Geflüchteten aus.
  • Es geht um Telefonverträge, Kredite oder sogar Organspenden. Für Wohnungsbesichtigungen kassieren Abzocker dreistellige Beträge.

Von Lea Hampel und Kristiana Ludwig, Berlin

Nach einem Bürgerkrieg und einer mühevollen Flucht, nach der Tristesse eines deutschen Asylbewerberheims - wie schön wäre es, einfach mal Glück zu haben? Derzeit ereilt viele Flüchtlinge das Glück per Telefon, jedenfalls scheint es zunächst so. Unbekannte Anrufer erzählen ihnen von einem überraschenden Geldgewinn oder einem Kredit, für den sie keine Schufa-Auskunft brauchen. Doch anschließend erhalten sie hohe Rechnungen, und das Hochgefühl weicht der Erkenntnis: Es sind Betrüger am Werk. Die Juristin der Mainzer Verbraucherzentrale, Sonja Guettat, erklärt die neue Masche. Häufig bekämen die Betroffenen eine Kreditkarte per Nachnahme geschickt, gegen rund 100 Euro. Wenn sie die nicht bezahlten, folgten Schreiben von Inkassounternehmen. Flüchtlinge seien zur Zeit die wichtigste Zielgruppe dieser Abzocke-Strategie.

Geringe Deutsch-Kenntnisse und die Unerfahrenheit mit einem neuen Rechtssystem machen geflüchtete Menschen zu einer leichten Beute für Betrüger. Die Berliner Verbraucherschutz-Lotsin für arabische Flüchtlinge, Dima Beseiso-Kamel, hat in einer Studie eine Vielzahl solcher Maschen zusammengetragen. Flüchtlinge berichten im vergangenen Jahr etwa von deutschen Handy-Verträgen, die sie bei arabischsprachigen Verkäufern abschlossen. Ohne das Kleingedruckte verstanden zu haben, bezahlten sie schließlich gleich für mehrere Anschlüsse. Mitarbeiter einer Berliner Notunterkunft erzählten, wie eine Telefongesellschaft einmal um die 1000 Werbebriefe an fast jeden einzelnen Heimbewohner adressiert habe.

Die Flüchtlingshelfer dort beraten mittlerweile Menschen, denen Riester-Renten oder Versicherungen aufgeschwatzt wurden. Sie helfen bei Dauermitgliedschaften in Fitnessstudios und bei Rechnungen für Deutschkurse, die gar nicht existieren. Ein Betroffener beschrieb sogar, dass er auf Anweisung eines Arztes einer Organspende zugestimmt habe. Erst mit Hilfe einer Heim-Mitarbeiterin habe er die Vereinbarung rückgängig machen können.

Eine der drängendsten Fragen für Menschen, die hierher kommen, ist die Unterkunft. Auch wenn es in den Traglufthallen, umgebauten Gemeindehäusern und ehemaligen Hotels längst nicht mehr so voll ist wie noch im Winter 2015/2016: Oft ist es eng, Küche und Bad müssen geteilt werden, Privatsphäre, gar Stille gibt es nicht. Doch die Wohnungssuche ohne Aufenthaltstitel, Job und Sprachkenntnisse ist sehr kompliziert. Eigene vier Wände sind für Flüchtlinge daher oft ein genauso dringliches wie komplexes Anliegen.

"Dahinter steckt das Gefühl: Wenn Du eine eigene Wohnung hast, bist Du wieder ein Mensch", sagt beispielsweise Boumedien Habibes, der mit dem Projekt "Manarah" (übersetzt: Leuchtturm) in Berlin Flüchtlinge auf Wohnungssuche betreut. Und so ist der Immobilienmarkt auch einer, auf dem besonders viel Geld mit der Verzweiflung der Ankommenden gemacht wird. Zwar werden nur wenige Fälle publik oder gar gezählt, aber es ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Schon 2016 hatte die Beratungsstelle "Wohnungen für Flüchtlinge" des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks vor Betrug in diesem Bereich gewarnt.

Auch den Vermietern begegnet das Problem immer wieder. Bei Vonovia, dem größten deutschen Wohnungsunternehmen, beobachtet man das Phänomen schon seit vielen Monaten. Die Mechanismen, sagt eine Sprecherin, seien oft die gleichen: Die Betrüger machen mit der Vonovia Termine für offiziell ausgeschriebene Wohnungen aus, gehen dann in Flüchtlingsunterkünfte, kassieren Geld für die Besichtigung und bringen dann die Geflüchteten zu den Terminen mit, ohne selbst irgendeine Makler-Position innezuhaben. Mitarbeiter von Vonovia haben das bemerkt, weil einzelne Personen 15 Termine auf einmal ausgemacht haben und die Betrüger vor Ort Geld von den Interessenten kassierten. "Ein dreistelliger Betrag für eine Besichtigung ist dabei keine Seltenheit", so die Sprecherin. Oft herrsche bei den Geprellten kein Bewusstsein, dass hierzulande Schmiergeld nicht üblich sei. "Die bekommen ein völlig falsches Bild von deutschen Gepflogenheiten."

Sicherheitsmitarbeiter verlangten Vermittlungsgebühren für Handys

Boumedien Habibes kennt das: "Viele der Menschen, die herkommen, finden es nicht ungewöhnlich, für Dienstleistungen zu bezahlen." Dies nutzen Kriminelle aus. Boumedien kennt Betrugsfälle nicht nur bei der Vergabe von Besichtigungen, sondern auch bei der Vermittlung von Wohnungen - bis zu 10 000 Euro hätten einzelne Betrugsopfer bezahlt und sich hoch verschuldet für die Vermittlung einer Wohnung, die sie nie gesehen geschweige denn bezogen haben. Bewohner von Flüchtlingsheimen schilderten Beseiso-Kamel, dass in ihrer Unterkunft selbst Sicherheitsmitarbeiter Vermittlungsgebühren für Wohnungen und Handys verlangten - und dann mit dem Geld verschwanden.

Boumedien verteilt in Flüchtlingswohnheimen deshalb eine Broschüre auf Deutsch, Englisch und Arabisch, die bei der Aufklärung helfen soll. Auch Vonovia hat gemeinsam mit einer lokalen Flüchtlingsinitiative ein Projekt gestartet, um Geflüchtete aufzuklären. Das Unternehmen hängt nun Schilder auf Arabisch aus, die den Prozess einer Vermietung erklären und deutlich machen, dass es hier nicht üblich ist, Geld für eine Besichtigung zu zahlen.

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