Netzentgelte:Lex Nordrhein-Westfalen

Warum es der Koalition so schwerfällt, die Finanzierung der Stromnetze auf alle Schultern gleichmäßig zu verteilen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Plötzlich war er weg, der Passus. Noch im November hatte der Gesetzentwurf die paar Sätze enthalten. Bundesweit sollten Stromkunden demnach das Gleiche für die Nutzung der großen Stromleitungen zahlen, die entsprechenden Vorgaben dafür konnte man in Artikel 1 des Entwurfs lesen. Doch was helfen sollte, die "Kosten der Energiewende in den Netzentgelten auch weiterhin fair und transparent" zu verteilen, es verschwand einfach. Anfang Januar verabschiedete das Bundeskabinett den Gesetzentwurf - ohne diese Vorgaben. Nordrhein-Westfalen hatte sich durchgesetzt, die einheitlichen Tarife waren erst einmal vom Tisch.

Von dort war seinerzeit besonders viel Widerstand gekommen, aus naheliegenden Gründen. Denn bisher werden die Netzentgelte in jedem der vier deutschen Stromgebiete gesondert erhoben. Die Folge: Wo besonders viel Ökostrom eingespeist wird, sind auch die Kosten für die Regelung des Stromnetzes besonders hoch. Deshalb liegen die Kosten in den nord- und ostdeutschen Gebieten der Netzbetreiber Tennet und 50 Hertz bei knapp zwei Cent je Kilowattstunde, während Kunden im Westen und Südwesten nur knapp die Hälfte zahlen. Dort betreiben die Firmen Amprion und Transnet BW das Stromnetz, dort sitzen auch viele große Industriebetriebe mit hohem Strombedarf. Und dann gab es da noch diesen Termin 14. Mai 2017: die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen.

Mit Blick darauf, so berichten Vertraute, habe Sigmar Gabriel, bis Ende Januar noch Wirtschaftsminister, den Gesetzentwurf um den Passus erleichtert. Im Herzland der Schwerindustrie wollte er sich keine Debatte über zusätzliche Belastungen der Industrie einhandeln. Stattdessen verwies Gabriel fortan mit süffisantem Lächeln auf die parlamentarischen Beratungen zum Gesetz. Schließlich ließen sich die bundeseinheitlichen Entgelte dort wieder in das Gesetz aufnehmen - nach der Landtagswahl. Genützt hat es nichts, wie sich später zeigen sollte.

"Vor der NRW-Wahl hat sich die Bundesregierung weggeduckt", sagt Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck (Grüne). "Aber es kann nicht sein, dass die Interessen einzelner Länder eine faire Lösung für alle blockieren." Eine Mehrheit im Bundesrat hatte deshalb schon im März gefordert, den Plan bundesweit einheitlicher Netztarife wieder ins Gesetz aufzunehmen. Doch in der Gegenäußerung verwies die Bundesregierung nur auf die "unterschiedliche regionale Betroffenheit und daraus folgende Verteilungseffekte". Darüber müsse erst der Bundestag beraten.

Nur noch eine Woche haben die Parteien Zeit für eine Einigung

Nach der NRW-Wahl ist die Lage anders, aber nicht unbedingt besser. Das Wirtschaftsministerium, nun unter Gabriels Nachfolgerin Brigitte Zypries (SPD), hat wieder Interesse an bundeseinheitlichen Entgelten. Dafür bocken nun Teile der CDU; passenderweise regiert die jetzt in Nordrhein-Westfalen. So verlangt der Wirtschaftsflügel der Union, die Kosten für das Stromnetz zum Teil auch über das Ökostrom-Gesetz EEG abzurechnen. Kleiner Nebeneffekt: Große Industriebetriebe könnten so viel Geld sparen, sie genießen Rabatte bei der Ökostrom-Umlage. Weil sich in der Koalition für diesen Vorschlag keine Mehrheit findet, könnte das ganze Gesetz noch kippen. Nicht einmal eine Woche bleibt noch für eine Einigung.

Damit ist die Kanzlerin dran. Kürzlich war Angela Merkel bei der Industrie- und Handelskammer Nord in Greifswald zu Gast, es ging auch um die Netzentgelte. Die gegenwärtige Verteilung sei "ein strategischer Nachteil des Nordens, gerade auch im Bereich energieintensiver Industrien", räumte Merkel ein. "Wir werden versuchen, das noch hinzubekommen." Längst machen Parteifreunde aus dem Norden und Osten Druck, allen voran Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Doch die Uhr tickt. Sollte es bis nächste Woche keine Einigung geben, gibt es kein Gesetz - aber einen großen Sieger: Nordrhein-Westfalen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: