Netzagentur-Chef Kurth:"Die Ziele sind in Gefahr"

Stau auf der Stromautobahn: Netzagentur-Chef Matthias Kurth über die Probleme bei der Energiewende, Schäden durch Blackouts - und das Dilemma der Windparkbetreiber.

Markus Balser

Die Bundesnetzagentur fordert von den Landes- und Kommunalbehörden schnellere Genehmigungen für den Bau von Stromleitungen. "Das Netz ist der kritische Punkt für das Gelingen der Energiewende", warnt Behördenpräsident Matthias Kurth im Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Wenn die Länder ihre Genehmigungspraxis nicht beschleunigten, seien die hohen Ziele der Regierung beim Ausbau von Ökoenergien in Gefahr.

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Stromerzeugung, ökologisch verträglich: Windräder rentieren sich erst, wenn sie unter voller Last laufen.

(Foto: Ingo Wagner/dpa)

SZ: Herr Kurth, die Bundesregierung sieht ihr Energiekonzept als Fahrplan für die Energiewende. Zu Recht?

Kurth: Wir befinden uns doch längst mittendrin. Die Wende läuft. Und sie wird weitergehen.

SZ: Umweltorganisationen sind sich da nicht so sicher. Sie warnen, längere Atomlaufzeiten würden Investitionen in regenerative Energien bremsen. Sie spüren Veränderungen zuerst. Hat die Atomdiskussion Investoren verunsichert?

Kurth: Die Pläne für neue Windanlagen und Off-Shore-Windparks in den nächsten Jahren sind gewaltig. Die Investitionsbereitschaft ist ungebrochen. Allein die Stromnetzbetreiber haben für den Um- und Ausbau ihrer Netze Investitionsbudgets von rund 15 Milliarden Euro beantragt. In diesem Jahr gingen bei uns bis Ende Juni etwa 100 Neuanträge mit einem Volumen von vier Milliarden Euro ein. Bei den Solaranlagen hatten wir im Juni mit 50.000 Meldungen einen Rekord - so viele Anmeldungen waren es noch nie in einem Monat. Ich glaube nicht an das Ende des Umbaus. Aus einem einfachen Grund: Regenerativer Strom hat per Gesetz Vorfahrt. Liefern Windparks viel Energie, müssen Atomkraftwerke runtergefahren werden.

SZ: Ob das Wüstenprojekt Desertec oder Windparks auf hoher See: Strom wird künftig fern großer Städte und Verbrauchszentren produziert. Reichen die wenigen Stromautobahnen, die derzeit in Planung sind, um ihn auch zu den Kunden zu bringen?

Kurth: Nein, ganz sicher nicht. Der Netzausbau wird bei der Energiewende zum Knackpunkt. Es werden in den nächsten Jahren gewaltige Anstrengungen nötig sein. Wenn künftig 30 bis 50 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen, ist der weitere Ausbau unverzichtbar.

SZ: Was muss passieren?

Kurth: Die Deutsche Energieagentur wird ermitteln, was nötig ist, um die Ökostromziele der Bundesregierung nicht zu gefährden. Sie schätzt den Bedarf bis 2015 auf 850 Kilometer. In den vergangenen fünf Jahren wurden nur 80 Kilometer gebaut. Die Lücke ist gewaltig.

"Falsche Panikmache"

SZ: Energiekonzerne warnen wegen überlasteter Netze schon vor Milliardenkosten für die deutsche Wirtschaft durch Stromausfälle. Drohen wirklich folgenschwere Stromausfälle wie in den USA?

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Der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth: "Die Energiewende läuft. Und sie wird weitergehen." 

(Foto: dpa)

Kurth: Das halte ich für falsche Panikmache. Das Netz wird nicht zusammenbrechen. Die wirklichen Probleme liegen woanders.

SZ: Nämlich?

Kurth: Für Windparkbetreiber könnte das zu finanziellen Problemen führen. Sie rentieren sich vor allem, wenn sie unter voller Last laufen. Das wird beim derzeitigen Stand des Netzausbaus schwer und würde die Windparkbetreiber deshalb hart treffen. Das Problem könnte den Erfolg der Windparkprojekte stärker gefährden als längere Laufzeiten für Atomkraftwerke.

SZ: Wo sehen Sie den größten Bedarf für einen schnellen Ausbau?

Kurth: Bei der Anbindung der Windparks auf hoher See kommen wir gut voran. Die Frage ist, was mit dem Strom an Land passiert. Beim Transport in die Ballungszentren kann es zu Engpässen kommen. Wir brauchen dringend neue Leitungen, die Windstrom von Nord- nach Süddeutschland transportieren.

SZ: Warum verläuft der Ausbau so schleppend?

Kurth: Es gibt ein Nadelöhr: Die Genehmigungen der Planfeststellungsbehörden für die Bauprojekte. Die Länder und Kommunen müssen mehr tun, damit der Ausbau endlich vorankommt. Wir haben Investitionsbudgets für Dutzende von Neubauprojekten bewilligt. Investoren sind bereit, rasch mit dem Bau zu beginnen. Trotzdem laufen die Vorhaben aus dem Zeitplan. Wir haben in einigen Bundesländern erhebliche Verzögerungen im Genehmigungsprozess.

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