Nahrung:Woher kommen unsere Fischstäbchen?

Nahrung: Der Käpt'n und seine Fischstäbchen sind besonders bei Kindern beliebt.

Der Käpt'n und seine Fischstäbchen sind besonders bei Kindern beliebt.

  • Die Deutschen essen jedes Jahr mehr als zwei Milliarden Fischstäbchen. Aber wie viel in China verarbeiteter Fisch steckt eigentlich darin? Nirgends steht das.
  • Das globale Geschäft um Margen und Marktanteile ist schwer zu durchschauen. Russland und die USA führen einen kalten Fischstäbchen-Krieg, der noch lange nicht vorbei ist.
  • Klar scheint zumindest: Besonders billige Ware landet wohl auch in deutschen Kindergärten, Schulen und Kantinen.

Von Michael Kläsgen

Die Deutschen lieben Fischstäbchen. 2,15 Milliarden Stück aßen sie allein 2017, das entspricht 27 Stäbchen pro Kopf. 2007 waren es laut Tiefkühlinstitut noch 23 Stück, Tendenz also stark steigend.

Doch trotz des großen Appetits weiß kaum jemand, was es mit dem Fisch auf sich hat, der zwischen der "Knusper-Panade" steckt, wo er gefischt und wie er verarbeitet wird. Dabei liegt es im Trend, genau wissen zu wollen, woher Fleisch, Milch, Eier oder Honig im Supermarkt stammen. Das geben die Verbraucher so in Umfragen an, wobei Fachleute unken, in Wahrheit interessiere sie nur der Preis.

Immerhin den Fisch, der hierzulande für Fischstäbchen und Schlemmerfilets verwendet wird, nennen Handel und Verarbeiter beim Namen: Alaska-Seelachs. Wobei das schon in die Irre führt. Der Name ist eine Erfindung der Industrie. Alaska-Seelachs hat nichts mit Lachs zu tun. Der Fisch ist eine Dorschart und wird international als "pacific pollock " gehandelt, als Pazifischer Pollack. Vor 25 Jahren wurde er noch zu Fischmehl verarbeitet. Aus Alaska stammt er auch nur bedingt.

Alaska ist ein Bundesstaat der Vereinigten Staaten, zu denen auch die östliche Beringsee und der Golf von Alaska gehören. Das ist das Fanggebiet 67. Von hier stammen aber nur 40 Prozent des Alaska-Seelachses, die Deutschland importiert. Die restlichen 60 Prozent kommen laut Fischverband aus Russland, der westlichen Beringsee beziehungsweise dem Ochotskischen Meer, dem Fanggebiet 61.

Zwischen beiden Fanggebieten verläuft eine wie mit dem Lineal gezogene Grenze. Zur Fangsaison, die jetzt wieder beginnt, könnten sich die russischen und amerikanischen Fischer in der Beringsee zuwinken, so nah seien sie sich manchmal, sagt Frank Temme, Geschäftsführer von Pacific Rim, einem Importeur russischen Fisches. Das tun sie aber wohl eher nicht. Beide Länder feilschen um Margen und Marktanteile in einem Milliardengeschäft.

Die US-Fischlobby agiert sogar in Deutschland gegen den Fisch aus Russland. Sie verbreitet, nur in den USA werde der "echte" Alaska-Seelachs gefangen. Eine Kampagne musste sie wegen Fehlinformationen zurückziehen. Erfolglos versuchte sie zudem zu verhindern, dass dem russischen Fisch das umstrittene MSC-Gütesiegel verliehen wird. Für viele Verbraucher ist das Siegel kaufentscheidend, obwohl sogar einzelne MSC-Mitgründer die Aussagekraft anzweifeln.

Doch die US-Erzeuger lassen nicht locker. Ihnen schadet der seit Jahren niedrige Weltmarktpreis für Alaska-Seelachs. Die Russen profitieren davon, sie können den Fisch günstiger anbieten und investieren massiv in die Modernisierung ihrer Flotten und in neue Landfabriken. Die Amerikaner kontern: Als 2016 in Lüneburg Pickenpack, ein Großbetrieb für Tiefkühlfisch, pleiteging, übernahm ihn der US-Konzern Trident, vor allem auch, um Überkapazitäten vom Markt zu nehmen. Inzwischen ziehen die Preise kräftig an.

Je nachdem, wo der Fisch gefangen wird, nimmt er völlig unterschiedliche Wege. Der amerikanische Fisch wird in der Regel auf dem Weg nach Deutschland nur ein Mal tiefgefroren, der russische zwei Mal. Die US-Fischer verarbeiten und schockfrosten ihn direkt an Bord oder auf den Aleuten, einer Inselkette südlich der Beringsee. Von dort exportieren sie ihn in Blöcken oder zerkleinert als Surimi in die Welt und auch nach Bremerhaven.

Nur wenige Informationen für Verbraucher

Die russischen Fischer hingegen nehmen die Fische auf den Trawlern meist nur aus, schockfrosten sie das erste Mal und verkaufen sie nach China. Die Chinesen tauen die Ware wieder auf, filetieren sie von Hand und frieren sie dann ein zweites Mal ein. 49 Prozent des 2017 nach Deutschland importierten Alaska-Seelachses kam aus China. "Daraus kann man allerdings nicht den Rückschluss ziehen, dass die Hälfte der in Deutschland verzehrten Fischstäbchen aus doppelt gefrorener Ware aus China stammt", sagt Matthias Keller, Geschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Fischindustrie.

Was mit dem doppelt gefrorenen Fisch passiert, kommunizieren hiesige Händler, Verarbeiter und Caterer nicht offen. Iglo behauptet, seit 2015 zumindest in Deutschland nur noch ein Mal gefrorenen Fisch zu vermarkten und verweist auf die Eigenmarken des Einzelhandels. Supermärkte und Discounter stellen die 15-Stück-Packung ihrer Eigenmarken unisono für 1,59 Euro ins Tiefkühlfach. Trotz eines identischen Preises kann sich darin völlig unterschiedlicher Fisch befinden: einfach oder doppelt gefrorener. "Der Konsument weiß nicht, welches Produkt er da kauft", sagt Temme. "Das schlägt sich auch nicht im Preis nieder." Nur Edeka wirbt mit "1 x gefroren". Iglo-Konkurrent Frosta umschreibt das "ein Mal gefroren" auf der Rückseite mit eigenen Worten. Alle anderen Supermärkte, Discounter und Verarbeiter informieren den Verbraucher nicht von sich aus über die Verarbeitung.

Bei der Herkunft ist das anders, aber kaum erhellender. Die Kennzeichnung bei Tiefkühlfisch regelt die EU-Verordnung 1379/2013 nur vage: Genannt werden müssen Produktionsmethode, Fanggebiet und Fanggerätkategorie. Einzelne deutsche Händler und Verarbeiter brüsten sich, freiwillig auf Initiative des Fischverbandes über diese gesetzlichen Anforderungen hinauszugehen und auch die Subregion des Fanggebiets zu nennen. Allerdings tut das jeder nach eigenem Ermessen.

Die Handfiletierung von Fisch zählt in China nicht zu den erstrebenswerten Berufen

Ohnehin wissen die wenigsten Verbraucher, dass sie auf die Lasche an der Seite der Schachtel schauen und nach der Zahl 61 oder 67 suchen müssen, um zu erfahren, wo der Fisch ins Netz ging. Aldi und Rewe geben dort allerdings nicht explizit das Fanggebiet an, sondern lediglich einen Code mit vielen Ziffern. Der Verbraucher muss selber aktiv werden, um herauszufinden, dass der Fisch in den Fischstäbchen von Rewe und Penny auch doppelt gefrorenen sein kann, wie ein Sprecher bestätigt. Bei Lidls Eigenmarke ist er das nach eigener Auskunft ausschließlich.

Ist das überhaupt schlimm? Fachleute sehen keinen signifikanten Qualitätsunterschied, es sei denn, der Fisch wird mehrmals aufgetaut. Das Max-Rubner-Institut, eine Bundesoberbehörde, und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit betonen allerdings, wie wichtig der "Auftau-Zwischenschritt" sei: wie lange der Fisch also Wärme ausgesetzt wird und wie hygienisch es dabei zugeht.

Die Handfiletierung von Fisch zählt Experten zufolge in China nicht zu den erstrebenswerten Berufen. Sie wird von angelernten Landarbeitern erledigt. Weil diese teurer sind als Arbeiter in Indien oder in Vietnam, dringen Händler darauf, die Verarbeitung in diese Länder zu verlagern.

Noch ist der in China verarbeitete Fisch im Großhandel günstiger als einfach gefrorener. Auf wessen Teller endet er? Ein Insider sagt, die Systemgastronomie müsse um jeden Cent feilschen, wahrscheinlich lande ein Teil des Fisches in Kindergärten, Schulen und Kantinen; einen anderen Teil exportierten die deutschen Verarbeiter weiter ins europäische Ausland. Weder die Nordsee-Kette noch Compass, der größte Caterer, reagierten auf Anfragen.

In Osteuropa sind Politiker ohnehin erbost über einen angeblichen "Lebensmittel-Rassismus". Die Verarbeiter haben Größe (9 cm x 2,6 cm x 1,1 cm), Gewicht (30 Gramm) und Fischanteil (65 Prozent) der Fischstäbchen nur für Deutschland und Österreich festgelegt. In Frankreich und Osteuropa darf der Fischanteil demnach auch nur 52 Prozent betragen. Die Osteuropäer meinen hingegen, Fischstäbchen einer Marke müssten immer gleich sein. Die deutsche Fischindustrie hält dagegen, dies sei unmöglich; es gebe allein 38 unterschiedliche Panaden. Derzeit streiten sie sich, wie das Gewicht des Fischanteils am besten zu bemessen wäre. Die Deutschen bevorzugen die "Abkratz-Methode", bei der die Panade entfernt wird, die Osteuropäer den "Codex Alimentarius" und das dort vorgesehene chemische Verfahren.

Der Streit ist nur ein Beispiel für die Kreativität der Industrie. Iglo wirbt mit "gesunden Omega-3 Fischstäbchen". Dabei ist laut fischinfo.de im Alaska-Seelachs kaum Omega-3 enthalten, nur 0,1 Gramm, ein Bruchteil der Menge, die etwa im Hering steckt. Das Omega-3 werde nur durch die "Zugabe von Fischöl generiert", räumt ein Sprecher ein. Ein weiteres Beispiel: Backfisch-Stäbchen. Sie unterscheiden sich nicht nur semantisch von Fischstäbchen. Ihr Fischanteil darf bei nur 42 Prozent liegen, der Rest ist Backteig.

Die China-Stäbchen könnten verschwinden

Den Alaska-Seelachs zeichne aus, sagt Keller, geschmacksneutral, weiß und grätenfrei filetierbar zu sein. "Der Geschmack wird über die Panierung erzeugt." Diese Eigenschaften und die Überfischung des Kabeljau machen den Lachs genannten Pollack zum liebsten Fisch der Deutschen.

Der neueste Trend: aufgetautes Filet. Aldi und Lidl verkaufen Alaska-Seelachs aufgetaut doppelt so teuer wie gefroren. Der eine liegt im Kühlregal, der andere nebenan in der Tiefkühlvitrine, der eine ist laut Aldi und Lidl "single frozen", der andere "double frozen". Der Verbraucher müsste, wenn die Theorie von der fast gleichen Qualität stimmt, den gefrorenen Fisch nur selber auftauen, um Geld zu sparen. Tut er aber nicht. Die Umsätze mit aufgetauten Fisch steigen enorm. Was gegen die These vom preissensiblen Deutschen spricht.

Und die China-Stäbchen? Sie könnten irgendwann ganz verschwinden. Die Russen wollen nämlich zum Ärger der Amerikaner ebenfalls auf "einfach gefrorenen" Fisch umstellen. Der kalte Fischstäbchen-Krieg ist noch lang nicht vorbei.

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