Nahaufnahme:Mission Fahrrad

Nahaufnahme: "Wenn man will, dass die Leute mehr Rad fahren, muss die Politik ihnen den Weg ebnen." Manfred Neun.

"Wenn man will, dass die Leute mehr Rad fahren, muss die Politik ihnen den Weg ebnen." Manfred Neun.

(Foto: DPA)

Manfred Neun will mehr Radfahrer auf die Straßen bringen. Bis 2050 soll sich die Zahl verdreifachen.

Von Silvia Liebrich

80 Tage hat er gebraucht, nicht um die Welt zu umrunden - sondern um der Länge nach durch Europa zu radeln, vom Nordkap bis nach Sizilien. Diese persönliche Bestleistung hat gerade ein Mann aus Norddeutschland aufgestellt. Manfred Neun, 65, bewundert solch hartgesottene Radfahrer, denen selbst widrige Wetter- und Straßenverhältnisse nichts anzuhaben scheinen. Am liebsten wäre der oberste Lobbyist der Radfahrer wohl selbst mitgefahren. Doch dafür ist sein Terminkalender zu voll. Neun ist viel unterwegs, zu seinem Bedauern viel zu selten mit dem Fahrrad. Ein Verkehrsmittel, über das er viel zu erzählen hat, von Berufs wegen sozusagen: Der Mann ist Präsident des Europäischen Radfahrer-Verbandes ECF und zugleich Präsident des Weltverbandes WCA. Zuvor war er mehr als zwei Jahrzehnte Geschäftsführer und Miteigentümer eines mittelständischen Radherstellers in Memmingen.

Seine Mission ist es, Politiker und Städteplaner davon zu überzeugen, all jenen mehr Platz im Straßenverkehr einzuräumen, die das Auto stehen lassen und sich lieber selbst abstrampeln, um vorwärts zu kommen. "Wenn es ums Radfahren geht, sind alle Länder Entwicklungsländer", sagt er. Selbst die vorbildlichen Dänen, die mit Kopenhagen eine Art Welthauptstadt der Radfahrer vorweisen können. Dabei schlummere in dem verkannten Fortbewegungsmittel ein riesiges Potenzial, betont Neun. Das hat er nun sogar schwarz auf weiß. Würde sich der weltweite Radverkehr bis zum Jahr 2050 verdreifachen, ließen sich die Energiekosten im globalen Verkehr um bis zu 24 Billionen Dollar senken. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, die das New Yorker Institute for Transportation & Development Policy und die University of California vorgelegt haben. Sie berücksichtigt auch den wachsenden Anteil von E-Bikes, also Rädern mit Elektroantrieb.

Im globalen Durchschnitt werden derzeit sieben Prozent aller Wege im Alltag mit dem Fahrrad zurückgelegt, der Rest mit dem Auto, öffentlichen Verkehrsmitteln oder zu Fuß. Um die in der Studie genannten Einsparungen zu erreichen, müsste der Radanteil auf insgesamt 23 Prozent steigen. Laut Studie könnte bei dieser Zunahme der Ausstoß von klimaschädlichem CO₂ um elf Prozent reduziert werden. Für Neun sind das durchaus realistische Ziele. In Deutschland liege der Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr derzeit bei zehn Prozent, im Vergleich zu Dänemark mit mehr als 20 Prozent sei das wenig, gemessen an den USA mit nur 1,5 Prozent dagegen viel. Einige deutsche Städte liegen laut Neun deutlich über dem Durchschnitt, etwa München mit etwa 20 Prozent.

Für den früheren Unternehmer, der bereits mit sechs Jahren vom Vater sein erstes Rennrad geschenkt bekam, sind solche Prognosen ein Ansporn. Gewöhnt ist er auch daran, dass manche seiner Ideen belächelt werden. Als er Anfang der Neunzigerjahre für eine Lkw-Maut plädierte, hätten ihn viele für verrückt erklärt, erzählt er. Die Zeit gab ihm recht, 2005 führte Deutschland offiziell eine Straßenbenutzungsgebühr für Lastwagen ein.

Die Widerstände gegen das Verkehrsmittel Rad seien trotz Rad-Boom in Deutschland nach wie vor groß, kritisiert er. "Wenn man will, dass die Leute mehr Rad fahren, muss die Politik ihnen den Weg ebnen", meint Neun. Und damit spielt er nicht nur auf löcherige und mit Autos zugeparkte Radwege an, sondern auch auf Vernetzung mit anderen Verkehrsmitteln. "Wenn ich mit dem Rad zum Bahnhof fahre, dort aber keinen geeigneten Abstellplatz finde, nützt mir das wenig", meint er. Dass heute noch Straßen ohne Radwege gebaut werden, weil Planer das nach wie vor einfach vergessen, ist für ihn ein Unding.

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