Nahaufnahme:"Wie Heroin"

Nahaufnahme: "Und dann wird man in Deutschland wieder Kernkraftwerke bauen." Harald Weber.

"Und dann wird man in Deutschland wieder Kernkraftwerke bauen." Harald Weber.

(Foto: Bonitz)

Warum der Energieexperte Harald Weber an ein Comeback der Kernenergie glaubt - und das auch in Deutschland.

Von Helmut Martin-Jung

Die Welt bei Nacht, zusammengepuzzelt aus Satellitenbildern der Nasa. Dort, wo es hell ist, sitzt der Wohlstand. In Europa, in den USA, in Japan und Südkorea. Die Umrisse Indiens und Chinas kann man immerhin schon erkennen. "Die wollen ins Licht", sagt Harald Weber. Das Licht, es ist aber nur der Indikator dafür, dass der "besondere Saft" in Strömen fließt, wie Weber ihn nennt: elektrische Energie. Die lässt natürlich nicht nur die Lampen leuchten. Das Leben in den Industrieländern hängt daran, und niemand weiß das besser als Weber, Inhaber des Lehrstuhls für Elektrische Energieversorgung an der Universität Rostock.

Elektrische Energie ist für die Menschen ein Stoff geworden, von dem sie nicht mehr loskommen, seit sie von den ersten Dampfmaschinen angefixt wurden. "Die waren wie Heroin", sagt Weber. Und heute? Geht in China jede Woche ein Kohlekraftwerk ans Netz - "das ist die fürchterliche Hypothek des James Watt." Auch der zweite Gigant Indien setzt auf Kohle als Energieträger - mit allen negativen Folgen. "Was wir tun oder lassen, ist dagegen ein Nasenwasser", sagt der gebürtige Schwabe bei den "Münchner Seminaren" von Süddeutscher Zeitung und Ifo-Institut.

Wo aber soll sie herkommen, all die Energie? "Die Reserven sind endlich", egal, ob sie noch 50 Jahre zur Verfügung stehen oder 200. "In 50 Jahren fährt kein Benzin-Auto mehr herum", ist sich Weber sicher - zu teuer. Weil die Welt aber vom Suchtmittel Energie nicht lassen könne, werde sie "mit Erderwärmung und Migration leben müssen". Und sogar "in Deutschland", auch das sagt der 60-Jährige vorher, "wird man wieder Kernkraftwerke bauen".

Kernenergie? In Deutschland? Dem Deutschland, das wegen des Ausstiegs aus der Atomkraft die Energiewende herbeizwingen will? Genau dort. Nichts erbost Weber, den Ingenieur, der jahrelang in der Energiebranche gearbeitet hat, mehr, als Politiker, Windkraft- und Stromtrassengegner, die nicht einmal den Unterschied kennen zwischen den physikalischen Begriffen Arbeit und Leistung.

Denn klar könnten die bereits gebauten Windkrafträder und Fotovoltaik-Anlagen in der Spitze bereits mehr Leistung liefern, als in Deutschland benötigt wird. Aber nicht konstant: "Das Geschiebe mit Sonne und Wind funktioniert nur, weil die Kraftwerke stampfen." Weber zeigt dazu Diagramme, die deutlich machen, wie dramatisch die Situation schon heute ist. Zacken wechseln sich ab mit tiefen Kerben, die gefüllt werden müssen: "Die Kraftwerke müssen rauf und runterfahren wie die Blöden", ihr Verschleiß sei deshalb achtmal so hoch, als wenn sie konstant betrieben würden.

Bloß gut, dass Deutschland keine Insel ist. So wie Irland: Erst Ende vergangenen Jahres schrammte das Land knapp an einem Blackout vorbei. An jenem 26. Dezember sorgte der frische Wind dafür, dass Windkraftanlagen 35 Prozent des Stroms lieferten. Doch dann kam es zu einer Störung und den Windturbinen fehlte das, was auch "den ICE aus dem Hauptbahnhof schiebt": die Schwungmasse. In den konventionellen Kraftwerken gibt es gewaltige Schwungräder. Wird - etwa durch den anfahrenden Zug - eine hohe Leistung abgerufen, werden die zwar etwas langsamer, aber sie bleiben nicht stehen. Die Schwankung wird ausgeglichen.

Auch in Deutschland wäre das schon längst ein Problem, doch bis jetzt funktioniert der europäische Stromverbund. "Wir können uns weiter gut fühlen", sagt Weber mit einigem Sarkasmus, "die anderen halten uns schon fest". Doch immer werde das nicht so weitergehen, der Strompreis schon bald auf 60 Cent pro Kilowattstunde steigen. Man müsse daher auf Wasserstoff setzen und die Forschung für Energiespeicher intensivieren: "Das würde ich Siemens raten."

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