Nahaufnahme:Wassermann in Nöten

Nahaufnahme: „Wir setzen uns zu hundert Prozent dafür ein, Wasserressourcen für die nächsten Generationen zu sichern.“ Maurizio Patarnello

„Wir setzen uns zu hundert Prozent dafür ein, Wasserressourcen für die nächsten Generationen zu sichern.“ Maurizio Patarnello

Der Italiener Maurizio Patarnello muss für Nestlé ein heikles Problem lösen: den Streit um Ausbeutung der Wasserquelle in Vittel.

Von Silvia Liebrich

Maurizio Patarnello hat eine Leidenschaft, zu der er sich offen bekennt, und die heißt Wachstum - in seinem Fall quasi eine berufliche Grundvoraussetzung. Immerhin gilt der gebürtige Italiener als größter Wasserverkäufer der Welt, und er möchte das auch bleiben. Dafür muss der Chef von Nestlé Waters, Tochter des größten Lebensmittelkonzerns der Welt, aber auch viel Kritik aushalten. Wasser ist ein umstrittenes Milliardengeschäft. Nestlé verdient nicht nur mit Edelmarken wie S. Pellegrino oder Perrier viel Geld, sondern auch mit Massenware wie der Marke Pure Life - gereinigtes Grundwasser, das mit Mineralien versetzt wird. Nestlé grabe der lokalen Bevölkerung damit mancherorts das Wasser ab, so der wiederkehrende Vorwurf.

Patarnellos Aufgabe ist es, solche Vorwürfe zu entkräften und Imageschäden abzuwenden. Dass er hart im Nehmen ist, zeigte der 58-Jährige vor Kurzem in den französischen Vogesen, genauer: im Kurort Vittel. Nestlé füllt hier das bekannte Mineralwasser in Plastikflaschen ab und verkauft es weltweit. Doch seit einigen Wochen herrscht Aufruhr in dem beschaulichen Ort mit 5000 Einwohnern. Kritiker werfen dem Konzern vor, die Quelle rücksichtlos auszubeuten. Nun sollen die Bürger auf das Wasser unter ihren Füßen verzichten, damit für das Unternehmen mehr bleibt. Sie sollen stattdessen künftig über eine Wasserleitung versorgt werden, die erst gebaut werden muss, geschätzte Kosten: gut 20 Millionen Euro. Eine ungute Mischung, die nach Ärger klingt.

Um den Schaden für das Unternehmen zu begrenzen, reiste Patarnello Anfang Juni selbst nach Vittel. Er stapfte im Anzug über Wiesen und durch Kuhställe. Er wollte zeigen, dass sich der Konzern um Land und Leute kümmert und hier etwas bewegt. Als Nestlé die Produktion in Vittel in den Neunzigerjahren ganz übernahm, waren die Böden stark mit Nitrat belastet, eine Gefahr für die Wasserqualität. Nestlé entschärfte das Problem mit einer Förderprogramm für eine umweltfreundlichere Landwirtschaft. Doch Patarnello muss nun ein anderes Problem lösen, das der Übernutzung der Quelle. Die Wasserkrise in Vittel sorgt schließlich auch außerhalb des Ortes für Aufsehen. Es ist in der Tat nicht leicht zu erklären, warum ausgerechnet in einer der regenreichsten Regionen Europas das Wasser knapp wird, warum das Reservoir der wichtigsten Quelle seit zwei Jahrzehnten schrumpft.

Patarnello versuchte es trotzdem. Der Manager, der seit 25 Jahren für Nestlé arbeitet, weiß worauf es in solchen Fällen ankommt. Er hat sich hochgearbeitet, war zunächst im arabischen und afrikanischen Raum tätig, erschloss später Märkte in Osteuropa. Zuletzt war er für den russischen Markt verantwortlich, bevor er 2017 an die Spitze von Nestlé Waters rückte. "Wir setzen uns zu hundert Prozent dafür ein, Wasserressourcen für die nächsten Generationen zu sichern", sagte er, "aber allein können wir das Problem in Vittel nicht lösen."

Tatsache ist, dass der Konzern zwar der größte Abnehmer der Tiefenquelle von Vittel ist, aber auch andere Firmen und die Bürger nutzen sie. Seit Jahrzehnten wird mehr abgepumpt, als nachfließen kann. Nestlé habe seine Entnahme bereits um 25 Prozent reduziert, und Patarnello findet, dass das reichen muss. Umweltschützer widersprechen, fordern eine völligen Entnahmestopp. Nestlé setzt auf die geplante Wasserleitung und will sich finanziell beteiligen. Diesen Dienstag sollte ein kommunales Gremium dem Projekt zustimmen. Doch der Entscheid wurde überraschend auf den Herbst vertagt. Eine Rolle dürften dabei auch die Bürgerproteste der vergangenen Wochen gespielt haben, bleibt also Zeit für Patarnello, an seiner Strategie zu feilen. Schließlich lautet sein Credo wachsen, nicht schrumpfen.

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