Nahaufnahme:Unbekannter Börsenstar

Nahaufnahme: "Wir sind nicht an die Börse gegangen, weil wir Geld brauchten. Aber Kunden vertrauen börsennotierten Anbietern mehr." Jeff Lawson.

"Wir sind nicht an die Börse gegangen, weil wir Geld brauchten. Aber Kunden vertrauen börsennotierten Anbietern mehr." Jeff Lawson.

(Foto: Bloomberg)

Die Dienste von Jeff Lawson nutzen fast alle, die ein Smartphone besitzen - ohne es zu wissen. Der Manager ist Gründer und Vorstandschef der Internetfirma Twilio.

Von Björn Finke

Lässig gekleidet mit Jeans und Pullover steht der Chef auf der Bühne, vor sich ein Pult mit einer Tastatur. Er programmiert Computercode. Was er in die Tasten hackt, wird hinter ihm auf einem großen Monitor angezeigt. Das - meist männliche - Publikum in dem Saal in London schaut gespannt zu. Nach fünf Minuten ist Jeff Lawson fertig. Ein Computerspiel startet auf dem Bildschirm, und dank der Anpassungen von Lawson können nun mehrere Zuhörer gleichzeitig daddeln, via Laptop oder Handy. Applaus, Abgang Lawson.

Der Manager ist Gründer und Vorstandschef der Internetfirma Twilio. Das Unternehmen aus San Francisco ging im Juni an die Börse; der Kurs hat sich seitdem vervierfacht. Twilios Anwendungen nutzen fast alle, die ein Smartphone besitzen - ohne es zu wissen. Die Firma mit gut 650 Beschäftigten und 22 Rechenzentren weltweit stellt Software-Entwicklern einen Baukasten für die Kommunikation mit Kunden zur Verfügung. So verwenden die Zimmerbörse Airbnb, der Taxidienst Uber oder die Chat-Plattform Whatsapp Twilio. Das Unternehmen steckt zum Beispiel dahinter, wenn Uber Fahrgästen eine Textnachricht schickt oder diese aus Ubers Handy-Programm heraus den Chauffeur anrufen wollen. BMWs Carsharing-Angebot Drive Now setzt ebenfalls auf Twilio.

Die Kalifornier versprechen, dass Firmen die Anwendungen ganz schnell und einfach in ihre Dienste einbauen können. Lawsons Vorführung auf der Bühne sollte das veranschaulichen. "Bei Entwicklerkonferenzen programmiere ich immer etwas live", sagt der 39-Jährige hinterher bei einem Kaffee. In London kamen 500 Programmierer zusammen, um sich über die Lösungen der Firma zu informieren.

Lawson gründete Twilio 2008; er hält weiterhin Anteile an dem Unternehmen. Diese sind nach dem rasanten Kursanstieg seit Juni eine halbe Milliarde Dollar wert. Der Vater zweier Kinder sagt allerdings, er verschwende daran selten Gedanken: "Ich verfolge nicht täglich den Kursverlauf." Das Unternehmen schreibt noch Verluste, soll jedoch nach Schätzungen von Analysten Ende kommenden Jahres profitabel sein. "Wir sind nicht an die Börse gegangen, weil wir Geld brauchten", sagt Lawson. "Aber Kunden vertrauen börsennotierten Anbietern mehr."

Mehr als eine Million Software-Entwickler sind für Twilios Dienste angemeldet. Sie dürfen Anwendungen der Firma in ihre Programme einbauen. Die Gebühren richten sich danach, wie viele Kunden den Service wirklich nutzen. Tüftler können Twilios Bausteine also unbesorgt für neuartige Handy-Programme verwenden, die am Ende vielleicht fast niemand herunterladen will. Ist das Programm ein Fehlschlag, zahlen die Entwickler kaum etwas an Twilio. "Ohne Experimente gibt es keine Innovationen", sagt Lawson. "Doch Experimente müssen billig sein." Wird ein Programm hingegen ein Hit mit Millionen Nutzern, verdient auch Twilio daran.

Die Firma ist weltweit tätig; die größten Wachstumschancen sieht Lawson in Europa und Asien. In Deutschland bietet Twilio seit 2014 seine Dienste an.

Lawson sammelte schon früh Erfahrungen als Unternehmer. Er wuchs bei Detroit in Michigan auf. Als Schüler drehte er nebenher Videos auf Hochzeiten - gegen Honorar. An der Universität von Michigan studierte er Informatik und gründete dort seine erste Internet-Firma namens Versity. Die vertrieb Mitschriften von Vorlesungen. Lawson verkaufte das Unternehmen an einen Rivalen. Als die Internetblase platzte, ging der allerdings pleite. Danach gehörte Lawson zu den Gründungsteams zweier weiterer Start-ups, und er arbeitete als Manager beim Web-Giganten Amazon, bevor er die Idee zu Twilio hatte. Die Idee hat sich gelohnt.

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