Nahaufnahme:Praktikanten-Opa

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Ein Rentner jobbt beim Pharmakonzern Pfizer und erklärt, was er von seinen jungen Kollegen lernen kann. Am ersten Tag war er aufgeregt wie ein Schuljunge.

Von Kathrin Werner

Im Grunde war er längst in Rente. Paul Critchlow war 69 Jahre alt, schrieb eher unentschlossen an einer Art Autobiografie, sammelte jeden Morgen den Müll vom Straßenrand in seiner Nachbarschaft auf und wartete auf Geschäfts-E-Mails, die niemals kamen. "Irgendwann dachte ich, dass mir das einfach nicht genug ist". Da passte es gut, dass eine Bekannte, die bei Pfizer arbeitet, ihm ein Sommerpraktikum in der Kommunikationsabteilung des Pharmakonzerns anbot. Ein Praktikum mit knapp 70? Genau, sagte sie, wie im Film "Man lernt nie aus" mit Robert De Niro. "Es hat ungefähr eine Nanosekunde gedauert, bis ich zugesagt habe", sagt Critchlow. Mit allen Konsequenzen: dem Stundenlohn von 18,25 Dollar, dem Großraumbüro und einer Gruppe Mitpraktikanten um die 20.

An seinem ersten Praktikumstag im vergangenen Juni war er aufgeregt wie am ersten Schultag, erzählt Critchlow. "Was werden die anderen über mich denken?" Seine Mitpraktikanten waren auch nicht sicher, wie sie mit dem älteren Herrn umgehen sollten, der schon ein ganzes Berufsleben hinter sich hatte, 30 Jahre davon in der Kommunikationsabteilung der Bank Merrill Lynch. "Wir hatten versucht, ihn in sozialen Medien zu stalken, aber er hatte kein Facebook", sagt Sophie Spallas, damals 19 Jahre alt. Critchlow und Spallas sind zur Messe SXSW nach Texas gereist, um zu erzählen, wie es danach weiterging - vielleicht wollen andere die Idee kopieren, schließlich werden die Menschen immer älter. Es wäre doch eine Verschwendung, wenn ihr Wissen nicht genutzt würde.

Critchlow, mit Krawatte, grauen Haaren und Hörgerät, versuchte es an seinem ersten Praktikumstag mit Humor. "Du sitzt auf meinem Platz", sagte er zu einer jungen Co-Praktikantin. Die 20-Jährige sprang auf. "War nur ein Scherz", sagte Critchlow. Alle kicherten. Einer anderen Praktikantin erzählte er, dass er in der Highschool mit ihrer Oma ausgegangen sei. Alle kicherten. "Es dauerte nicht lange, bis sie auch Witze über mich gemacht haben", erzählt er. "Die Popkultur und die Art, wie wir reden, wirkt für andere Generationen sicher manchmal albern", sagt Spallas. All die verschiedenen Smileys in den Smartphone-Nachrichten, der Slang, die Fotos bei Instagram. "Aber mit Paul war es nie komisch, er hat sich wirklich für uns interessiert."

Schon bald fragten seine Mitpraktikanten Dinge, die sie schon immer wissen wollten. Zum Beispiel: Wie war es im Vietnam-Krieg? - Critchlow ist Veteran. Auch ältere Pfizer-Mitarbeiter fragten ihn um Rat. "Ich habe gemerkt, dass ich noch eine Menge zu geben habe", sagt er. Er arbeitete an Artikeln übers Älterwerden für Pfizers Website, aber vor allem bestand sein Praktikum daraus, Mentor zu sein, merkte er schnell. Seine Frau witzelte, er würde zu einer Art Miet-Opa. Je mehr Alt und Jung miteinander sprachen, desto mehr merkten sie, dass sie mehr miteinander verbindet, als sie dachten. "Am Ende des Sommers hat es sich angefühlt, als wäre da gar kein Altersunterschied", sagt Critchlow.

Seine 50 Jahre jüngeren Kollegen erklärten ihm, wie man sich bei Facebook anmeldet. "Ich dachte, ich mache Fehler, dann sehe ich dämlich aus". Und er hat verstanden, wie junge Leute ticken. "Die Millennials interessieren sich sehr für alles, was einem guten Zweck dient", sagt er. "Sie haben mich auf viele Ideen gebracht." Die Jüngeren haben auch von ihm gelernt: Höflichkeit, sagt Spallas. "Er ist immer aufgestanden und hat Leuten die Hand gegeben." Und eine gewisse Altersweisheit. "Wir jungen Leute sind immer so fokussiert auf den nächsten Karriereschritt", sagt sie. Dabei komme es gar nicht auf kurzfristigen Erfolg an, sondern auf persönliche Erfüllung: "Paul hat immer gesagt, dass auch die Fehler, die man macht, einen zu einem selbst machen."

© SZ vom 14.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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