Nahaufnahme:Plötzlich chancenlos

Nahaufnahme: "Es war schwer auszuhalten, nur zuschauen zu können, während eine so wichtige Entscheidung für das eigene Leben gefällt wird." Stephen Clark.

"Es war schwer auszuhalten, nur zuschauen zu können, während eine so wichtige Entscheidung für das eigene Leben gefällt wird." Stephen Clark.

Britische EU-Beamte wie Stephen Clark hadern mit dem Brexit. Seit mehr als 25 Jahren arbeitet er für die EU. Zurück nach Großbritannien? Für ihn ist das keine Alternative.

Von Sebastian Jannasch

Es war wie in einem schlechten Traum. Obwohl Stephen Clark das Unglück näherkommen sah, war er zum Nichtstun verdammt. Seit mehr als 25 Jahren arbeitet der Brite für die EU in Brüssel. Doch weil Clark schon so lange nicht mehr in seinem Heimatland wohnt, hatte er auch kein Wahlrecht bei der Brexit-Abstimmung. "Es war schwer auszuhalten, nur zuschauen zu können, während eine so wichtige Entscheidung für das eigene Leben gefällt wird", sagt der 53-Jährige, der die Abteilung für Bürgerbeziehungen im Europaparlament leitet. Es ist aber nicht nur die Enttäuschung, die dem überzeugten Europäer zu schaffen macht.

Clark ist einer von mehr als 1500 britischen EU-Mitarbeitern, die der Brexit den Job kosten könnte. Denn wer EU-Beamter werden will, muss die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedslandes nachweisen. Im schlimmsten Fall, fürchtet die Gewerkschaft der EU-Mitarbeiter, könnten nach dem Brexit alle Briten aus dem Unionsdienst entlassen werden.

"Viele Kollegen sind verunsichert", sagt Stephen Clark. Er selbst ist überzeugt, dass eine Lösung im Sinne der britischen Beamten gefunden wird. Schließlich hatten auch die Spitzen der EU-Institutionen nach dem Referendum versprochen, ihre Mitarbeiter aus Großbritannien zu schützen. Eine spitzfindige Auslegung der Regeln könnte einen Ausweg bieten. "Man braucht zwar die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedsstaates, um eingestellt zu werden", sagt Clark. "Doch wenn man einmal drin ist, ist man Unionsbeamter und nicht mehr dem Herkunftsland verpflichtet."

Ob sich diese Sicht durchsetzt, ist offen. Eine Rolle dabei dürfte auch spielen, ob Großbritannien bereit ist, Pensionskosten und übergangsweise Gehälter weiter mitzutragen. Doch selbst wenn die britischen Beamten bleiben dürfen, befürchten viele das Ende ihrer Karriere. Schließlich haben die Beamten aus dem Königreich bald keinen Staat mehr, der im Hintergrund dafür werben könnte, Landsleute auf einflussreiche Führungspositionen zu hieven. Hinzu kommen politische Animositäten. "Ich fürchte, dass mancher es künftig fragwürdig finden könnte, dass ein wichtiges Politikfeld maßgeblich von einem Briten verantwortet wird, zum Beispiel bei der Bankenregulierung", sagt Clark, der die Position eines Direktors innehat und ziemlich hoch auf der Karriereleiter geklettert ist.

Clark hat sich mit anderen leitenden britischen Beamten vernetzt, um bei den Institutionsspitzen dafür zu werben, dass auch jüngere Kollegen künftig nicht benachteiligt werden. Vor allem aber organisieren sie Treffen, um verunsicherten Kollegen soweit wie möglich Auskunft zum aktuellen Stand zu geben. In den Gesprächen hat sich gezeigt, dass immer mehr Beamte versuchen, sich eine andere Staatsbürgerschaft zu beschaffen. Auch Clark überlegt, seine Frau ist Italienerin. Er könnte die italienische Staatsbürgerschaft beantragen, um sich auch künftig frei in der EU bewegen zu können. Für viele seiner Kollegen liegt es nahe, Belgier zu werden. Doch das ist nicht so einfach. Für EU-Beamte gilt ein Sonderstatus, sie müssen sich nicht regulär in Belgien anmelden. Obwohl manche Briten seit Jahrzehnten in Brüssel leben, erkennen einige belgische Gemeinden den Wohnsitz nicht an, sodass ein Antrag auf Staatsbürgerschaft aussichtslos wäre.

Der für den Besucherdienst im Parlament verantwortliche Stephen Clark hat festgestellt, dass seit dem Referendum mehr Briten kommen, die sich für die Arbeit der EU interessieren. "Viele stellen dann fest, dass hier gar keine gesichtslosen Bürokraten-Maschinen arbeiten." Manchem werde erst jetzt klar, welche Vorteile ein offenes Europa bietet. "Ich wünschte, das wäre früher passiert."

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