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Nahaufnahme: "Den Homo oeconomicus habe ich noch nicht getroffen. Ich wüsste auch nicht, wo ich nach ihm suchen sollte." Vernon L. Smith.

"Den Homo oeconomicus habe ich noch nicht getroffen. Ich wüsste auch nicht, wo ich nach ihm suchen sollte." Vernon L. Smith.

Vernon L. Smith, Erfinder der experimentellen Wirtschaftsforschung, wird bald 90 - und ist nach gut 60 Jahren als Wissenschaftler kein bisschen müde.

Von Jan Willmroth

Ein Freitagabend im Herbst, draußen Dämmerung, drinnen Neonlicht, Vernon L. Smith hat sich in die erste Reihe des nicht mehr ganz frischen Hörsaals an der TU München gesetzt. Er sieht kein bisschen nach den 89 Jahren aus, die er schon hinter sich hat. Von denen er einen Großteil mit dem Forschen und Lehren zubrachte, in denen er ein ganzes Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften prägte. Grußworte, wie schön, dass Sie uns beehren, Herr Smith. Er schreitet zum Pult, der schwarze Anzug sehr amerikanisch mit sehr weit geschnittener Bundfaltenhose, gleich wird er über Adam Smith sprechen, den Ökonomen-Übervater, mit dem er nicht nur den Nachnamen teilt.

Vernon Smith hört nicht mehr so gut, er wechselt Fern- und Lesebrille ab und blinzelt angestrengt. Aber fertig, das zeigen nicht zuletzt seine aktuellen Papiere, ist er als Forscher noch lange nicht.

Um diesen Menschen zu verstehen, muss man wissen, dass Ökonomen längst mit mehr als nur mit Funktionen, Daten und Gleichgewichtstheorien zu tun haben; heute gehen Ökonomen auch ins Labor. Laden sich Probanden ein, testen deren Verhalten, weisen zum Beispiel nach, warum Menschen mal mehr und mal weniger fair sind. Oder sie zeigen, wie einst Smith, dass sich Menschen beim Aktienkauf überschätzen. Auch dank der experimentellen Ökonomik ist der stets rational handelnde Homo oeconomicus nur noch ein Konzept. Der Forschungszweig gehört heute selbstverständlich zum Repertoire jeder gut sortierten Wirtschaftsfakultät.

So wie Adam Smith als Vater der Ökonomik gilt, ist Vernon L. Smith einer der Erfinder der experimentellen Wirtschaftsforschung. Seine Experimente zur Erforschung von Wettbewerbsmärkten machten ihn weltberühmt; er entwickelte schon früh Methoden, die bis heute zu den Grundlagen der experimentellen Ökonomik gehören. Früh heißt in dem Fall: von Mitte der Fünfzigerjahre an, als Experimente in den Wirtschaftswissenschaften noch belächelt und als unseriös abgetan wurden. Smith hielt durch, jahrzehntelang rüttelte er am Fundament seiner Wissenschaft, im Jahr 2002 erhielt er für seine Pionierarbeit den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften, den er sich mit dem deutlich berühmteren Psychologen Daniel Kahneman teilte. "Den Homo oeconomicus habe ich noch nicht getroffen", sagte Smith damals, "ich wüsste auch nicht, wo ich nach ihm suchen sollte."

Gute 14 Jahre später in dem Münchener Hörsaal, eingeladen vom Lehrstuhl für Wirtschaftsethik, Smith freut sich: Es sei immer toll, wenn er über Wirtschaftsethik sprechen dürfe, denn dann könne er über Adam Smith reden. Dessen "Theorie der ethischen Gefühle" galt dem Ur-Ökonomen als sein wichtigstes Werk, auch wenn "Wohlstand der Nationen" bekannter ist. Adam Smith war nämlich, auch das wird gern übersehen, in erster Linie Moralphilosoph und setzte sich damit auseinander, wie und warum Menschen Mitgefühl füreinander empfinden und wie soziale Normen entstehen. Vernon Smith spricht über Ergebnisse recht simpler Experimente, mit denen er Mitgefühl und Eigennutz untersucht hat, und sagt: "Adam Smith hatte diese Ergebnisse schon viel besser beschrieben als so manche zeitgenössische Autoren."

Wenn er nicht gerade experimentierte, äußerte sich Vernon Smith politisch. Er hört nicht auf zu kritisieren, dass in der Finanzkrise Banken mit Steuergeld gerettet wurden, in jungen Jahren war er Sozialist, bis er lernte, wie effektiv Märkte sein können. Noch vor wenigen Jahren galt er als derjenige unter Amerikas Ökonomen, der am fleißigsten Petitionen unterschrieb. Von diesem Mann wird man wohl noch eine Weile hören.

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