Nahaufnahme:Jetzt sollen Menschen ran

Nahaufnahme: "Wir werden nie in der Lage sein, uns alles anzuschauen." Mark Zuckerberg

"Wir werden nie in der Lage sein, uns alles anzuschauen." Mark Zuckerberg

(Foto: dpa)

Die Algorithmen packen es nicht: Facebook-Chef Zuckerberg muss gegen Gewaltvideos vorgehen.

Von Kathrin Werner

Mark Zuckerberg widmete dem Mord 38 Sekunden. Genauso lange sprach der Facebook-Chef kürzlich auf einer Entwicklerkonferenz über die jüngste Gräueltat, eine von vielen, bei denen sich Täter live auf dem Netzwerk zuschauen ließen. "Wir haben viel Arbeit vor uns und werden weiter alles tun, um solche Tragödien zu verhindern", sagte er, hielt kurz inne und wechselte dann schnell zu seinen Lieblingsthemen: Virtual Reality, Werbung und so weiter. Zuckerberg sieht das von ihm während seiner Uni-Zeit erfundene Netzwerk eigentlich nur als Technikanbieter. Für die Inhalte sei Facebook nicht verantwortlich. "Wir sind kein Medienunternehmen", wiederholte er jahrelang.

Seit einiger Zeit können Nutzer von ihren Smartphones Videos live auf Facebook fließen lassen. So verschafft das Netzwerk nicht nur Babylachen ein Weltpublikum, sondern zunehmend auch menschlichen Abgründen. Am Ostersonntag erschoss in der US-Stadt Cleveland ein Mann vor laufender Kamera einen willkürlich ausgewählten älteren Herrn auf der Straße. Kurz darauf konnte ganz Facebook zusehen, wie ein Mann in Thailand erst seine elf Monate alte Tochter und dann sich selbst tötete. "Das bricht einem das Herz", sagte Zuckerberg. Die Videos waren etwa 24 Stunden online, mehr als 400 000 Menschen sahen sie. Je mehr Publikum die Täter bekommen, desto höher ist die Gefahr von Trittbrettfahrern. Zuckerberg verkündete nun, dass er 3000 weitere Menschen anheuern will, um Beiträge zu durchsuchen. Andere Nutzer sollen Gräuelvideos zudem leichter melden können.

Für Zuckerberg ist das ein großer Schritt. Er glaubt sonst quasireligiös daran, dass Technik alles alleine lösen kann. Der 32-Jährige hat gemeinsam mit seiner Frau Priscilla Chan verkündet, fast all sein Vermögen von derzeit 63,4 Milliarden Dollar zu spenden - zum Großteil an die Chan Zuckerberg Initiative, die mit Erfindungen Weltprobleme beseitigen will. Doch nun hat Zuckerberg gemerkt, dass es Dinge gibt, die Menschen besser können als Maschinen. Ein Algorithmus hat Schwierigkeiten, zwischen der Brust einer stillenden Mutter und einem pornografischen Busen zu unterscheiden. Oder zwischen einem Video, das Polizeigewalt dokumentiert, und einem, das Gewalttaten verherrlicht. Auch bei Fake News, die gezielt in die Irre führen, ist die Technik überfordert. Es ist jedoch nicht ganz klar, wie viel es bewirkt, wenn statt 4500 nun 7500 Menschen die Millionen und Abermillionen Facebook-Einträge durchforsten. "Wir werden nie in der Lage sein, uns alles anzuschauen, egal, wie viele Menschen wir in dem Team haben", sagte Zuckerberg in einem Telefonat mit Investoren. Er ergänzte typisch technikgläubig, dass künstliche Intelligenz besser werde und das Überwachungsteam mehr und mehr unterstützen könne.

Als Unternehmen ist Facebook so erfolgreich wie nie zuvor. Mehr als 1,9 Milliarden Menschen sind in dem sozialen Netzwerk aktiv. Der Umsatz stieg im jüngsten Quartal um 49 Prozent, der Gewinn sogar noch rasanter auf 3,1 Milliarden Dollar. Um Nutzer nicht zu verschrecken und keine Werbekunden zu verlieren, muss Zuckerberg Facebook vor Missbrauch schützen. "Da wir eine sichere Gemeinschaft aufbauen wollen, müssen wir schnell reagieren", sagte er. Wie genau das funktionieren soll, verriet er nicht. Die Menschen, die für Facebook die Live-Videos und andere Einträge durchforsten, sind meist Billiglöhner aus dem Ausland. Es ist ein harter Job, sich tagaus, tagein mit Perversität und Gewalt zu konfrontieren. Die Mitarbeiter haben nur wenige Sekunden Zeit pro Video. Oft halten sie die Standards, nach denen sie die Inhalte filtern sollen, nicht zuverlässig ein. Kritisiert wird auch, dass die Standards nicht transparent sind.

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