Nahaufnahme I:Der zweite Mann

Nahaufnahme I: "Wenn ich EZB-Vizechef werde, dann nicht wegen meiner Verdienste, sondern wegen Verhandlungen zwischen den Regierungen." Vítor Constâncio

"Wenn ich EZB-Vizechef werde, dann nicht wegen meiner Verdienste, sondern wegen Verhandlungen zwischen den Regierungen." Vítor Constâncio

(Foto: Reuters)

EZB-Vize Constâncio tritt zwar bescheiden und ohne Dünkel auf, aber konfliktscheu ist der Portugiese nicht.

Von Markus Zydra

Natürlich steht der Chef Mario Draghi auf den Pressekonferenzen der Europäischen Zentralbank (EZB) stets im Mittelpunkt. Dennoch lohnt es sich bei diesen Gelegenheiten mitunter, das Augenmerk auf dessen Vize Vítor Constâncio, 72, zu richten. Bei mancher Frage, die da gerade gestellt wird, rumort es sichtlich in dem stets freundlich dreinschauenden Mann. Mal schüttelt er streng, mal belustigt den Kopf, wenn ihm der Tenor der Frage völlig absurd erscheint. Manchmal nickt er auch anerkennend, wenn er das journalistische Begehr für durchdacht hält. Der Gesichtsausdruck des Portugiesen nimmt in diesen Momenten die Antwort des stets beherrscht auftretenden Präsidenten Draghi oft schon vorweg.

Vítor Manuel Ribeiro Constâncio gibt seit 2010 den zweiten Mann in der EZB-Hierarchie. Er tritt ohne Dünkel auf. Gleichzeitig ist der frühere Sozialist alles andere als meinungsschwach oder konfliktscheu. Im Gegenteil. Zurzeit etwa kabbelt sich der Portugiese öffentlich mit der Chefin der EZB-Bankenaufsicht, Danièle Nouy.

Die Französin hatte vor einigen Monaten eine Obergrenze vorgeschlagen, nach der Europas Banken den Staaten künftig nur noch Kredite in Höhe von maximal 25 Prozent ihres Eigenkapitals vergeben dürfen. "Meiner persönlichen Ansicht nach leidet diese Ausrichtung unter erheblichen Defekten", retournierte Constâncio in London. Er befürchtet, dass dadurch auf die EU-Banken ein Kapitalbedarf von mehr als sechs Billionen Euro zukomme. Alternativ müssten sie sich von Wertpapieren im Volumen von mehr als 1,6 Billionen Euro trennen. Das, so Constâncio, zeige das mögliche Ausmaß der Verwerfungen an den Märkten, wenn eine derartige Regel eingeführt werden würde.

Als Alternative brachte der EZB-Vize eine Regulierung ins Spiel, bei der die Ausfallrisiken der Staatsanleihen berücksichtigt werden. Eine Bundesanleihe weist da beispielsweise geringere Risiken auf als ein portugiesischer Schuldschein.

Constâncio studierte Wirtschaftswissenschaft in Lissabon. Von 1986 bis 1989 war er Generalsekretär der Sozialisten. In seine Amtszeit als Chef der Zentralbank Portugals fiel der Aufschwung des Landes und die Krise ab 2008. Politiker haben ihm damals vorgeworfen, bei der Bankenaufsicht gravierende Fehler gemacht und die Schieflage zweier portugiesischer Institute viel zu lange ignoriert zu haben.

Die aktuelle Debatte um die Staatsanleihen ist kompliziert und relevant. Europas Banken haben ihren Regierungen mitunter gefährlich viel Geld geliehen. Kommt der Staat in die finanzielle Bredouille, zieht das die Institute mit in den Abgrund, weil deren Bilanzen voll sind mit diesen Wertpapieren. Das hat man zuletzt in Griechenland erlebt. Aufseher in aller Welt möchten diesen gefährlichen Teufelskreis brechen. Auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat sich für eine Begrenzung ausgesprochen. Doch viele Regierungen haben daran kein Interesse, weil sich dadurch ihre Kreditkosten erhöhen könnten.

Der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, wo die globale Regulierung konzipiert wird, entwickelt derzeit Ideen zur einvernehmlichen Umsetzung. Staatsanleihen werden in den Bankbilanzen bislang als risikofrei und damit ausfallsicher bewertet. Banken müssen daher für solche Schuldscheine keinen Verlustpuffer hinterlegen. Auch gibt es bislang keine Obergrenzen, wie viel Kredit ein Geldhaus einem Land gewähren darf.

Constâncio hat durchaus Einfluss in der Debatte, auch weil ihm der Charakterzug der Selbstüberschätzung fremd ist. Wenn er EZB-Vizechef werde, so sagte er 2010, dann "nicht wegen meiner Verdienste, sondern wegen Verhandlungen zwischen den Regierungen."

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