Nahaufnahme:Herr der Stupser

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"Die Bürger müssen wissen, dass die Regierung ihr Verhalten mit Stupsern beeinflusst", sagt Stups-Experte David Halpern. (Foto: AFP)

David Halpern erklärt Regierungen, wie ihre Bürger ticken. Um sie in die gewünschte Richtung zu lenken, braucht es manchmal nur kleine Anpassungen.

Von Björn Finke

Der zuständige Minister war skeptisch: Was kann eine Änderung der Gesprächsführung im Arbeitsamt schon groß bringen? Die Berater sollten die Arbeitsuchenden nicht mehr fragen, ob diese in den vergangenen Wochen schön brav nach Jobs geschaut und Bewerbungen geschrieben haben. Stattdessen sollten sie mit den Arbeitslosen exakt besprechen, wie diese in den kommenden Wochen auf Stellenjagd gehen. An welchen Tagen sie wo suchen werden. Wann genau sie sich Zeit nehmen werden für das Verfassen der Bewerbungen. "Die Ergebnisse haben die Zweifler überzeugt", sagt David Halpern. Jene Arbeitslosen, die in den Genuss des neuen Ansatzes kamen, fanden deutlich schneller eine Anstellung als die anderen Jobsucher.

Halpern ist Geschäftsführer des Behavioural Insights Teams in London. Die Beratungsgesellschaft mit inzwischen 50 Beschäftigten unterstützt Regierungen, Kommunen und Stiftungen weltweit. Die Fachleute nutzen Erkenntnisse aus der Psychologie und Verhaltensforschung, um die Arbeit von Behörden und die Wirksamkeit von politischen Initiativen zu verbessern. Seine Ideen testet das Team oft erst mit Experimenten: So wurde die neue Art der Gesprächsführung zunächst in einer einzigen Arbeitsagentur in England ausprobiert. Und im nächsten Schritt dann in der kompletten Grafschaft Essex. Weil die Resultate erfreulich waren, stellte die Regierung danach alle Arbeitsagenturen des Landes auf das System um.

Verhaltensforschung ist bei Regierungen gerade sehr angesagt. Es geht darum, mit kleinen Änderungen in Formularen und bei Abläufen in der Verwaltung den Bürgern einen Stups in die richtige Richtung zu geben. Sie sollen nicht mit schärferen Gesetzen bevormundet werden, sondern sich dank des diskreten Stupsers von sich aus für die gewünschten Handlungen entscheiden. Also etwa genug Zeit fürs Schreiben von Bewerbungen einplanen. Ein Stupser ist auf Englisch ein Nudge, weswegen der Ansatz Nudging heißt. Deutschland setzt ebenfalls auf Stupser; das Kanzleramt hat nun eine eigene Abteilung aufgebaut, die sich diesen Fragen widmet.

Sozialpsychologe Halpern ist so etwas wie der Ober-Stupser in Europa, denn sein Team wurde bereits 2010 gegründet: damals noch als Einheit im Büro des Premierministers David Cameron. Da auch viele Kommunen und ausländische Regierungen den Rat der "Nudge Unit" - so ihr Spitzname - suchten, wurde die Abteilung im vergangenen Jahr kurzerhand privatisiert und kann jetzt weltweit Kunden bedienen. Mitarbeiter des Bundeskanzleramts kamen zur Vorbereitung in London vorbei und schauten sich an, wie Halpern und seine Mannschaft vorgehen. Der 48-Jährige traf Angela Merkel bei einer Konferenz in Berlin zu dem Thema. "Eine sehr beeindruckende Frau", findet der Brite.

Halpern fing 2001 als Berater im Büro des Premiers an, der damals noch Tony Blair hieß. Zuvor war er Dozent an der Universität Cambridge gewesen und hatte in Oxford und Harvard geforscht. "Ich wollte nur 18 Monate in der Regierung bleiben", sagt er. Es kam anders. Als dann 2010 die Konservativen und Liberaldemokraten die Macht übernahmen, einigten die sich im Koalitionsvertrag darauf, eine Nudge Unit zu gründen. Halpern baute sie auf, anfangs hatte sie nur sieben Mitarbeiter.

Kritiker halten Nudging für dubios; ihnen behagt es gar nicht, dass Regierungen ihre Bürger mit Psycho-Tricks zu lenken versuchen. Halpern versteht diese Skepsis. Um Zweifel auszuräumen, helfe Transparenz, sagt er: "Regierungen müssen bei dem Thema offen sein. Die Bürger müssen wissen, dass die Regierung ihr Verhalten mit Stupsern beeinflusst."

Natürlich. Es ist ja auch alles nur zu ihrem Besten.

© SZ vom 09.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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