Nahaufnahme:Frau für alle Lebenslagen

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"Wir werden offene Wohnformen entwickeln, die Altern wie im Silo verhindern." Sophie Boissard. (Foto: Pierre Chiquelin)

Die Bahnexpertin Sophie Boissard führt jetzt Europas größten Pflegebetrieb Korian. Das französische Unternehmen ist auch in Deutschland Marktführer.

Von Leo Klimm

Was haben Frankreichs Staatsbahn und Europas größter Betreiber von Seniorenheimen gemein? "Sehr viel!", sagt Sophie Boissard. Jedenfalls dann, so Boissard, wenn man Unternehmen nicht nach Branchen sortiert, sondern danach, was sie tun: "Beide müssen den Alltag der Menschen erleichtern." Sei es den Alltag von Millionen Reisenden oder den Alltag pflegebedürftiger Menschen - und deren Angehöriger.

An diesem Dienstag wechselt Boissard, 45 Jahre, bisher Vorstand beim Bahnbetreiber SNCF, an die Spitze des Konzerns Korian, der mit der Filiale Curanum und nach dem Kauf des Rivalen Casa Reha Anfang Januar auch in Deutschland Marktführer bei Pflegeheimen ist. Der selbsternannte "Spezialist für glückliches Altern" betreut mit 45 000 Mitarbeitern 70 000 Patienten und erlöst dabei 2,8 Milliarden Euro. Tendenz stark steigend. Boissard soll sicherstellen, dass es so weitergeht.

Schaffen will sie das nicht mit der Fokussierung auf Zahlen, sondern vor allem mit einem empirischen Ansatz. "Ich lasse mich als Managerin auch von persönlichen Lebenserfahrungen leiten", sagt Boissard. So sorgte sie bei SNCF dafür, dass in Bahnhöfen Krippen für die Kinder gestresster Pendler eingerichtet wurden. Und bei Korian wird sie öfter an ihre eigene Großmutter denken, die seit Kurzem in einem Heim untergebracht ist. In beiden Jobs versteht sich Boissard als eine Art Abschnittsgefährtin im Leben des modernen Menschen.

Boissard selbst entspricht auf fast schon klischeehafte Weise dem Bild der charmanten französischen Superfrau: Die gelernte Juristin und Absolventin der Pariser Elite-Uni ENA hat neben ihrer steilen Karriere vier Kinder bekommen, die heute zwischen acht und 19 Jahre alt sind. Erst war Boissard als Richterin tätig, später arbeitete sie im Stab konservativer Politiker wie Frankreichs Ex-Premier François Fillon und der damaligen Finanzministerin Christine Lagarde. Nach dem Wechsel zu SNCF kümmerte sie sich um Regulierungsfragen, um die Strategie und um die Immobilien des Konzerns. Ob Boissard auch Chancen auf den höchsten Posten bei SNCF gehabt hätte, ist fraglich angesichts der starken Politisierung von SNCF und des Umstands, dass der jetzige Amtsinhaber fest im Chefsessel sitzt. Dafür wurde Boissard in den vergangenen Jahren immer wieder als Lenkerin von Pariser Multimilliardenkonzernen gehandelt. Entschieden hat sie sich dann für Korian - ein vergleichsweise unbekanntes Unternehmen.

Wobei Korian noch stark zulegen dürfte. Immer mehr Menschen in Europa können nicht von Angehörigen gepflegt werden. Das lässt das Geschäft mit dem Altwerden boomen - ändert allerdings nichts an seinem schlechten Image. Regelmäßig kommt die Branche wegen Niedriglöhnen oder Hygienemängeln ins Gerede. Auch die Einsamkeit alter Menschen in Heimen macht vielen Angst. "Ich bin mir der Imagefragen der Branche in Deutschland bewusst", sagt Boissard. "Wir werden zunehmend offene Wohnformen entwickeln, die Altern wie im Silo verhindern. Die Digitalisierung und das Internet der Dinge bieten da noch viele ungenutzte Chancen." Boissard muss allerdings nicht nur für glückliches Altern sorgen, sondern auch für glückliche Aktionäre: Korian ist börsennotiert und damit dem Druck der Finanzmärkte unmittelbar ausgesetzt.

Boissard reizt die Aufgabe trotzdem - nicht zuletzt, weil Korian in Deutschland so stark ist. Boissard hat auch eine deutsche Seite: Sie spricht die Sprache fließend, ihre Mutter ist Deutsche. Sie selbst verbrachte ihre Kindheit grenznah im Elsass. "Die deutsche Dimension in dem neuen Job ist mir sehr wichtig." Die Dimension kommt auch schon gleich zum Tragen: Mit einem Besuch in München und Frankfurt diese Woche.

© SZ vom 26.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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