Nahaufnahme:Ehemals reiche Stadt muss sparen lernen

Nahaufnahme: "Wir sind immer oben geschwommen, mussten uns nie Gedanken machen, wie wir unsere Stadt finanzieren. Das hat sich geändert." Jürgen Kaufmann.

"Wir sind immer oben geschwommen, mussten uns nie Gedanken machen, wie wir unsere Stadt finanzieren. Das hat sich geändert." Jürgen Kaufmann.

(Foto: privat)
  • In Neckarsulm unterhält der Autohersteller Audi eines seiner großen Werke - und bisher hat die Kommune davon profitziert.
  • In der VW-Krise leidet nun aber auch die Stadt, weil die Steuereinnahmen nicht mehr so wie früher sprudeln.
  • Wie Stadtkämmerer Jürgen Kaufmann geht es auch Kollegen in anderen Gemeinden mit starker VW-Präsenz.

Von Max Hägler

Dieser Samstag vor einem Jahr ist Jürgen Kaufmann, 54, noch gut in Erinnerung. Am 19. September 2015 räumte Volkswagen erstmals ein: Wir haben Abgaswerte bei Dieselautos manipuliert! Umweltaktivisten und Aktionäre zürnten. Aber auch Kaufmann, der Diplomverwaltungswirt aus Neckarsulm, wurde unruhig. "Ich fragte mich: Was passiert jetzt mit uns?"

Kaufmanns Arbeitsplatz, ja seine Heimat, sind eng verbunden mit diesem Großunternehmen. Kaufmann ist - passender Familienname - Stadt-Kämmerer in Neckarsulm. Die kleine Stadt mit 26 000 Einwohnern ist Standort eines der wichtigsten Werke der VW-Tochter Audi, hier rollen die Modelle A6 und A8 vom Band. Es gilt: Ist Audi oder gar der VW-Konzern in der Krise, dann ist die Kommune in der Krise.

Bisher erhielt die Kommune Millionen an Steuern aus Wolfsburg

Dann sind Dutzende Kommunen in der Krise: VW bündelt die Umsätze und Erträge aller Konzerntöchter in Wolfsburg und verteilt darauf aufbauend Steuern an den Staat und die vielen Standortgemeinden. Im Jahr 2014 waren das im In- und Ausland mehr als 3,5 Milliarden Euro. Die Zahlungen werden dabei entsprechend der Mitarbeiterstärke aufgeteilt. 16 500 Menschen schaffen im Audi-Werk Neckarsulm. Das bedeutet viel Gewerbesteuer, meist ist es ein zweistelliger Millionenbetrag. Darauf bauten Kaufmann und der Gemeinderat bislang.

Doch nach dem Septembertag war rasch klar: diesmal wird es eng. "Wir setzten die Bremse bei der gerade laufenden Haushaltsaufstellung und warteten ab, was der Vorstand und die VW-Steuerabteilung in Wolfsburg mitteilen." Bald wurde das Ausmaß der Krise deutlich, der Gewinneinbruch, die Rückstellungen. Nur Steuerkrümel gibt es derzeit. Eine ungewohnte Situation.

Zwar schwankten die Gewerbesteuereinnahmen oft erheblich, aber unterm Strich lebten sie in Neckarsulm herausragend gut. "Kleinkrämerei kannten wir nicht", beschreibt Kaufmann und klingt für einen Moment beinahe verwundert. Hier fährt man Audi A8, woanders VW, sagen sie und so selbstbewusst gestalteten sie auch ihren Ort. Es gibt eine Volkshochschule, eine Musikschule und ein großes Spaßbad. Mehr als 70 Millionen Euro kostet der Betrieb der Stadt derzeit, das war bezahlbar, kamen doch oft über 100 Millionen Steuern ins Säckle.

Das ist jetzt vorbei: Mit 14 Millionen Einkommensteuer und 52 Millionen Euro Gewerbesteuer rechnet Kaufmann dieses Jahr. Und die Einnahmen dürften weiter sinken, wenn die Schwarz-Gruppe, Eigentümer der Lidl-Märkte, wie angekündigt mit einem Teil ihrer Verwaltung aus Neckarsulm wegzieht.

"Downsizing ist angesagt", sagt Kaufmann - alles eine Nummer kleiner

Und nun? Das wird Kaufmann jetzt öfter auf der Straße gefragt: "Bei den Bürgern ist die VW-Krise natürlich Thema." Die früher gern präsentierten Kunstobjekte im Verkehrskreisel werden in Frage gestellt, Sorgen über steigende Gebühren werden laut. Umdenken sei angesagt, die Konzentration auf die Pflicht und weniger auf die Kür, antwortet der Beamte dann und spricht davon, dass man eben von einem großartigen Niveau komme: Ein Kindergartenplatz kostete bisher 99 Euro pro Monat. Das ist nun nicht mehr zu halten, aber der Monatspreis wird weiter unter dem Landesrichtsatz von 241 Euro liegen. "Downsizing ist angesagt", alles also eine Nummer kleiner. Etwa beim Spaßbad Aquatoll, das sie sich aber nur leisten konnten, weil so lange alles so super war. Es ist alles eine Sache der Perspektive.

Und manchmal erinnert er zur Beruhigung auch an früher, an das Jahr 1975, als VW auch mal in der Bredouille war, sich in Zeiten der Ölkrise kaum Autos verkaufen ließen. Damals sollten im Neckarsulmer Werk über 4000 Mitarbeiter gehen. "So heftig ist es heute bei uns nicht", sagt Kaufmann, "noch geht es ja nicht um einen Arbeitsplatzabbau."

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