Nahaufnahme:Diese Frau will das Ehegattensplitting kippen

Nahaufnahme: "Das Ehegattensplitting fördert die Familie? Da kann ich nur lachen. Es privilegiert die Ehe, aber nicht Familie und Kinder", sagt Becker.

"Das Ehegattensplitting fördert die Familie? Da kann ich nur lachen. Es privilegiert die Ehe, aber nicht Familie und Kinder", sagt Becker.

(Foto: Malina Ebert)

Im Jahr 2008 starb Reina Beckers Mann. Danach musste sie jährlich Tausende Euro mehr an den Staat zahlen. Nun kämpft sie vor Gericht.

Von Gianna Niewel

Als sie das Ergebnis sah, war ihr klar, dass etwas nicht stimmen konnte; vermutlich war sie in der Zeile verrutscht. Reina Becker tippte die Zahlen also noch einmal ein: ihr Gehalt, die Anzahl der Kinder. Enter. Wieder stand da, dass sie 7300 Euro mehr an Steuern bezahlen sollte als im vergangenen Jahr, als ihr Mann noch lebte. Vielleicht ein Systemfehler? Nein. Reina Becker wunderte sich erst über die "Ungerechtigkeiten" des Ehegattensplittings, wie sie sagt. Dann zog sie dagegen vor Gericht.

Reina Becker arbeitet als Steuerberaterin im niedersächsischen Westerstede, ihr Büro ist im Haus, zehn Mitarbeiter. Alles war gut. Bis im Jahr 2006 ihr Mann starb. Becker war plötzlich allein, mit dem Steuerbüro und den Kindern, die schon mittags aus der Schule kamen, die ein warmes Essen brauchten und jemanden, der ihnen bei den Matheaufgaben hilft. Sie arbeitete also, wenn Lara und Helen schliefen. An einem solchen Abend saß die 53-Jährige ausnahmsweise einmal nicht an der Steuererklärung von Unternehmern oder Ärzten aus dem Ort, sondern an ihrer eigenen. Das war der Abend, an dem sie dachte, dass irgend etwas nicht stimmt.

Plötzlich sollte sie den Spitzensteuersatz zahlen

Bislang hatte ihr das Ehegattensplitting genutzt. Auf ihr Gehalt und die deutlich niedrigere Rente ihres Mannes zahlten die beiden 35 Prozent Steuern - dank des Ehegattensplittings. Als seine Rente wegfiel, sollte sie, Witwe und alleinerziehende Mutter, plötzlich 42 Prozent Steuern zahlen. Spitzensteuersatz. Für Becker stand fest: Das ist ein Unding. Nicht, weil sie es sich nicht hätte leisten können. Sondern weil sie es als ungerecht empfand.

Das Ehegattensplitting gibt es seit dem Jahr 1958, seit 2013 gilt die steuerliche Regelung auch für gleichgeschlechtliche Paare. Die Partner addieren ihre Einkünfte und teilen sie durch zwei. Wenn also eine Frau 5000 Euro monatlich verdient und ihr Ehemann 2000 Euro, werden beide so besteuert, als nähme jeder von ihnen 3500 Euro ein. Das Paar gilt als Wirtschaftsgemeinschaft; mein Geld und dein Geld werden zu unserem Geld. Und das kann dann auch gleich besteuert werden, so die Theorie. "Dass Paare alles teilen, ist doch eine Fiktion", sagt Becker. Bei ihr hätten schon Frauen gesessen, die hätten nicht nur nichts von der Geliebten des Mannes gewusst, sondern auch nichts von seiner Immobilie oder der Altersvorsorge.

Die Kritik: Das Ehegattensplitting unterstützt vor allem wohlhabende Paare

Tatsächlich ist das Ehegattensplitting umstritten. Die Kritik: Der Staat unterstütze damit wohlhabende Ehepaare, bei denen einer von beiden deutlich weniger verdient oder gar nicht arbeitet. "Die Paare, die die Vorteile bräuchten, können es sich überhaupt nicht leisten, dass klassischerweise die Frau zu Hause bleibt", sagt Becker. Das schrieb sie dann auch in E-Mails, sie schrieb an befreundete Kollegen und fremde Anwälte. Die Antworten waren oft enttäuschend, ein achselzuckendes "Ist halt so".

Aber wer Becker reden hört, der weiß, dass hier eine Frau spricht, die sich damit nicht zufrieden gibt. Schon als Jugendliche engagierte sie sich in der Schülervertretung, ihre Lehrer am Gymnasium beschrieben sie als "aufmüpfig". Ihre Diplomarbeit schrieb sie dann darüber, wie unterschiedlich Männer und Frauen entlohnt werden, auch wenn sie die gleiche Arbeit tun. Natürlich wird sich so eine Frau im Zweifel auch gegen den Staat wehren.

Im Jahr 2009 klagte sie vor dem Niedersächsischen Finanzgericht. 2013 wies das Gericht ihre Klage zurück. Becker ging in Revision, sie verbrachte Abende vor dem Computer und Wochenenden über Fachzeitschriften. Sie legte mehr als 60 Seiten vor, auf denen sie das Ehegattensplitting in seiner derzeitigen Form kritisierte. Das Gericht ließ ihre Revision zu. Nun wartet sie wieder auf Antwort - diesmal vom Bundesfinanzhof in München.

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