Nahaufnahme:Die Apfelsinen-Schneiderin

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"Sonne, Sizilien, Zitrusduft - Orangen haben eine positive Aura." Adriana Santanocito.

(Foto: Luca Bizzozero)

Adriana Santanocito webt aus Orangenschalen einen Luxusstoff für Modeschöpfer. Damit hilft sie auch den Saftherstellern auf Sizilien.

Von Ulrike Sauer

Bei Orangen denken alle an Saft, Sonne, Süden. Adriana Santanocito, die an der Ostküste Siziliens zwischen Zitrusplantagen aufgewachsen ist, ging es nicht anders. Bis zu dem Moment, als die heute 37-Jährige einen Vortrag der britischen Umweltaktivistin Livia Firth hörte. 2001 war das und Santanocito saß gerade in Mailand an ihrer Abschlussarbeit für die Modeschule Afol. Firth sprach darüber, wie Spitzendesigner nach innovativen Materialien suchten. Neue, exotische Stoffe seien das Lieblingsspielzeug der Modeschöpfer, sagte die Frau des Schauspielers Colin Firth - und veränderte damit schlagartig Santanocitos Sicht auf die Früchte ihrer Heimat.

Apfelsinen zum Anziehen? Es hört sich vielleicht bizarr an, aber das zumindest auf appetitliche Art. Auf der Suche nach umweltfreundlichen Textilien experimentiert die Bekleidungsindustrie auch mit Geweben aus ganz anderen Rohstoffen: Krebsen, Milch oder Mais. "Mich reizte es, zwei italienische Spitzenprodukte zu verbinden: Mode und Orangen", sagt Santanocito. Mailand trifft Catania.

Auf die Idee mit den Orangen kam die zierliche Sizilianerin auch, weil sie die Not der Bauern und der Industrie daheim kannte. Die Safthersteller beispielsweise haben mit der Entsorgung ihres Abfalls ein Riesenproblem: Die Schalen der Orangen fermentieren und belasten die Böden. In Italien müssen deshalb eine Million Tonnen ausgequetschter Früchte im Jahr beseitigt werden. Und das kostet Geld.

Also las Santanocito sich an, wie aus pflanzlicher Zellulose Textilien gewonnen werden, und holte sich Hilfe von Chemikern der Technischen Universität in Mailand. "Ich weiß nicht, was sie in mir gesehen haben, aber ihre Augen haben geglänzt", erzählt sie. Acht Monate verbrachte sie im Labor, 2014 schließlich gründete sie Orange Fiber - natürlich in Catania. Mit ihrer Firma meldete Santanocito ein Patent auf ihre Orangen-Fasern an und sammelte internationale Förderpreise ein. Und sie präsentierte einen mattglänzenden Twill-Stoff als Prototyp. 2015 baute Orange Fiber dann eine Pilotanlage zur Gewinnung von Zellulose auf dem Firmengelände des größten Saftherstellers Siziliens, inzwischen hat eine Weberei in der Seidenstadt Como bereits 5000 Meter des Orangen-Tuchs hergestellt. 2017 soll nun der Sprung auf den Markt gelingen, in der Kollektion eines italienischen Luxuslabels.

Der Rohstoff und die Modewelt passen gut zusammen: "Sonne, Sizilien, Zitrusduft - Orangen haben eine positive Aura", sagt Santanocito. Und das schon seit der Antike. In der griechischen Mythologie waren sie ein Symbol für Fruchtbarkeit. Zeus ließ die Orangenbäumchen aus der Mitgift seiner Gattin sogar von den Hesperiden bewachen. Und der Italienreisende Goethe besang "das Funkeln zwischen den dunklen Blättern".

Heute steht die glitzernde Modewelt aber auch im krassen Kontrast zur rauen Wirklichkeit auf Sizilien: Der Verfall der Agrarpreise bedroht die Existenz der Orangenbauern, mit den Großplantagen in Spanien und Brasilien können viele nicht mithalten. Von der Saftindustrie erhalten sie 10 Cent für ein Kilo ihrer Früchte, für Tafelobst sind es 30 oder 40 Cent. In Italien ist deshalb bereits fast ein Drittel der Orangenhaine verschwunden. Nun setzt den Bauern auch noch ein Virus zu, das ihre Pflanzen befällt. Santanocito will ihrer Insel deshalb einen Impuls geben. "Wir bringen einen nachhaltigen Stoff auf den Markt und helfen, die Kosten der Branche zu senken", sagt sie. Und den Modekunden bietet sie auch etwas: Ihr Stoff ist gut für die Haut. Mithilfe von Nanotechnologie präpariert Santanocito das Gewebe mit ätherischen Ölen der Zitrusfrüchte. So spendet die Kleidung beim Tragen auch Vitamin E und C.

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