Nahaufnahme:Bye, bye Unilever

Nahaufnahme 17.06.2018

„Wir sind gerade mittendrin, ein paar Dinge zu machen, und ich bin wahrscheinlich besser geeignet, sie abzuschließen.“ Paul Polman

(Foto: AFP)

Der Hersteller von Lebensmitteln, Schönheits- und Reinigungsprodukten hat seinen Sitz in Rotterdam und London. Nun gibt Konzernchef Polman London auf. Das hat Folgen.

Von Björn Finke

Noch ist Paul Polmans Unternehmen einer der größten Werte im Londoner Aktienindex FTSE 100, aber das wird sich ändern. Unilever gestand nun ein, dass die Aktien aller Voraussicht nach aus diesem Börsenindex fliegen, wenn der Hersteller von Lebensmitteln, Schönheits- und Reinigungsprodukten wie geplant seinen Konzernsitz in London aufgibt. Im Jahr 1929 schlossen sich die Betriebe Lever Brothers aus Großbritannien und Margarine Unie aus den Niederlanden zu Unilever zusammen. Seitdem hat die Gruppe zwei Muttergesellschaften und zwei Firmensitze: in Rotterdam und London. Polman, seit 2009 Vorstandschef, verkündete im März, die niederländische Stadt zum alleinigen Sitz zu machen, um Strukturen zu vereinfachen.

Einige Investoren, etwa die Fondsgesellschaft Columbia Threadneedle, kritisierten das, weil sie einen Rauswurf der Unilever-Papiere aus dem Londoner Börsenindex fürchteten. Diese Sorge war berechtigt, wie sich jetzt zeigt. Die Entscheidung des 61-jährigen Niederländers führte auch zu politischem Wirbel. Die Opposition klagte, offenbar würden Unternehmen das Vertrauen in die Brexit-Verhandlungen von Premierministerin Theresa May verlieren. Polman sprach sich vor dem Referendum für den Verbleib der Briten in der EU aus, doch er weist einen Zusammenhang zurück: "Ich kann kategorisch sagen, dass das nichts mit dem Brexit zu tun hat", versichert er. Bis September sollen die Aktionäre des Konzerns, zu dessen Markensammlung Lätta und Langnese, Domestos und Rexona gehören, der Abschaffung des Londoner Sitzes zustimmen.

Der Schritt ist Folge eines ebenso kurzen wie dramatischen Übernahmekampfes: Im Februar 2017 erklärte der kleinere Konkurrent Kraft Heinz, Unilever kaufen zu wollen. Das Geschäft wäre 143 Milliarden Dollar wert gewesen, aber Polman war dagegen. Die Amerikaner kassierten die Offerte nach zwei Tagen wieder ein. Der Niederländer, der nahe der deutschen Grenze aufwuchs, muss den Aktionären nun beweisen, dass Unilever auch alleine Gewinn und Börsenkurs kräftig steigern kann.

Daher versprach der Manager zwei Monate nach der zurückgewiesenen Fusion, die Kosten bis 2020 noch stärker zu senken als ohnehin geplant, mehr Dividende zu zahlen und die Doppelstruktur mit zwei Firmensitzen zu überdenken. Es wird schon länger spekuliert, dass Polman, der in Groningen und Cincinnati Wirtschaft studiert hat, den Chefposten bald abgeben werde. Doch der Niederländer scheint entschlossen zu sein, bis zu seinem ausgegebenen Zieljahr, also bis 2020, zu bleiben: "Wir sind gerade mittendrin, ein paar Dinge zu machen, und ich bin wahrscheinlich besser geeignet, sie abzuschließen", sagt er.

Für die Zeit danach spricht sich der Konzernlenker für einen neuen Chef aus den eigenen Reihen aus: "Wir haben einige sehr gute Leute, die mir folgen können." Polman selbst kam von außen, hatte vorher bei den Rivalen Procter & Gamble und Nestlé gearbeitet. Bei Unilever leitete er einen Kulturwandel ein. Der Vorstandsvorsitzende predigt gerne und oft, dass nur solche Firmen auf lange Sicht prosperieren, die Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt übernehmen.

Darum verordnete Polman Unilever kurz nach seinem Antritt ehrgeizige Ziele, weniger Klimagase und Abfall zu produzieren. Die Berichterstattung über Quartalsgewinne stoppte er: Das Management solle sich auf die langfristige Entwicklung konzentrieren. Wer nicht an dieses nachhaltige, auf lange Sicht angelegte Geschäftsmodell glaube, "sollte sein Geld nicht in unsere Firma stecken", sagt er recht brüsk. Manchen Investoren geht so viel Sendungsbewusstsein gehörig auf den Geist. Aber sie werden Prediger Polman wohl noch zwei Jahre aushalten müssen.

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