Nahaufnahme:Beschmutzter Saubermann

Nahaufnahme 22.09.2016

"Nein." So antwortet James G. Stumpf auf die Frage, ob er einen einzigen Manager gefeuert oder auf einen einzigen Penny seines Rekordgehalts verzichtet habe.

(Foto: dpa)

John Stumpf, Chef der US-Großbank Wells Fargo, hat die vermeintlich Schuldigen im Skandal um zwei Millionen Scheinkonten gefunden. Er selbst gehört nicht dazu.

Von Claus Hulverscheidt

Wenn in den vergangenen Jahren in den USA wieder einmal ein Bankenskandal aufflog, dann konnte man sich ziemlich sicher sein, schon bald über die Namen alter Bekannter zu stolpern. Einer aber tauchte auf der Liste der bösen Buben nie auf: John G. Stumpf, der Chef des drittgrößten amerikanischen Geldhauses Wells Fargo.

Stumpf wuchs als eines von elf Kindern auf einem Bauernhof in Minnesota auf. Er arbeitete als Bäcker, begann dann bei einer kleinen Bank und heiratete die Tochter des Direktors. Obwohl er bald aufstieg und die Institute, für die er arbeitete, größer wurden, pflegte er sein Image als eine Art Gegenentwurf zum gierigen Wall-Street-Banker. Das änderte sich auch nicht, als er 2007 die Wells-Fargo-Führung übernahm.

Während andere Institute den brancheninternen Modetrends folgten und bald in einem Sumpf aus faulen Wertpapieren und Schrottkrediten versanken, predigte Stumpf, Banken sollten sich statt um die Finanz- lieber um die "echte Wirtschaft" kümmern. Zwar kam sein Institut, dessen Postkutschen schon durch den Wilden Westen rollten, in der Finanzkrise des Jahres 2008 auch nicht gänzlich ungeschoren davon. Gemessen an anderen Geldhäusern verlief die Sache aber äußerst glimpflich.

Ausgerechnet Stumpf, die Lichtgestalt, war es nun, der diese Woche als erster Top-Banker seit dem schillernden JP-Morgan-Chef Jamie Dimon vor dem Bankenausschuss des US-Senats zum Rapport antreten musste. Über Jahre hatten Wells-Fargo-Mitarbeiter zwei Millionen Giro- und Kreditkartenkonten im Namen von Kunden eröffnet, ohne dass diese davon wussten. Grund waren wohl interne Vorgaben, die so aggressiv waren, dass sich die Bankberater nicht anders zu helfen wussten.

Als die Aufsichtsbehörden ihnen auf die Schliche kamen, reagierte Stumpf umgehend: Er feuerte Tausende Angestellte, akzeptierte eine 185-Millionen-Dollar-Strafe und bat Kunden, Öffentlichkeit und Politik um Verzeihung. Die Frage aber, welche Verantwortung der Vorstand für ein kollektives Fehlverhalten dieser Größenordnung trägt, ließ er offen - auch am Dienstag, als ihn Elisabeth Warren, die bekannt kritische Senatorin aus Massachusetts, in die Mangel nahm. "Haben Sie einen einzigen Penny ihres Verdienstes zurückgezahlt? Und haben Sie einen einzigen ranghohen Manager gefeuert?", fragte sie. "Nein", entgegnete Stumpf. "Ihre Definition von Verantwortung ist, alles auf die einfachen Angestellten abzuschieben", giftete Warren. "Das ist ein feiges Führungsverhalten."

Die Idee, den bereits an die Bank gebundenen Kunden immer noch mehr Konten und Dienstleistungen aufzuschwatzen, geht auf Stumpfs Vorgänger Richard Kovachevic zurück. Sein Nachfolger setzte den Kurs fort, auch dann noch, als vor Jahren erste Scheinkonten auftauchten. Wem es nicht gelang, so viele Produkte an alte und neue Kunden zu verkaufen wie intern vorgegeben, wurde nach Berichten von Aussteigern genötigt, Eltern, Geschwister und Freunde anzusprechen - oder flog raus. Stumpf stieg derweil mit einer Gesamtvergütung von 103 Millionen Dollar in den Skandaljahren 2011 bis 2015 zum bestbezahlten Finanzmanager der USA auf.

Als einer der wenigen scheinbar unbelasteten Top-Banker des Landes gerierte sich der heute 63-Jährige jahrelang nicht nur als Saubermann, sondern auch als Regierungskritiker, der vor einer Überregulierung der Branche warnte. Als jetzt die New York Times einen Begriff suchte, der die Reaktionen der Wells-Fargo-Wettbewerber wie auch vieler Politiker auf den Skandal zusammenfasst, da griff sie zu einem jener erstaunlich vielen Worte aus dem Deutschen, die es auf verschlungenen Wegen irgendwie in den englisch-amerikanischen Sprachschatz geschafft haben: "Schadenfreude."

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