Nahaufnahme:Auf der Couch

Nahaufnahme: "Zu erwarten, dass jeder Tag ein Sonnentag wird, ist das Rezept für ein Desaster." - Tomáš Sedláček

"Zu erwarten, dass jeder Tag ein Sonnentag wird, ist das Rezept für ein Desaster." - Tomáš Sedláček

(Foto: dpa)

Der umstrittene Ökonom und Autor Tomáš Sedláček untersucht die psychologischen Ursachen für den Zustand der Weltwirtschaft.

Von Dieter Sürig

Er bleibt der Welt der Mythologie treu: Der umstrittene tschechische Wirtschaftswissenschaftler Tomáš Sedláček, 38, hatte mit seinem Buch "Die Ökonomie von Gut und Böse" in den Klassikern der Weltliteratur und in der Bibel nach den Gründen für die Finanzkrise gefahndet und die Gier nach Wachstum als uraltes Menschheitstrauma ausgemacht. Gemeinsam mit dem österreichischen Autor Oliver Tanzer legt er nun im Buch "Lilith und die Dämonen des Kapitals" die Ökonomie auf die Couch und seziert die psychologischen Ursachen für den Zustand der Weltwirtschaft.

Der hochgewachsene Ökonom mit dem markanten rostroten Haarschopf verteidigt seine Thesen gerne in der Öffentlichkeit. Nicht erst seit seinem Bestseller, der weltweit in 17 Sprachen erschien und gerade in Japan in die Buchläden kam, ist er als Redner gefragt. Gerade kommt er von der Immobilienmesse Expo Real in München, wo er seine Kritik an ungezügeltem Wachstum vor einem Fachpublikum ausbreiten durfte. "Viele haben sich anschließend bei mir bedankt", sagt er. Sedláček will seine Zuhörer mit Parabeln wachrütteln, nicht mit Statistiken und Tabellen. Mit Parabeln wie dem Bauern, der seine Kuh beschimpft, weil sie keine Milch mehr gibt. Die Kuh antwortet, dass sie ihm ihre ganze Milch gegeben habe. Er hingegen kümmere sich nicht darum und lasse sogar einen Teil verderben. Für Sedláček ist das eine Metapher für viele Miseren in der Ökonomie. "Ein gutes Bild in den Köpfen des Publikums ist kraftvoller als eine Power-Point-Präsentation", sagt er.

Nun bemüht er die Psychoanalyse. Er bescheinigt dem Kapitalismus unter anderem narzisstische Züge und gar eine Art Todessehnsucht. Die Wurzel "wirtschaftlichen Übels, das uns in den vergangenen Jahren so bitter heimgesucht hat, liegt in einem Vernichtungswillen ohne Kreativität, der letztlich zur Selbstzerstörung des Systems führen kann", schreibt er. Lilith als Vorgängerin Evas ist für ihn ein Sinnbild des modernen Kapitalismus. Aus Furcht vor Unterdrückung flieht Lilith aus dem Paradies und muss dafür einem Fluch gleich mit ihren Dämonen leben, die sie kaputt machen. Sedláček sieht darin ein Gleichnis für Anfang und Ende einer zerstörerischen Ökonomie, die im Interesse einer vermeintlichen Freiheit nur auf Wachstum ausgerichtet ist und Schulden in Kauf nimmt. Seine Lösung lautet: Wachstum und Tilgung der Staatsschulden, aber nicht permanentes Wachstum. "Zu erwarten, dass jeder Tag ein Sonnentag wird, ist das Rezept für ein Desaster", sagt er. "Wir wurden süchtig nach Wachstum, das Ausbleiben von Wachstum wurde unser Dämon." Davon auszugehen, dass das Wirtschaftssystem auf ständiges Wachstum ausgerichtet sei, "ist total naiv", kritisiert er. "Stabilität sollte vor Wachstum gehen."

Ist ein Umdenken überhaupt realistisch? Sedláček, der an der Prager Karls-Universität lehrt, Chefokönom der größten tschechischen Bank ČSOB ist und den früheren EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso beraten hat, ist da optimistisch. "Es ist kurz vor zwölf, aber nicht zu spät." Seine Hoffnung: "Die Veränderungen werden langsam kommen". Auch die grüne Bewegung sei vor 30 Jahren belächelt worden, "nun ist sie eine ernst zu nehmende Kraft in Politik, Wirtschaft und im Alltag".

Auf eines ist Sedláček bei seinen Ausflügen in die Mythologien und Geschichten nicht gestoßen: die beste aller Welten. "Es ist sehr schwierig, sich eine perfekte Welt vorzustellen, sogar J. R. R. Tolkien ist in seiner Trilogie daran gescheitert", schmunzelt er. Aber von Dagobert Duck könne man lernen: "Er verkörpert das Gegenteil unserer Gesellschaft: Nach außen hin wirkt er arm, aber in Wirklichkeit ist er steinreich."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: