Nahaufnahme:Angeklagt

Nahaufnahme: "Ich habe mich wie in einem Albtraum gefühlt." Andreas Georgiou

"Ich habe mich wie in einem Albtraum gefühlt." Andreas Georgiou

(Foto: AP)

Griechenlands früherem Statistikchef drohen zehn Jahre Haft. Er soll das Defizit im Staatshaushalt aufgebläht haben, um die Auflagen der internationalen Geldgeber zu rechtfertigen.

Von Christiane Schlötzer

Genau vor einem Jahr in Athen: An seinem letzten Arbeitstag als griechischer Statistikchef zog Andreas Georgiou eine bittere persönliche Bilanz: "Ich habe mich wie in einem Albtraum gefühlt." Seit 2010 hatte der Grieche die staatliche Statistik-Behörde Elstat geleitet. In der Zeit waren seine Mails gehackt worden, von eigenen Mitarbeitern. Er wurde angeklagt, musste sich stundenlang verhören und wie ein Staatsfeind behandeln lassen. Der Vorwurf: Georgiou habe das staatliche Defizit "aufgebläht", um die rigorose Sparpolitik der internationalen Geldgeber Griechenlands zu rechtfertigen. Der Elstat-Chef nannte dies "absurd", er sah sich keiner Schuld bewusst, hatte er doch, "in fünf Jahren alles gegeben, was ich konnte". Im August 2015 entschied er sich gegen eine zweite Amtszeit, er wollte aus dem bösen Traum aufwachen. Es sollte ihm nicht gelingen.

Der Areopag, das oberste Gericht Griechenlands, hat einen früheren Freispruch von Georgiou nun aufgehoben. Das Gericht gab dem Einspruch einer Staatsanwältin statt, die ins Feld führte, der Ex-Statistikchef müsse nicht nur wegen "Pflichtverletzung" angeklagt werden, sondern wegen "Datenfälschung", also wegen eines Verbrechens. Das kann mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Kollegen von Georgiou aus Europa hatten so etwas schon befürchtet, sie haben eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, um Geld für die Verteidigung des Griechen zu sammeln. "Wir sind alarmiert wegen der hartnäckigen Verfolgung von Andreas Georgiou", sagt Hallgrimur Snorrason, der ehemalige Statistik-Chef von Island. Die EU-Statistikbehörde Eurostat hatte Georgious Berechnungen immer bestätigt, die EU-Kommission und die EZB zeigten sich stets besorgt und irritiert angesichts der Wut, die Georgiou entgegenschlug. Sie lobten den angegriffenen Behördenchef dafür, dass er beendete, was man Greek Statistics nannte: das Verstecken von Milliardenschulden. Georgiou, damals 50 Jahre alt, verließ für den Job in Athen 2010 den IWF, für den er in Washington fast 21 Jahre tätig war. Erst mit seinem Antritt wurde Elstat per Gesetz zur unabhängigen Behörde. Georgiou wunderte sich dann über engste Mitarbeiter, die "praktisch über statistische Methoden und damit über das Defizit in pseudodemokratischer Weise abstimmen" wollten. Er beklagte, dass für geschönte Statistiken "niemand belangt wurde", er aber immer wieder vor Gericht musste. Im Parlament wurde ihm aus seinen Korrespondenzen mit der EU und dem IWF vorgelesen, als habe er mit seiner Informationspolitik Verrat begangen.

Georgiou wollte sich aber nicht zum Sündenbock für heftig umstrittene Reform- und Sparauflagen machen lassen. Er wehrte sich, erläuterte, dass schon der damalige sozialistische Premier Giorgios Papandreou das Defizit für 2009 (ein Jahr, in dem die Konservativen regierten) im Nachhinein gleich mehrmals nach oben korrigiert hatte, von sechs auf 15,4 Prozent. Papandreou hatte damit einen Schock ausgelöst, noch bevor Georgiou antrat und das Minus nur noch um 1,8 Prozent vergrößerte.

Staatsminister Nikos Pappas, einer der engsten Vertrauten des linken Premiers Alexis Tsipras, meinte nun, der Prozess könnte darüber aufklären, "welche Interessen" frühere Regierungen verfolgten und "wem sie dienten". Das klingt, als ginge es gar nicht allein um Georgiou. Der hatte Griechenland vor einem Jahr wieder verlassen, er ging zurück nach Amerika. Er wollte ja, dass der Albtraum endet. Der SZ erklärte er am Mittwoch schriftlich: "Sollten Staatsbedienstete keine akkuraten Statistiken mehr erstellen können, ohne Angst, über Jahre hinweg vor Gericht gezerrt zu werden", dann treffe das die EU und das internationale Finanzsystem im Kern.

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