Nafta-Verhandlungen:Was hat Trump mit dem "schlechtesten" Freihandelsabkommen vor?

Nafta-Verhandlungen: In Mexiko protestierten vor Beginn der Neuverhandlungen Arbeiter und Kleinbauern gegen das Nafta-Abkommen. Sie befürchten Nachteile gegenüber den USA und Kanada.

In Mexiko protestierten vor Beginn der Neuverhandlungen Arbeiter und Kleinbauern gegen das Nafta-Abkommen. Sie befürchten Nachteile gegenüber den USA und Kanada.

(Foto: AFP)
  • Das Freihandelsabkommen Nafta zwischen den USA, Kanada und Mexiko wird derzeit neu verhandelt.
  • Seit der Vertrag 1994 in Kraft trat, stieg das Handelsvolumen der drei Länder enorm. Mit einer Jahreswirtschaftsleistung von gut 21 Billionen Dollar bilden sie die größte Freihandelszone der Welt.
  • Allerdings sagen selbst Anhänger des Freihandels, dass der Vertrag in die Jahre gekommen ist.

Von Claus Hulverscheidt, New York

Immerhin: An die Gurgel gegangen ist sich bisher niemand, das allein ist nach den Flegelhaftigkeiten des US-Präsidenten im Vorfeld schon eine gute Nachricht. Seit einigen Tagen also verhandeln die USA, Kanada und Mexiko über eine Reform des Freihandelsvertrags Nafta - jenes Abkommens, das für Donald Trump "das schlechteste ist, das die Vereinigten Staaten je unterschrieben haben". Die Atmosphäre der Auftaktgespräche war nach Auskunft der Beteiligten freundlich-sachlich, am 1. September soll es weitergehen.

Mit einer Jahreswirtschaftsleistung von zuletzt gut 21 Billionen Dollar ist die Nafta die größte Freihandelszone der Welt. Als der Vertrag am 1. Januar 1994 in Kraft trat, verschwanden in Nordamerika über Nacht fast alle Importzölle, bei Auftragsvergaben müssen Firmen aus allen drei Ländern seither gleich behandelt und gegenüber Anbietern aus Drittstaaten bevorzugt werden. Die Vertragspartner erkennen zudem die Markenrechte und Patente des jeweils anderen an, bei Konflikten sorgt ein unabhängiges Schiedsgericht für eine möglichst gerechte, nicht national gefärbte Lösung.

Betrachtet man allein die Entwicklung des Handelsvolumens, dann ist das Abkommen ein voller Erfolg: Die Auslandsinvestitionen schossen in die Höhe, der Warenaustausch zwischen den drei Staaten explodierte von 300 Milliarden auf 1,1 Billionen Dollar. In den USA profitierten vor allem Agrar- und Autofirmen sowie Finanz- und Gesundheitsdienstleister. In Kanada waren es die Milch- und die Holzwirtschaft, in Mexiko entstanden in ausländischen Betrieben Hunderttausende Jobs. Auch viele Verbraucher zählen zu den Gewinnern, vor allem in den USA: Südfrüchte wurden spürbar billiger, und die Öl-Einfuhren aus Kanada und Mexiko drücken die Spritpreise.

Doch der Erfolg hat seine Schattenseiten - und sie sind der Grund, dass Trump mit seinen Wutreden gegen das Abkommen vielerorts einen Nerv traf. Vor allem der Umstand, dass die US-Industrie Hunderttausende Arbeitsplätze ins Billiglohnland Mexiko verlagerte, stößt dem Präsidenten sauer auf. Zudem will er das hohe Handelsdefizit gegenüber Mexiko beseitigen, das er als ungerecht und als Schmach für die Vereinigten Staaten empfindet.

Ob der Vertrag die USA unter dem Strich wirklich Jobs gekostet hat, lässt sich indes kaum seriös berechnen. Nach einer Studie des gewerkschaftsnahen Instituts EPI verlagerten vor allem Auto- und Textilfirmen seit 1994 mehr als 850 000 Stellen nach Mexiko. Solche Berechnungen unterschlagen jedoch, dass die Kostenersparnis etwa die zeitweise pleitebedrohten Autohersteller erst in die Lage versetzte, auch daheim in den USA weiter Pkw zu bauen. Andere Experten glauben daher, dass die Nafta-Gründung die Wettbewerbskraft des gesamten Blocks erhöht und allein den USA fünf Millionen zusätzliche Stellen gebracht hat.

Auch Trumps zweiter großer Vorbehalt - das drastisch gestiegene US-Handelsbilanzdefizit - erweist sich bei näherem Hinsehen als kurzsichtig. Zwar stimmt es, dass Mexiko deutlich mehr Waren in die Vereinigten Staaten ausführt als umgekehrt. Doch auch die US-Exporte in das südliche Nachbarland haben sich seit 1993 von gut 40 auf 230 Milliarden Dollar versechsfacht. Gegenüber Kanada weisen die USA sogar einen kleinen Überschuss auf, wenn man die Dienstleistungen mit einrechnet.

Mexiko leidet unter billigen Agrarprodukten aus den USA

Unstrittig ist, dass die neue Konkurrenz durch mexikanische Billiglöhner die Gehälter für einfache Jobs in den USA gedrückt hat. Oft reichte die Drohung, den Betrieb einfach nach Mexiko zu verlagern, um aufmüpfige Mitarbeiter ruhigzustellen. Mancherorts stagnieren die Reallöhne seit Jahrzehnten, was die Menschen ärgert und verunsichert - und Trump in die Karten spielte. Doch auch die Mexikaner sind nicht einfach nur Gewinner: Zwar fanden viele Menschen in den neuen Fabriken entlang der Grenze zu den USA eine Stelle. Ihre Löhne sind aber wegen des großen Angebots an Arbeitskräften oft niedrig. Auch müssen viele Gemeinden mit Umweltschäden klarkommen, weil die Behörden ansiedlungswillige Unternehmen von zahlreichen Auflagen befreiten. Tausende Kleinbauern sahen sich zudem gezwungen, ihre Betriebe aufzugeben, weil der Markt seit 1994 mit billigen, staatlich bezuschussten Agrarprodukten aus den USA überschwemmt wird.

Gut möglich, dass Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto ein Ende dieser Landwirtschaftssubventionen verlangen wird, sollte Trump umgekehrt darauf bestehen, dass Mexiko die Industrielöhne sowie die Umwelt- und Arbeitsschutzregeln für ausländische Betriebe anhebt. Der US-Präsident - sonst kein Freund strengerer Öko-Standards und Arbeiterrechte - hofft darauf, dass der Kostenanstieg US-Firmen dazu bewegen wird, Jobs "nach Hause" zu holen. Ob diese Rechnung aufgeht, ist aber ungewiss, denn die Pro-Kopf-Arbeitskosten etwa in der Autobranche sind in den USA sieben Mal so hoch wie in Mexiko.

Trump will zudem erreichen, dass ein Nafta-Land Importe aus einem anderen Mitgliedsstaat mit Zöllen belegen kann, wenn Produkte zu Dumpingpreisen verkauft werden. Im Blick hat er dabei vor allem die staatlich subventionierte Milch- und Holzindustrie Kanadas. Bisher ist die Einführung solcher Zölle praktisch unmöglich, weil das betroffene Land widersprechen kann. Im Bereich der Autoindustrie wollen die Amerikaner zudem die Zollfreiheit für Importe daran knüpfen, dass ein größerer Anteil eines jeden Produkts als bisher in einem der drei Nafta-Länder gefertigt wird - am besten in den USA.

Dass der rund 2000 Seiten umfassende Freihandelsvertrag einer Novelle bedarf, streiten auch Experten nicht ab, die die Gründung des Wirtschaftsbündnisses grundsätzlich für einen Erfolg halten. "Seit Inkrafttreten von Nafta im Jahr 1994 hat sich die Weltwirtschaft auf vielfache Weise verändert", sagt etwa Fred Bergsten, Gründer des wirtschaftsliberalen Peterson-Instituts (PIIE) in Washington. Die gesamte Internetbranche etwa war seinerzeit erst im Entstehen begriffen, Umweltschutz und Arbeitnehmerrechte spielten längst nicht die Rolle, die sie heute einnehmen.

Dennoch ist die Frage, ob die Reform gelingt, offen, und ihre Beantwortung wird auch davon abhängen, ob Trump auf eine Stärkung der gesamten Freihandelszone und ihrer Wettbewerbskraft aus ist oder nur auf den schnellen politischen Erfolg für sich selbst. Als wären die Probleme nicht groß genug, haben sich die Verhandlungsführer zusätzlich unter Zeitdruck gesetzt: Binnen weniger Monate - intern ist gar von Dezember die Rede - sollen die Gespräche abgeschlossen und ein neuer Vertrag unterschriftreif sein. Vor allem Trump und Peña Nieto dringen auf rasche Ergebnisse, denn sie wollen das Thema aus den 2018 anstehenden Wahlkämpfen heraushalten. Üblicherweise dauert es Jahre, bis Regierungen ein Freihandelsabkommen ausgearbeitet oder komplett überholt haben. Aber was ist schon üblich dieser Tage.

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