Nachzahlungen von Zeitarbeitsfirmen:Viel weniger als erwartet

Cebit

Wollen Leiharbeiter den gleichen Lohn wie die Stammkbelegschaft, müssen sie diesen einklagen.

(Foto: Stefan Boness/Ipon)
  • Zeitarbeitsfirmen müssen viel weniger Sozialbeiträge nachzahlen als zunächst angenommen.
  • Die zusätzlichen Einnahmen der Sozialkassen bleiben damit weit unter den ursprünglichen Schätzungen von Gewerkschaften.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Als das Bundesarbeitsgericht Ende 2010 den Hammer fallen ließ, war die Freude groß: Verdi feierte die Entscheidung als "Sieg gegen die Billigkonkurrenz". Der damalige DGB-Chef Michael Sommer sprach von einem "Signal gegen Gefälligkeitsvereinbarungen" von Pseudogewerkschaften. Zuvor hatte das höchste deutsche Arbeitsgericht der Spitzenorganisation der christlichen Zeitarbeitsgewerkschaften das Recht abgesprochen, Tarifverträge abzuschließen. Dafür sei die Zahl ihrer Mitglieder zu gering.

Die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) hatte jahrelang Tarifwerke unterzeichnet, bei denen sich eine Frage aufdrängte: Gilt deren Nächstenliebe nur den Arbeitgebern? Selbst Verträge wie der mit einer Berliner Firma, die für einen ungelernten Arbeiter nur 4,83 Euro pro Stunde in Ostdeutschland zahlen musste, waren der christlichen Zeitarbeitsgewerkschaft eine Unterschrift wert.

Vier Jahre später zeigt sich: Zeitarbeitsfirmen, die ihr Personal an andere Unternehmen verleihen und mit der CGZP zusammenarbeiteten, müssen auf Grund des Grundsatzurteils viel weniger Sozialbeiträge nachzahlen als zunächst angenommen. Und auch die große Pleitewelle ist in der Branche ausgeblieben. Dies ergibt sich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Die Einnahmen der Sozialkassen bleiben unter den Schätzungen

Nach der vorläufigen Bilanz des Bundesarbeitsministeriums hat die Deutsche Rentenversicherung (DRV) 3306 Leiharbeitsfirmen und 2,2 Millionen Arbeitsverhältnisse geprüft. Das Ergebnis: Von 2120 Arbeitgebern forderte die DRV 221,5 Millionen Euro an Sozialversicherungsbeiträgen nach. Bezahlt haben die Unternehmen jedoch bis Ende August 2014 lediglich 71,7 Millionen Euro. 52 Millionen Euro wurden gestundet, zum Beispiel weil das Einziehen des Geldes zur Insolvenz führt. 33,6 Millionen wurden gerichtlich niedergeschlagen. Auf etwa 60 Millionen Euro pocht die DRV weiter. Die nachträglichen Einnahmen der Sozialkassen bleiben damit weit unter den ursprünglichen Schätzungen von Gewerkschaften und Wissenschaftlern, die sich auf bis zu zwei Milliarden Euro belaufen hatten.

Grundsätzlich gilt seit 2003, das Zeitarbeiter genauso zu entlohnen sind wie die Stammbelegschaft in dem Unternehmen, an das sie ausgeliehen werden. Eine Ausnahme ist nur erlaubt, wenn ein Tarifvertrag etwas anderes ermöglicht. In diese Lücke sprang die CGZP und schloss Haus- und Flächentarifverträge ab, die Kritiker als institutionalisiertes Lohndumping bewerteten.

Da aber nun durch das Gerichtsurteil die Verträge ungültig wurden, haben die Leiharbeiter Anspruch auf den gleichen Lohn wie die Stammbelegschaft - sofern sie die Gehaltsdifferenz einklagen. Gleichzeitig können die Sozialkassen die zu wenig bezahlten Beiträge für die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung auf die höheren Löhne nachfordern, wegen der Verjährungsfristen allerdings nur für einen Zeitraum von vier Jahren.

116 Prüfungen seien immer noch nicht beendet

In seiner Antwort auf die Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke räumt das Bundesarbeitsministerium ein, dass die Prüfungen durch die zuständige Rentenversicherung in der Regel äußerst "umfangreich und zeitintensiv" seien. In 144 Fällen wurde noch vor der Betriebsprüfung ein Insolvenzantrag gestellt. 116 Prüfungen seien immer noch nicht beendet.

Müller-Gemmeke, bei den Grünen die Sprecherin für Arbeitsrecht, hält dies für wenig befriedigend: "Der Aufwand bei der Beitragsnachforderung war enorm, das Ergebnis aber gering." Auch müsse man davon ausgehen, dass nur wenige Beschäftigte ihren Lohn einklagten. Dies zeigte einmal mehr, "dass bei ausbeuterischen Machenschaften die Gerechtigkeit häufig auf der Strecke bleibt".

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