Nachwuchssorgen bei Banken:Adieu, Traumberuf Investmentbanker

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Nachtschichten und mieses Image? Darauf haben immer weniger Uni-Absolventen Lust. Der Beruf des Investmentbankers - ehemals Traumberuf vieler Wirtschaftswissenschaftler - wird immer unbeliebter. Was die Finanzinstitute schmerzt, nutzen Industriekonzerne freudig aus.

Von Andrea Rexer, Frankfurt

Charles Morris hätte es einfacher haben können. Statt beim Chemieriesen Bayer anzuheuern, hätte er Banker bleiben können. Dann hätte der junge Amerikaner aus Boston nicht in Windeseile Deutsch lernen müssen. Sechs Jahre hat der heute 32-Jährige in New York an der Wall Street gearbeitet. Und dann entschied sich Morris für eine Karriere bei einem deutschen Industrieunternehmen, zog von New York nach Leverkusen. Vor der Finanzkrise hätten ihn seine Freunde für diesen Schritt wohl belächelt. Heute nicken nur alle verständig mit dem Kopf. Banker sein ist nicht mehr das Nonplusultra. Und Morris ist mit seiner Entscheidung nicht allein. Er ist einer von vielen.

"Den Investmentbanken läuft der Nachwuchs weg", sagt Sabrina Tamm. Die quirlige Frankfurterin ist Personalberaterin und hat schon einigen Wechselwilligen einen neuen Job verschafft. "Für Banker sind Industrieunternehmen derzeit hochattraktiv, auch wenn sie schlechter bezahlen", so Tamm.

Dass bei den Banken vor allem das Investmentbanking vom Exodus betroffen ist, ist kein Zufall. Hier kommt viel zusammen: Der Ruf dieser Sparte hat in der Finanzkrise am meisten gelitten, die Arbeitszeiten sind nach wie vor enorm, dafür locken aber bei Weitem nicht mehr so hohe Boni wie früher. Hinzu kommt, dass junge Menschen immer häufiger die Sinnfrage stellen: Ist das, was ich im Job mache, mehr, als nur Geldverdienen? All das führe dazu, dass immer mehr junge, talentierte Banker die Seiten wechseln, glaubt die Personalberaterin. "Früher haben vor allem jene Banker gewechselt, die keine Chance auf einen Aufstieg in der Bank hatten. Heute gehen auch die größten Talente", stellt Tamm fest. Das schmerzt die Banken.

Vor allem junge Mitarbeiter verlassen die Banken

"Ich wollte näher an echten unternehmerischen Entscheidungen sein", führt Morris als einen der wichtigsten Gründe für seinen Wechsel an. Auch die Arbeitszeiten hätten natürlich eine wichtige Rolle gespielt, vor allem wenn es um die sogenannten Allnighters geht. Das sind durchgemachte Nächte, mit denen noch vor Kurzem junge Investmentbanker gern geprahlt haben. "Jetzt habe ich auch keinen Achtstundentag, vor allem wenn Fristen in wichtigen Projekten ablaufen, gibt es viel zu tun, aber das bewegt sich alles in einem vernünftigen Rahmen", so Morris. Nicht ein einzelner Faktor, sondern das "Gesamtpaket" habe den Ausschlag gegeben, betont der Bostoner.

Vor allem die jungen Mitarbeiter, die wie Morris zwischen drei und sechs Jahre Berufserfahrung haben, kehren den Banken oft den Rücken zu, obwohl die Geldhäuser sie eigentlich gern behalten würden, beobachtet Tamm. Das deckt sich mit einer aktuellen Befragung vom Wirtschaftsprüfer Deloitte unter Universitätsabsolventen: Viele Wirtschaftsstudenten würden das Investmentbanking nur mehr als Einstiegsjob sehen, würden aber schon im Voraus planen, nach etwa drei Jahren die Bankenbranche wieder zu verlassen, heißt es in der Studie.

Der Beruf Banker ist in der Beliebtheitsskala abgerutscht. Nur noch auf Platz 64 rangiert er bei Studienabsolventen. Das war früher noch anders: Vor der Finanzkrise lagen die Banker noch auf Platz 55 ( Grafik). Erstaunlich ist, dass die Banken noch in der Krise einen ersten Imageverlust wieder aufholen konnten, danach ging es jedoch in der Beliebtheitsskala wieder rapide abwärts.

"Nach der Krise waren die Erwartungen an die Banken hoch. Große Hoffnungen auf Veränderungen ließen sie in den Rängen aufsteigen. Nach und nach hat sich herausgestellt, dass die Banken den Anforderungen noch nicht oder nur vereinzelt gerecht werden können", sagt Hans-Jürgen Walter, der bei Deloitte den Bereich Finanzinstitute verantwortet. Die erneuten Einbußen auf der Rangliste erklärt er mit der Enttäuschung über die geringen strukturellen Anpassungen der Geschäftsmodelle und der Regulierung der Banken.

Und das Image der Banken spielt durchaus bei der Berufsentscheidung eine große Rolle: "Die jungen Banker legen inzwischen mehr Wert darauf, dass das, was sie tun, auch nachhaltig ist. Dass sie das bei den Banken nicht mehr sehen, hat viel mit deren Imageverlust seit der Finanzkrise zu tun", sagt Personalberaterin Tamm.

Das Investmentbanking ist besonders anfällig für Wechsel in die Unternehmenswelt, besonders die Beratung bei Fusionen und Übernahmen, im Jargon "M&A" (Mergers & Acquisitions) genannt, ist ein guter Weg, um andere Branchen kennenzulernen. Denn die Banker beraten Industriebranchen, durch ihre Beratungsprojekte gewinnen sie einen Einblick in verschiedene Unternehmen, ohne dort selbst beschäftigt zu sein. Junge Mitarbeiter nutzen das als Chance, um in eine Branche oder ein konkretes Unternehmen "hineinzuschnuppern".

Dax-Konzerne erhalten "sehr viele, sehr gute Bewerbungen"

Vor allem den Dax-Konzernen kommt diese Entwicklung zupass. Sie bauen ihre M&A-Abteilungen immer weiter aus. Dass ihnen die Banker derzeit regelrecht die Tür einrennen, beschleunigt den Prozess. "Wir haben sehr viele, sehr gute Bewerbungen", bestätigt Frank Rittgen, der Chef von Charles Morris. Er hat vor einigen Jahren begonnen, die M&A-Abteilung bei Bayer auszubauen. Früher kamen die Bewerbungen vor allem intern, jetzt kommen die meisten Anfragen von außerhalb.

Derzeit hat Rittgen rund 20 Mitarbeiter - und damit ein größeres M&A-Team als so manche Bank. Dadurch kann Bayer vieles im Haus erledigen, wofür andere teure Verträge mit Investmentbanken abschließen müssen. Und anders als viele Banken hat er kein Problem, sein Team gemischt mit Männern und Frauen zu besetzen. Denn viele erfolgreiche junge Frauen legen noch mehr Wert auf planbare Arbeitszeiten als ihre männlichen Kollegen, das zieht sie bei Unternehmen wie Bayer an.

"Rosige Karriereaussichten"

Bayer ist bei Weitem nicht der einzige Dax-Konzern, der mit seinen internen M&A-Abteilungen inzwischen den Banken ernsthaft Konkurrenz machen kann: Auch Siemens, BASF, Linde, Lufthansa oder Telekom haben in den letzten Jahren ihre Abteilungen enorm vergrößert.

Personalberaterin Tamm glaubt, dass die ehemaligen Banker in den Unternehmen rosige Karriereaussichten haben. Viele Dax-Konzerne hätten inzwischen verstanden, dass ihre M&A-Abteilung eine Führungsnachwuchstruppe sein könne. Und die Aussicht, später einmal eine Abteilung leiten zu können, ziehe noch mehr Talente an. Bei Bayer hätten die Mitarbeiter zwar nach wie vor anspruchsvolle Projekte und hoch motivierte Kollegen, aber das Arbeitspensum sei trotzdem nicht so exzessiv wie in einer Bank. Ob die Talente, die er abwirbt, von vornherein untypische Banker sind, vermag Rittgen nicht zu sagen. Aber eins hätten sie schon gemeinsam: "Es sind Leute, die eine andere Perspektive im Leben einnehmen wollen."

© SZ vom 12.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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