Nachruf:Der Monarch

Dieter Spethmann war Stahlmanager und Sonnenkönig in einer Person. Er ist mit 89 Jahren gestorben.

Von Karl-Heinz Büschemann

Damals, in den Siebziger- und Achtzigerjahren, als die Chefs der Montankonzerne an der Ruhr noch Typen waren, echte Charaktere, die keine Beraterschnösel von McKinsey um sich brauchten, sondern die alleine wussten, was für einen Traditionskonzern gut war, damals war auch die große Zeit von Dieter Spethmann. Spethmann stand fast zwei Jahrzehnte an der Spitze des Düsseldorfer Stahlkonzerns Thyssen und hat die Wirtschaft der Nachkriegszeit geprägt wie nur wenige, nicht zuletzt durch seine barock-autoritäre Persönlichkeit, wie sie heute nicht mehr denkbar ist. Am Dienstag ist der Vertreter einer Zeit, die unfassbar lange zurückzuliegen scheint, mit 89 Jahren in Düsseldorf gestorben.

"Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden", war einer seiner Leitsätze, und über sein eigenes Leben hat er sogar ein Buch geschrieben, das er wenig bescheiden für historisch hielt. "Ich schreibe Geschichte", hat er den Verlegern entgegengehalten, die das Werk angeblich nicht drucken wollten, weil zu wenig Enthüllendes drinstand, was hätte Leser anziehen können.

Spethmann konnte auf die hohe Zeit der Deutschland AG zurückblicken, in der alle miteinander kungelten und in der die Stahlmanager hinter gepolsterten Türen des Düsseldorfer Industrieklubs ihre Kartelle besprachen. Es war die Zeit, in der alle mit allen paktierten und gegeneinander kämpften und in der alle ihre liebe Not hatten, an schweren Verlusten vorbeizukommen. Die Achtzigerjahre waren die Zeit einer bösen Stahlkrise, und es gab zwei Sorten von Unternehmen. Den einen ging es bedrohlich miserabel, zum Beispiel Krupp oder Klöckner. Andern ging es besser, und Thyssen unter Spethmann stand unter den Schlechten immer am weitaus besten da. Dieser Mann konnte es sich leisten, viele Gegner zu haben. Spethmann war lange der Chef des deutschen Stahlverbandes, der die Interessen aller zu vertreten hatte. Das hinderte ihn nicht daran, auch mal einen lästigen Konkurrenten aus dem Verein herauszuwerfen.

Spethmann hatte es geschafft, einen aufwendigen Führungsstil zu pflegen, der ihm den Beinamen "Sonnengott von der Ruhr" einbrachte. Hämisch berichtete der Spiegel 1989, dass sich Spethmann in der Düsseldorfer Thyssen-Zentrale angeblich einen eigenen Aufzug von der Tiefgarage in den 19. Stock einbauen lassen wollte. Das Vorhaben sei nicht am Geld, sondern an der Statik gescheitert.

Er war ein Kritiker von Vielem. Ein Typ mit Charakter, wenn auch ein einsamer

Aus dieser Zeit ist fast alles vergessen. Thyssen gibt es nicht mehr. Die Stahlfirma ist längst unter das Dach des Essener Konkurrenten Krupp geschlüpft, an dessen Spitze damals noch Spethmanns großer Gegenspieler Berthold Beitz stand.

Das neue Unternehmen trägt zwar noch Thyssen im Namen, ist aber längst aus dem eleganten Dreischeibenhochhaus in Düsseldorf ausgezogen und an den Krupp-Stammsitz nach Essen verlegt worden. Spethmann selbst hatte zu seiner aktiven Zeit noch erfolglos versucht, es andersherum zu machen und Krupp zu kaufen. Zu gerne hätte er den Krupp-Patriarchen Beitz überstrahlt.

Geboren wurde Dieter Spethmann am 27. März 1926 in Essen. Der Sohn eines Wirtschaftshistorikers konnte gleich nach dem Kriegsdienst im Jahre 1945 ein Jurastudium aufnehmen und hatte mit 22 Jahren den Doktortitel in der Tasche. Der junge Mann mit der Kriegserfahrung und einem ausgeprägten Streben nach Höherem, kam 1955 zu Thyssen. Im Jahre 1973 hatte er es geschafft und wurde Vorstandsvorsitzender des Unternehmens.

Spethmann hat sich mit vielen angelegt, zum Beispiel mit seinem Vorgänger bei Thyssen, dem legendären Hans-Günther Sohl, der in der Nachkriegsrepublik eine Institution war. Auch mit dem unscheinbaren, aber kompetenten Heinz Kriwet, der bei Thyssen sein Nachfolger wurde, konnte er nicht. Am Ende verhinderten seine Gegner, dass Spethmann im Jahr 1991 neuer Aufsichtsratsvorsitzender wurde. Der hatte sich das Ende seiner Karriere bei Thyssen damals nicht vorstellen können. Er schmollte, wurde Anwalt in Düsseldorf, betätigte sich als Berater und übernahm zahllose Aufsichtsratsmandate, wohl auch um zu zeigen, dass sein Wort überall Gewicht hat, wenn es schon bei Thyssen nichts gelte.

Später wurde der Umtriebige zum Kritiker von vielem. Die deutsche Wiedervereinigung sei mit dem Wechselkurs von eins zu eins falsch gemacht worden, sagte er, und war mit dieser Meinung noch im Einklang mit vielen in der Wirtschaft. Mit Angela Merkels Politik könnten Griechenland und andere Länder nicht gesunden, war seine Meinung: "Wohl aber schwächt diese Politik Deutschland." Gemeinsam mit dem Linken-Politiker Oskar Lafontaine, dem CSU-Mann Peter Gauweiler und dem Tübinger Wirtschaftsprofessor Joachim Starbatty zog Spethmann 2009 vor das Bundesverfassungsgericht. Er war der Meinung, der Lissabonner Vertrag schränke die Souveränität der Bundesrepublik unerlaubt ein. Zwei Jahre später zog er wieder nach Karlsruhe, um die Rechtmäßigkeit der deutschen Griechenlandhilfe in Zweifel zu ziehen. Bis zuletzt blieb Dieter Spethmann ein Typ mit Charakter, wenn auch ein einsamer.

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