Nach der Finanzkrise:Alles andere als normal

Die Banken haben ihr komplettes Geschäftsmodell verloren. Doch nun, da das Schlimmste vorbei ist, breitet sich eine gefährliche Illusion von Normalität aus.

Nikolaus Piper

Können Menschen aus der Geschichte lernen? Die Finanzkrise legt, zum Beginn ihres dritten Jahres, auf diese Frage eine Reihe von Antworten nahe. Einige sind sehr ermutigend, andere eher ernüchternd.

Gift, Grafik: sueddeutsche.de

In den Bilanzen der Banken befinden sich immer noch toxische Papiere, doch insgesamt hat sich die Finanzbrache schon wieder stabilisiert.

(Foto: Grafik: sueddeutsche.de)

Das Negative zuerst: Viele wichtige Leute in den Banken scheinen wirklich noch nicht begriffen haben, um was es geht. Sie tun so, als sei diese Krise eine Panne, nach der man weitermachen könne wie vorher. Das Problem dabei ist nicht, dass Goldman Sachs oder die Deutsche Bank Gewinne machen; das sollten sie durchaus. Das Ärgernis liegt darin, dass sich die Branche so verbissen gegen wirksame Reformen wehrt.

Die Banker müssten wissen, dass sie nur mit Hilfe der Steuerzahler einen der größten Einbrüche der Geschichte überlebt haben, vergleichbar nur mit der Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933, der langen Depression nach dem großen Börsenkrach von 1873 und der Serie von Krisen, die Europa im Zuge der Napoleonischen Kriege heimgesucht hat. Alle diese Wirtschaftskrisen haben tiefgreifende politische, geistige und gesellschaftliche Veränderungen nach sich gezogen. Auch diesmal wird es kein Zurück zur Zeit vor 2008 geben. Das Ausmaß der politischen Veränderungen, die noch kommen werden, mag erahnen, wer den Auftritt Chinas bei der Klimakonferenz von Kopenhagen beobachtet hat.

Zunächst geht es aber um viel Näherliegendes: Das komplette Geschäftsmodell der Finanzbranche, so wie es sich im Laufe der vergangenen 20 Jahre entwickelt hat, hat in der Öffentlichkeit seine Legitimität verloren. Paul Volcker, einst Chef der US-Notenbank, sagte jüngst, die einzige sinnvolle Finanzinnovation der vergangenen Jahre, die ihm einfalle, sei der Geldautomat. Die Aussage mag übertrieben sein, aber sie zeugt von der Wut, die auch bedächtige Leute in diesen Tagen haben. Und sie trifft den Punkt: Ein wesentlicher Teil dessen, was die Investmentbanken bis 2008 getrieben haben, war ohne jeden Nutzen für den Rest der Welt. Der Markt fiel als Korrektor des Fehlverhaltens aus, weil die Branche unter dem Schutz impliziter Staatsgarantien arbeitete.

Nun, da die Regierungen den Finanzsektor gerettet haben und das Schlimmste vorbei ist, breitet sich eine gefährliche Illusion von Normalität aus. Tatsächlich hängen die Institute auf Gedeih und Verderb vom Geld der Notenbanken und Regierungen ab, und zwar alle, nicht nur Institute wie Citigroup und Commerzbank, an denen der Staat direkt beteiligt ist. Ihre eigentliche Funktion für das Gemeinwesen - die Bereitstellung von Kredit - können die Banken nur erfüllen, wenn sich nicht schon wieder neue Spekulationsblasen bilden. Besonders in Europa sind die Problemfälle in den Bankbilanzen noch gigantisch, wie die BayernLB gerade wieder bewiesen hat.

Ganz sicher aus der Geschichte gelernt hat die Politik. Dass der Sturz in den Abgrund durch internationale Aktionen gestoppt wurde, ist eine Errungenschaft von historischem Rang. Für die politische Hygiene wäre es enorm wichtig, dass diese Tatsache nicht so schnell vergessen wird. Das Magazin Time kürte den US-Notenbankpräsidenten zum "Mann des Jahres". Ben Bernanke bekam diese Auszeichnung zu Recht, denn er hatte mit brutaler Konsequenz die Lehren aus der Weltwirtschaftskrise gezogen und verhindert, dass sich diese wiederholt. Ein Teil des Ruhmes steht aber auch den Regierungen in Amerika und Europa zu. Es war auch ein riesiger Schritt, dass Industrie- und Schwellenländer die G20 als Steuerungsausschuss für die Weltwirtschaft etabliert haben. Der Weltfinanzgipfel der G20 in Pittsburgh hat sehr Weitsichtiges zur Bankenregulierung beschlossen.

Worte, nichts als Worte

Nur haben diese Beschlüsse eben noch nirgendwo Gesetzeskraft. Und genau hier scheint die Politik mit ihren Lehren aus der Geschichte an die Grenzen zu kommen. Die Verwirklichung der sehr guten Absichten stockt - zum Teil, weil die Details schwierig sind, zum Teil wegen des Widerstands der Lobby, zum Teil, weil Politiker inzwischen schon wieder andere Prioritäten haben. Am wichtigsten vielleicht: Für die gegenwärtige Situation lassen sich keine Handlungsanleitungen aus der Geschichte gewinnen. Es ist eine Sache, einen Großbrand zu löschen, eine ganz andere, hinterher wirksamen Brandschutz durchzusetzen. Im ersten Falle zählt schnelles Handeln, im zweiten kommt es auf Details an, die nur noch Experten verstehen. Dafür sind schwer Mehrheiten zu organisieren. Und vielen Leuten fällt bei der Gelegenheit ein, dass Brandschutz viel Geld kostet.

Neue Alarmsignale

Als Konsequenz der großen Krise steuert die Politik heute de facto die Wirtschaft. Und damit ist sie latent überfordert. Das erlebte Angela Merkel beim Thema Opel, das erlebt in diesem Winter besonders US-Präsident Barack Obama. Seine Politik hat unzweifelhaft dazu beigetragen, das Schlimmste abzuwenden. Aber jetzt ist die Krise zu seiner geworden; deren Symptome, vor allem die immer noch steigenden Arbeitslosenzahlen, werden ihm zugerechnet. Reformpolitik unter diesen Voraussetzungen ist extrem schwierig.

Tatsächlich wird die Politik durch die Krisenfolgen noch auf Jahre hinaus bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit getestet werden. Dabei geht es nicht nur darum, die strengeren Finanzmarktregeln auch wirklich durchzusetzen. Mindestens ebenso wichtig wird es sein, das Vertrauen in die Staatsfinanzen, Währungen und den Prozess der Gesetzgebung insgesamt zu sichern. Alarmsignale gibt es genug: die Krise in Griechenland, das Schuldenmoratorium von Dubai, die extreme Haushaltslage in Irland, Italien und vielen osteuropäischen Ländern, der drohende Bankrott von Kalifornien und anderen US-Bundesstaaten.

Auch reiche Länder können ihren Staatshaushalt ruinieren. So weit ist es heute weder in den USA noch in Deutschland. Aber es ist gefährlich, dies als Selbstverständlichkeit zu nehmen. Der dysfunktionale politische Prozess in Washington, wie er sich beim Streit um die Gesundheitsreform zeigt, ist angesichts der Rekordverschuldung im US-Haushalt eine latente Bedrohung für die Weltwirtschaft. Die deutschen Staatsfinanzen sind im internationalen Vergleich immer noch gesund, aber das ist keine Garantie für die Zukunft. Die Bundesregierung braucht, nach ihrem Fehlstart, dringend eine überzeugende, mittelfristige Strategie für den Schuldenabbau.

Nach dem Ersten Weltkrieg errang US-Präsident Warren Harding einen überwältigenden Wahlsieg, indem er versprach, nach Kriegs- und Staatswirtschaft schnell zur "Normalität" zurückzukehren. Harding gilt heute als einer der schlechtesten Präsidenten, den die USA je hatten; sein Versprechen kam zur Unzeit und trug dazu bei, dass ein paar Jahre nach seinem Tod die Weltwirtschaftskrise ausbrach. Von seinem Beispiel ist zu lernen, dass sich die Politik jetzt auf keinen Fall dem Anschein der Normalität hingeben darf. Der Prozess der Normalisierung wird lange dauern und es bedarf aller Kraft, um ihn zum Erfolg zu führen.

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