Musterverfahren:Telekom-Kläger brauchen Geduld

16.000 Kleinaktionäre klagen gegen die Deutsche Telekom. Nach sieben Jahren beginnt der wohl größte Prozess der Justizgeschichte. Bis zu einem Urteilsspruch kann es noch viele weitere Jahre dauern.

Markus Zydra

Eigentlich ist es ein ganz normaler Zivilprozess: Am Montag beginnt vor dem 23. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt das Verfahren zwischen Privatanlegern und Deutscher Telekom.

Musterverfahren: Das Frankfurter OLG hat sich zum Ziel gesetzt, einen Streitkatalog von 187 Punkten abzuarbeiten.

Das Frankfurter OLG hat sich zum Ziel gesetzt, einen Streitkatalog von 187 Punkten abzuarbeiten.

(Foto: Foto: dpa)

Ein ganz normaler Prozess, bis auf eine Kleinigkeit: Der Paragraph 278 der Zivilen Prozessordnung (ZPO) findet keine Anwendung. Die Folge: "Der Richter muss nicht auf eine gütliche Einigung der Streitparteien hinwirken, wie es ansonsten bei einer solchen Streitigkeit der Fall ist", sagt der Tübinger Rechtsanwalt Andreas Tilp. Die Kontrahenten können sich also über 17 Verhandlungstage bis in die Untiefen der Gesetzbücher bekämpfen - und werden es wohl auch tun.

Zu lange schon schwelt der Streit, zu politisch ist die ganze Frage: Hat die ehemals staatliche Telekom in ihrem Börsenprospekt zur Emission der dritten Aktientranche im Mai 2000 Fakten unterschlagen? Und ergeben sich daraus Schadensersatzansprüche für etwa 16.000 private Kläger, die in 2700 Verfahren gegen den Bonner Konzern vorgehen?

Ein Prozess für viele

Es ist das größte Verfahren der deutschen Justizgeschichte. Der schieren Klagemasse wegen hat der Gesetzgeber eigens für diesen Prozess mit dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) neue Vorschriften erlassen - die den Richter auch von besagter Pflicht zur Hinwirkung auf eine Einigung befreien. Viel wichtiger ist jedoch:

Ein Prozess nach KapMuG hat Mustercharakter und färbt damit auf alle Verfahren ab - es ist ein Prozess für viele: Stellt der Richter fest, dass die Telekom Fehler im Börsenprospekt gemacht hat, dann bekommen die 16.000 Kläger endlich etwas Konkretes in die Hand. Ob sie damit ihre individuellen Verfahren später auch gewinnen, ist nicht garantiert, aber wahrscheinlicher geworden. Wann jeder einzelne Kläger schließlich sein Urteil in Händen halten kann, ist völlig offen.

Seit 2001 laufen die Klagen - es könne weitere zehn Jahre dauern, meint Tilp, dessen Kanzlei den Musterkläger vor dem OLG Frankfurt vertritt. Bis dahin sterben viele Kläger, es sei denn, man einigt sich gütlich - doch danach sieht es nicht aus.

Fortsetzung auf der nächsten Seite: 120 Millionen Dollar gingen an US-Anleger - in Deutschland windet sich der Konzern.

Telekom-Kläger brauchen Geduld

Dabei hat die Deutsche Telekom im Jahr 2003 klagenden US-Anlegern 120 Millionen Dollar überwiesen. Das amerikanische Recht ist schärfer gefasst - hier in Deutschland windet sich der Konzern nach allen Regeln der Kunst. Die Bonner Staatsanwaltschaft hat ihre Ermittlungen gegen die Telekom im Juni 2005 zwar eingestellt, gleichzeitig aber einen hinreichenden Tatverdacht festgestellt bezüglich Bilanzmanipulation und Kapitalanlagebetrug. Die Einstellung des Verfahrens hatte prozessökonomische Gründe - der Staat sah die Ermittlungsarbeit als zu teuer an, was häufiger passiert in Deutschland -, daher sei es eine Einstellung zweiter Klasse gewesen, wie Tilp meint. Schließlich habe die Telekom auch fünf Millionen Euro als Geldauflage bezahlt.

Prominente Zeugen sind geladen in der zweiten Aprilwoche, darunter Ron Sommer, der damalige Vorstandschef, sein Nach-Nachfolger Kai-Uwe Ricke und der noch amtierende Finanzvorstand Karl-Gerhard Eick. Sie sollen erläutern, was sie wussten zum Zeitpunkt der Erstellung des Börsenprospekts im Mai 2000 - und zwar über die bevorstehende, sehr teure Übernahme des US-Mobilfunkkonzerns Voicestream im Jahr 2001. Die Kläger behaupten, die Telekom hätte davon gewusst und es den zeichnenden Anlegern vorenthalten; das ist Basis der Prospekthaftungsklage. Im Börsenprospekt müssen alle relevanten Konzerninformationen aufgelistet sein, aber im Prospekt stand nichts davon.

Die Telekom-Aktien dieser dritten Tranche waren zum Preis von 63,50 Euro aus dem Bestand der bundeseigenen Bank KfW an die Anleger verkauft worden, derzeit werden die Papiere bei rund elf Euro gehandelt (Chart). Die teure Voicestream-Übernahme gilt als letztes Fanal der Telekom-Euphorie dieser Jahre. Zuvor hatten die europäischen Telekomkonzerne schon horrende Milliardenbeträge für später recht wertlose UMTS-Lizenzen ausgegeben. Für Telekom-Aktionäre war der rapide Wertverfall besonders bitter: Ihnen waren die Titel als Volksaktie angetragen worden, als Papier, das als sicher gelten sollte vor Wertverlusten - die Marketingaktion mit dem beliebten Schauspieler Manfred Krug trug das ihre zu diesem Irrglauben bei.

Sieben lange Jahre

Schon im April 2001 gab es die erste Klage gegen den Konzern, die mündliche Verhandlung fand aber erst im November 2004 statt - die zweite mündliche Verhandlung wurde in zehn Pilotverfahren mit mehreren Kanzleien gebündelt, bevor auf Basis des KapMuG nun ein Mandant der Kanzlei Tilp als Musterkläger firmiert. Wichtig ist für Betroffene, die noch nicht geklagt haben: Die Verjährungsfrist für eine Prospekthaftungsklage beträgt drei Jahre seit Veröffentlichung des Prospekts - dieser Zug ist damit abgefahren. Anders sieht es bei einer Klage wegen Kapitalanlagebetrug aus. Hier tritt die Verjährung 2008 ein.

Das Frankfurter OLG hat sich zum Ziel gesetzt, einen Streitkatalog von 187 Punkten abzuarbeiten. Darin geht es neben der Voicestream-Frage beispielsweise auch um die strittige Immobilienbewertung der Telekom in den Geschäftsberichten 1995 bis 1997. Dieser Streitpunkt könnte einen Kapitalanlagebetrug begründen, doch ist vorab mit einem Stellungskrieg der Gutachter beider Seiten zu rechnen - das kann Jahre dauern. Der Streitwert aller anhängigen Verfahren gegen die Telekom beträgt Anwälten zufolge 80 Millionen Euro. Bezogen auf den betriebenen Aufwand klingt das wie ein lächerlicher Betrag. Vielleicht hilft der OLG-Richter ja doch bei der gütlichen Einigung: Er muss zwar nicht, aber er darf.

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