Musterprozess in Bonn:US-Pensionsfonds verklagen Deutschland

Haben die Verantwortlichen in den komplexen Handelsketten den Überblick verloren oder gezielt getrickst? Banken und Broker hinter einigen Aktiendeals stehen im Verdacht, zu hohe Steuererstattungen zu fordern oder schon kassiert zu haben. Zwei US-Fonds pochen auf die Rechtmäßigkeit ihrer Forderungen - und verklagen die Bundesrepublik.

Von Klaus Ott

Die Klagen aus Amerika, die demnächst am Landgericht Bonn verhandelt werden, sind auf den ersten Blick keine besonders bedeutenden Fälle. Zwei US-Pensionsfonds wollen Schadensersatz von der Bundesrepublik Deutschland, weil der deutsche Fiskus Steuererstattungen bei Aktiengeschäften verzögere. Die Streitwerte betragen nach Angaben des Gerichts insgesamt rund 930.000 Euro, also nicht einmal ein Millionenbetrag. Prozesse dieser Größenordnung sind nichts Ungewöhnliches.

Allerweltsklagen also? Mitnichten!

In Bonn zeichnet sich vielmehr ein Musterprozess ab. Von seinem Ausgang könnte abhängen, ob der deutsche Fiskus bei bestimmten Aktiendeals Steuereinnahmen in großer Höhe wieder herausrücken muss - oder ob er viele Milliarden Euro an Kapitalertragsteuer zurückverlangen darf, weil der Staat bei den Aktiendeals ausgetrickst wurde. Es geht um das "Dividenden-Stripping". Dabei kaufen Unternehmen Aktien kurz vor der Dividendenausschüttung auf und veräußern sie danach gleich wieder. Der Fiskus glaubt, bei solchen Geschäften von Banken und deren Partnern systematisch um große Summen betrogen worden zu sein.

Der angebliche Trick soll so funktioniert haben: Dividendenerlöse auf Aktien unterliegen der Kapitalertragsteuer. Diese Abgabe wird später mit anderen vom Fiskus kassierten Steuern verrechnet. Zu viel gezahlte Beträge werden von den Finanzbehörden gegen Vorlage einer Bescheinigung erstattet, die bestätigt, dass zuvor bei anderen Geschäften Kapitalertragsteuer abgeführt wurde.

Finanzbehörden verloren Überblick

Komplizierte Aktiendeals in kürzester Zeit über mehrere Stationen im In- und Ausland sollen dazu geführt haben, dass Banken und deren Partner mehr Bescheinigungen über gezahlte Kapitalertragsteuern ausstellten, als an den Fiskus überwiesen wurden. Die Finanzbehörden sollen den Überblick verloren und Steuern erstattet haben, die sie gar nicht kassiert hatten. Eine Gesetzeslücke, die das ermöglicht hat, wurde erst 2012 geschlossen.

Der Fiskus untersucht nach Angaben des Bundesfinanzministeriums mehrere Geschäfte dieser Art. Auch die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt wegen schwerer Steuerhinterziehung in einem großen Verfahren, das vor allem die Hypo-Vereinsbank (HVB) betrifft - und nebenbei auch das Schweizer Geldinstitut Sarasin. Nun wird am 12. Juni in Bonn erstmals öffentlich über Steuerrückerstattungen auf Aktiengeschäfte verhandelt: In dem Fall, in dem ebenfalls die Bank Sarasin vorkommt, wird formal um 930.000 Euro gestritten, letzten Endes geht es aber um 106 Millionen Euro.

Luxemburger Fonds wirft Behörden Verzögerungstaktik vor

Das Geschäft, das in Bonn verhandelt wird, lief so ab: Die Schweizer Privatbank Sarasin besorgte von Anlegern auch aus Deutschland 250 Millionen Euro für ein vermeintlich renditesicheres Investment. Sarasin wollte sich zu dem Vorgang auf Anfrage nicht äußern. Über einen Luxemburger Fonds wurde das Geld dem Vernehmen nach an sechs Pensionsfonds aus den USA weitergereicht. Die besorgten sich zusätzliche Mittel als Darlehen und handelten 2011 in Milliardenhöhe mit Aktien. Die Papiere wurden kurz vor der Ausschüttung der Dividenden gekauft und anschließend gleich wieder veräußert. Nach diesem "Dividenden-Stripping" beantragten die US-Pensionsfonds beim deutschen Fiskus die Erstattung von Kapitalertragsteuern.

Das Bundeszentralamt für Steuern in Bonn zögert aber seit zwei Jahren zu zahlen. Bei den beiden US-Fonds, die klagen, geht es um zusammen 106 Millionen Euro. Eine dritte Klage soll bereits unterwegs sein. Drei weitere US-Fonds sind betroffen. Insgesamt dürften mehrere hundert Millionen Euro strittig sein. Das Bundeszentralamt hat den Pensionsfonds schon vor knapp einem Jahr geschrieben, man müsse den Sachverhalt erst aufklären. Das sei schwierig und brauche viel Zeit.

Die US-Fonds wiederum wollen nicht länger warten. Nach Angaben des Luxemburger Fonds, der zwischen Sarasin und die US-Fonds geschaltet war, seien nachweislich Steuern entrichtet worden. Diese müssten erstattet werden. Alle gesetzlichen Voraussetzungen seien erfüllt und nachgewiesen. Es liege keine Steuerhinterziehung vor. Das Bundeszentralamt verzögere aber mit "ausschweifenden, unsachgemäßen Prüfungsfragen" die Auszahlung und verhalte sich somit rechtswidrig, sagt der Luxemburger Fonds-Manager.

Würde die Behörde die Steuererstattung ablehnen, könnten die US-Fonds versuchen, das Geld beim zuständigen Finanzgericht Köln einzuklagen. So aber müssen die US-Fonds einen Umweg gehen: Sie machen beim Landgericht in Bonn geltend, sie hätten die 106 Millionen Euro längst zurückbekommen müssen und mit dem Kapital Zinsen erwirtschaften können. Den Zinsschaden wollen sie ersetzt haben. So soll das Bundeszentralamt für Steuern gezwungen werden, endlich zu zahlen.

Mit solchen Geschäften befasste Steueranwälte sagen, sollten in einzelnen Fällen zu hohe Steuererstattungen beantragt und kassiert worden sein, dann unabsichtlich. Die Handelsketten beim "Dividenden-Stripping" seien so komplex gewesen, dass niemand mehr durchgeblickt habe. Was es mit den Geschäften der US-Fonds und anderen Aktiendeals auf sich hat, das muss nun die Justiz entscheiden.

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