Musik-Streaming :Flucht an die Börse

Lesezeit: 3 min

Hans-Holger Albrecht, Bruder von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, hat für Unternehmen der Medien- und Telekombranche gearbeitet. (Foto: Eric Piermont/AFP)

Der frühere RTL-Manager Albrecht will den Musikdienst Deezer an die Börse bringen. Dafür braucht er Geld.

Von Leo Klimm, Paris

Hans-Holger Albrecht ist ein lockerer Typ. Das Hemd offen, die Jeans verwaschen, am Handgelenk glitzert ein Armband. Die Fotografen müssen ihn gar nicht bitten, neben dem Logo seiner Firma zu posieren - er tut es von allein. Und lächelt. Hans-Holger Albrecht ist mindestens so sehr Medienprofi wie seine Schwester, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Schließlich hat er lange als Fernsehmanager gearbeitet. Alles an ihm wirkt an diesem Morgen in Paris entspannt. Als sei die Aufgabe, die Albrecht lösen soll und die er gleich verkünden wird, ein Selbstläufer. Wenn es irgendein Zeichen geben sollte, dass er doch nervös ist, dann ist es das ständige Nippen an seinem Wasserglas.

Die Aufgabe, die Albrecht lösen soll, besteht darin, das Pariser Startup Deezer als großen Onlinedienst für Musikstreaming zu etablieren - gegen die scheinbar übermächtigen Konkurrenten Apple und Spotify. Dafür braucht der Deezer-Chef frisches Geld. Und das soll, so die Ankündigung am Dienstag, noch vor Jahresende mithilfe eines Börsengangs eingesammelt werden.

"Streaming ist die Zukunft", wiederholt Albrecht gebetsmühlenartig. "Und Streaming wächst sehr schnell." Das Abspielen von Musik und anderen Angeboten über Smartphones und Computer, ohne dass Dateien heruntergeladen werden müssen, werde alle anderen Formen des Audio-Konsums verdrängen. Tatsächlich wächst der Markt aber so rasant, dass Deezer jetzt ziemlich schnell ziemlich groß werden muss, um mit den finanzkräftigeren Wettbewerbern mitzuhalten. "Wir wollen der erste reine Streaminganbieter an der Börse sein", sagt Albrecht. Eine Anspielung auf Branchengerüchte, denen zufolge auch der schwedische Marktführer Spotify eine Erstnotiz anstrebt.

Der Deezer-Börsengang ist eine Flucht nach vorn.

Noch schweigt Albrecht dazu, wie viel die Ausgabe neuer Anteile über die Pariser Börse einspielen soll. Analysten schätzen, dass das Unternehmen eine Milliarde Euro wert ist. Das ist viel für ein unprofitables Startup. Aber es ist wenig verglichen mit dem ebenso unprofitablen Rivalen Spotify, der kürzlich in einer privaten Finanzierungsrunde 500 Millionen Dollar bei Investoren einwarb und damit insgesamt mit rund 8,5 Milliarden Dollar bewertet wird. Und während Spotify mehr als 15 Millionen zahlende Abonnenten hat, kommt Deezer nur auf 6,3 Millionen.

Das Geld, das Albrecht reinholen will, soll den massiven Ausbau des globalen Deezer-Vertriebs ermöglichen. Obwohl es das Angebot in 180 Ländern gibt, stammt fast die Hälfte des Jahresumsatzes von zuletzt 142 Millionen Euro allein aus Frankreich. "Die Anzahl der globalen Abonnenten ist lächerlich klein", räumte Deezer-Gründer Daniel Marhely neulich ein. Als er 2007 das Unternehmen startete, zählte es zu den Pionieren des Streamings. Jetzt muss Hans-Holger Albrecht dafür sorgen, dass die Firma nicht abgehängt wird.

"Der Börsengang ist nur Mittel zum Zweck, er soll ein Startpunkt sein", sagt Albrecht. "Mich interessiert die Entwicklungsarbeit." Albrecht - 52 Jahre, Vater von sieben Kindern, wohnhaft in London und in der Steiermark - hat einige Erfahrung mit der Entwicklung von Unternehmen: Er baute die RTL-Gruppe mit auf, leitete den schwedischen Medienkonzern Modern Times Group. Zuletzt baute er als Chef der Holding Millicom den Mobilfunk in Afrika aus. Bei Deezer, wo er im Februar angefangen hat, ist allerdings keine Zeit für eine behutsame Entwicklung. Der Eintritt von Apple in den Streamingmarkt vor drei Monaten setzt das Startup noch stärker unter Druck.

Nach Albrechts Angaben will von den gegenwärtigen Deezer-Investoren keiner den Börsengang zum Ausstieg nutzen. Zu den Alteignern zählen neben dem Milliardär Leonard Blavatnik der Telekomkonzern Orange und die Musiklabels Warner, Universal und Sony. Sein Versprechen an sie und an die künftigen Aktionäre lautet: Ende 2018 schreibt Deezer schwarze Zahlen, bei einem Jahresumsatz von mindestens 750 Millionen Euro.

Die heutige Schwäche - die Fokussierung auf einen Markt - will Albrecht bis dahin in eine Stärke verkehren. So soll Deezer sich durch Angebote von Apple und Spotify abgrenzen, die lokale Vorlieben der Kunden bedienen. "Die Geschmäcker sind sehr verschieden", sagt Albrecht. "Die Deutschen zum Beispiel lieben Hörbücher, die Franzosen Talksendungen, die Briten Comedyshows." Auf diese Weise will Albrecht der Konkurrenz zumindest ein wenig aus dem Weg gehen. Und Deezer trotzdem groß machen. Albrecht glaubt: "Auf diesem Markt gilt nicht: Es kann nur einen geben." Der Börsengang wird zeigen, ob die Investoren das auch glauben.

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: