Munich Re:"Wir sind spät dran"

Munich Re: Das Hauptgebäude der Münchener Rück: 1913 war es bezugsfertig. Hier arbeitet bis heute der Vorstand des weltweit größten Rückversicherers.

Das Hauptgebäude der Münchener Rück: 1913 war es bezugsfertig. Hier arbeitet bis heute der Vorstand des weltweit größten Rückversicherers.

(Foto: Munich Re)

Munich-Re-Chef Nikolaus von Bomhard hat von Historikern die Firmen-Geschichte aufarbeiten lassen. Der Rückversicherer profitierte demnach im Dritten Reich indirekt von den Geschäften der Nazis.

Von Caspar Busse

Einiges ist bereits verloren gegangen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Zentrale der Münchener Rück von den Amerikanern in ein Militärhospital umgewandelt. Die Angestellten des Versicherungskonzerns mussten das Gebäude in nur zwei Tagen räumen, eine große Menge historisch wertvoller Akten mit einem Gewicht von mehr als 15 Tonnen ging in den Wirren verloren. Ein Teil der Unterlagen überstand zwar die Fremdnutzung durch die Amerikaner. Sie wurden dann aber 1979 vernichtet, "aus Ignoranz und Gleichgültigkeit", wie es heute heißt. Man glaubte damals bei der Münchener Rück, die Erforschung der eigenen Geschichte sei abgeschlossen.

Ein Trugschluss. Vor mehr als fünf Jahren beauftrage Nikolaus von Bomhard, Vorstandsvorsitzender der Munich Re (wie der weltweit größte Rückversicherer inzwischen heißt), die beiden Historiker Johannes Bähr und Christopher Kopper mit der Aufarbeitung der Geschichte. Seit 2010 haben sich die beiden durch die Archive und die Unterlagen des Konzerns gewühlt - soweit sie noch verfügbar waren. An diesem Montag stellten sie in München das 462-Seiten-Werk "Munich Re - Die Geschichte der Münchener Rück 1880 bis 1980" vor. "Es ist nicht eine dieser üblichen Firmenjubelgeschichten", betonte Geschichtsprofessor Bähr, der bereits die Geschichte des Flick-Konzerns, von MAN oder Robert Bosch untersucht und zuletzt eine Biografie über den Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto geschrieben hat. Die Bilanz: Die Münchener Rück sei zwar an der Ausraubung jüdischer Versicherungsnehmer und an SS-Geschäften nicht direkt beteiligt gewesen, habe aber durchaus indirekt davon profitiert, sagte Christopher Kopper, der unter anderem das Buch "Bankiers unterm Hakenkreuz" geschrieben hat und dessen Vater Hilmar lange Chef der Deutschen Bank war. Der Konzern habe auch keinen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik ausgeübt und sei nicht an der Umsetzung der nationalsozialistischen Rassenpolitik beteiligt gewesen.

Die Allianz ließ bereits 2001 ihre Vergangenheit vom US-Historiker Gerald Feldman untersuchen

"Wir sind spät dran", gestand Konzernchef Bomhard am Montag ein. Die Aufarbeitung sei aber "ganz wichtig, auch für die jungen Leute bei uns im Unternehmen", auch wenn noch viele Fragen unbeantwortet seien. Der Konzern hatte in der Tat lange gezögert. Die Allianz hatte bereits 2001 ihre Vergangenheit, vor allem die Nazi-Zeit, vom amerikanischen Historiker Gerald Feldman umfassend untersuchen lassen. "Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft 1933-1945" ist quasi zu einem Standardwerk für die deutsche Assekuranz geworden. Nun folgt die Munich Re, die sich als Versicherer der Versicherer auch nicht in der ersten Reihe sieht.

1933 gab es in der Münchener Rück lediglich eine jüdische Mitarbeiterin, die 1937 pensioniert wurde, berichtetet Kopper, besonders antisemitische Haltungen seien nicht festgestellt worden. Jüdische Versicherungskunden mussten damals Lebensversicherungen mit hohem Verlust auflösen, um etwa ihre Auswanderung zu finanzieren. Davon habe die Münchener Rück indirekt profitiert, weil die Geschäfte ihrer Kunden, also der Erstversicherer, dadurch besser ausfielen. Zudem habe der Konzern Mietshäuser in München erworben, die jüdische Bürger in ihrer Notlage unter Wert verkaufen mussten.

Etwa ein Fünftel der Beschäftigten seien NSDAP-Mitglieder gewesen, das sei innerhalb der Firma aber zweitrangig gewesen. An der Spitze sah das anderes aus: Wilhelm Kißkalt, der den Versicherer bis 1937 führte und ein "staubtrockener Jurist" war, trat schon 1933 in die Partei ein, genau wie der Aufsichtsratsvorsitzende August von Finck. Der Nachfolger von Kißkalt, Kurt Schmitt, der von der Allianz kam, war zuvor Reichswirtschaftsminister und ein enger Freund von Hermann Göring gewesen. Schmitt sei aber, so Kopper, zunehmend entsetzt über die Politik der Nazis, vor allem in Polen, gewesen. Er könne als "opportunistisch, aber nicht als völlig gewissenlos" bezeichnet werden.

Alois Alzheimer war Konzernchef von 1950 bis 1968, er hatte "erstaunlich viele Persilscheine"

Ob das auch für Alois Alzheimer gelten kann, ist unklar. Er war lange der starke zweite Mann im Vorstand und wurde nach dem Krieg neuer Vorstandschef, das Amt hatte er immerhin von 1950 bis 1968 inne, danach war er noch Mitglied des Aufsichtsrats der Münchener Rück. Dabei hatte Alzheimer schon 1923 am sogenannten Hitler-Putsch teilgenommen. Der Mann habe später eine "erstaunliche Persilschein-Sammlung" präsentieren können, berichtete Bähr: "Die Bereitschaft, zu verzeihen, war gerade bei ausländischen Geschäftspartnern ausgeprägt." Die Assekuranzmanager seien "in erster Linie Geschäftsleute und nur in zweiter Linie Nazis" gewesen.

So gelang dem Unternehmen nicht lange nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs der Wiederaufstieg. Von 1950 an durfte die Münchener Rück wieder internationales Geschäft betreiben, schon bald war das Unternehmen wieder Weltmarktführer, mit Zurückhaltung und einer betont konservativen Geschäftspolitik, mit der alle Krisen gemeistert wurden.

Mit einem Mythos des Unternehmens räumen die beiden Historiker allerdings auf. Carl von Thieme, der die Münchener Rück 1880 gründete, sei nicht der großzügige Mann gewesen, als der er immer präsentiert wird. Beim großen Erdbeben von San Francisco habe Thieme etwa erst Entschädigungen geleistet, als die Lizenz in den USA in Gefahr geriet. Auch sonst habe Thieme, der elf Kinder hatte, vor allem großes Selbstbewusstsein gehabt und sei sehr streng gewesen. So habe er sogar festgelegt, zu welchem Zahnarzt die Mitarbeiter gehen müssen. Noch bis zum 78. Lebensjahr führte er die Geschäfte. "Der war sicher am Ende ein Problem, man bekam ihn einfach nicht weg", sagte Bähr. "Er hat trotzdem Ungeheuerliches geleistet", meinte Bomhard dagegen über den Gründer.

Konstanz und Loyalität ist eben die erste Tugend bei der Munich Re. Bomhard ist erst der achte Vorstandsvorsitzende. Er residiert noch immer in der prunkvollen Zentrale am Englischen Garten - dort, wo einst die prüden US-Besatzer im Treppenhaus das große Fresko "Der Kampf der Elemente" mit Tüchern verhängten, weil weibliche Akte zu sehen waren.

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