Munich Re:Die Bälle aus der Luft holen

Der Chef der Munich Re, Nikolaus von Bomhard, hat keine Angst vor Google und Co. Er glaubt: Die alten Versicherer haben gute Chancen. Gleichzeitig sucht er Partner im Silicon Valley.

Von Patrick Hagen, Bergisch-Gladbach

Es ist derzeit das Lieblingswort in der Wirtschaft: Disruption. Wohin man auch kommt, überall sprechen Manager darüber, wie die digitale Revolution alte Geschäftsmodelle zerstört und völlig neue entstehen lässt. Doch Nikolaus von Bomhard, der Chef der Munich Re, mag dieses Wort nicht. Es ist ihm zu groß, zu aufgeblasen. Er glaubt, dass all das Getöse über den radikalen, plötzlichen Wandel, der alles hinweggefegt, übertrieben ist - jedenfalls für die Welt der Versicherungen. Die Banken seien "zehnmal mehr" durch Fin-Techs bedroht, durch junge Start-ups, als die Assekuranz.

Und doch sucht Nikolaus von Bomhard die Nähe solcher Unternehmen. Eines davon heißt Metabiota, sitzt im Silicon Valley und hat sich darauf spezialisiert, mithilfe von Big Data die möglichen Verläufe und Folgen von Epidemien zu berechnen - etwas, was der traditionsreiche Versicherer aus München in dieser Perfektion nicht selbst kann. Metabiota soll bei einem Projekt helfen, das der Versicherungskonzern gemeinsam mit der Weltbank vorantreibt: Nach der verheerenden Ebola-Epidemie fasste Jim Yong Kim, der Präsident der Weltbank, den Entschluss, für künftige Krankheitsepidemien vorzusorgen. Versicherer wie die Munich Re sollen eine Deckung bereitstellen, die Geld auszahlt, sobald eine Krankheit droht, sich zu einer Epidemie auszuwachsen. Mit dem Geld sollen Maßnahmen ergriffen werden, um die Ausbreitung einzudämmen, zum Beispiel soll ein Impfstoff entwickelt werden.

Für die Munich Re stellte sich dabei dieselbe Frage, die auch jeder Versicherer beantworten muss, der eine Hausratspolice auf den Markt bringen will: Welchen Preis muss ich für das Risiko berechnen, das ich übernehme? Was für eine Hausratversicherung noch relativ leicht zu beantworten ist, überfordert bei Epidemien selbst den Risikoexperten Munich Re. "Also muss man sich Partner suchen", sagte Bomhard am Dienstagabend bei seiner Dinnerrede auf dem Versicherungstag der Süddeutschen Zeitung auf Schloss Bensberg.

Denn eine extrem ansteckende Krankheit kann für den Rückversicherer im schlimmsten Fall sehr teuer werden. Das Risiko sei vergleichbar mit "einem atlantischen Hurrikan", rechnete Bomhard vor. Denn eine schwere Epidemie könne nicht nur sehr viele Menschen das Leben kosten, sie könne auch ganze Branchen lahmlegen und die Wirtschaft zum Stillstand bringen.

Dann muss die Versicherung zahlen. Für Bomhard ist die Kooperation mit Metabiota ein Lehrstück. Die Versicherer, sagt er, dürften sich den neuen Unternehmen, die im Silicon Valley und anderswo entstehen, nicht verschließen. Ansonsten würden sie es nicht schaffen, die Herausforderungen zu stemmen, die mit der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft auf die Assekuranz zukommen. Bomhard hat keine Berührungsängste. "Wir sprechen mit Google, Amazon und Facebook, aber auch mit ganz kleinen Software-Buden", sagte er. Was er sagen will: Der Rest der Branche soll es besser genauso machen, wenn er überleben will.

Denn die Versicherungswirtschaft steht vor einem großen Wandel. Die niedrigen Zinsen belasten die Bilanzen. Hinzu kommt, dass die Kunden immer mehr Dinge über Internet und Smartphone erledigen. Darauf müssen die Gesellschaften Antworten finden, bevor ihnen branchenfremde Unternehmen das Geschäft streitig machen. Schon sucht eine Vielzahl von Angreifern nach einzelnen Punkten im Geschäftsmodell der Versicherer, die sie übernehmen können. Eine noch größere Bedrohung wäre es, wenn sich Unternehmen wie Amazon oder Google entscheiden sollten, selbst Versicherungen anzubieten - denn sie verfügen schon jetzt über einen gewaltigen Daten-Pool.

Bomhard bleibt dennoch gelassen. Er bezweifelt, dass einer der großen Internetkonzerne sich ohne Partner aus der Versicherungswirtschaft darauf einlassen würde, in den Markt einzusteigen. "Das ist ein gewisser Schutz." Er glaubt auch nicht, dass ein Neueinsteiger das Versicherungsgeschäft komplett neu erfinden wird. Stattdessen erwartet er also eher "inkrementelle Veränderungen", also viele kleine Innovationen statt einer Revolution.

Bomhards Wort hat Gewicht in der Branche. Er gilt als Intellektueller und ist auch bei seinen Gesprächspartnern in der Regierung in Berlin hoch angesehen. Aber auch vor ihm liegt eine große Herausforderung: Die Munich Re ist ein altehrwürdiges, aber auch leicht angestaubtes Unternehmen. Im vergangenen Jahr feierte es seinen 135. Geburtstag. Diesen Konzern in die neue Zeit zu führen ist keine kleine Aufgabe. Hinter den vornehmen Fassaden an der Münchner Königinstraße findet sich immer noch viel Beharrungsvermögen - warum etwas ändern, was so lange gut funktioniert hat? Wie stark viele Mitarbeiter an der Vergangenheit hängen, zeigt sich auch im Kleinen: Seit einigen Jahren nennt sich der Konzern weltläufig Munich Re, aber so manch ein Mitarbeiter spricht immer noch hartnäckig von der Münchener Rück.

Munich Re: Nikolaus von Bomhard ist seit 2004 Vorstandsvorsitzender von Munich Re, dem größten Rückversicherer der Welt.

Nikolaus von Bomhard ist seit 2004 Vorstandsvorsitzender von Munich Re, dem größten Rückversicherer der Welt.

(Foto: oh)

Der Konzern ist trotzdem schon weiter vorangekommen als viele andere Traditionsunternehmen der Branche. Der Rückversicherer unterhält bereits eine Vielzahl von Partnerschaften, engagiert sich in Innovation-Labs und Start-up-Inkubatoren. Dabei gehe es darum, "die Tentakeln auszustrecken", so Bomhard. Also nicht zu verpassen, wenn irgendwo die entscheidende Entwicklung stattfindet. Deshalb sucht die Munich Re die Nähe von möglichst vielen Partnern in der Start-up-Szene: nicht bloß in Kalifornien, auch an der Ostküste der USA, in Estland, in Tel Aviv, São Paulo, London, Berlin und München. Das bedeutet aber auch, dass nicht bei allen Projekten etwas herauskomme und er manches, was nicht den gewünschten Erfolg bringe, irgendwann wieder stoppen müsse: "Wir haben als Versicherungswirtschaft gerade viele Bälle in der Luft - einige davon müssen wir wieder herunterholen."

Das sei aber gar nicht so leicht, sagt Bomhard. Denn anders als in den USA gebe es in Deutschland keine Kultur des Scheiterns. Das Eingeständnis, dass etwas nicht funktioniere, werde in Deutschland immer noch stigmatisiert. "Man muss es auch aushalten können, wenn erst einmal nichts Großes herauskommt", warnte er. "Da müssen Sie durch, da müssen wir auch gerade durch, und das ist mitunter auch frustrierend."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: