Montagsinterview:"Wir brauchen mehr digitalen Spirit"

Achim Berg, der bei Bertelsmann Chef des Dienstleisters Arvato ist, über den Einfluss von Familien und die Macht von Google.

Interview von Caspar Busse

Er ist der erste Chef, der von außen gekommen ist: Der ehemalige Microsoft-Manager Achim Berg, 51, hat vor genau zwei Jahren die Führung von Arvato übernommen. Die Dienstleistungstochter ist mit 70 000 Mitarbeitern die Geldmaschine im Bertelsmann-Konzern. Jeder Deutsche kommt nach Schätzungen durchschnittlich bis zu achtmal am Tag mit Produkten und Dienstleistungen von Arvato in Kontakt. Arvato liefert Handys für Vodafone und Software für Microsoft aus, organisiert für Lufthansa das Miles & More-Programm und für Modefirmen deren Onlineshops, betreibt Call-Center, kümmert sich um Abrechnungen, druckt und verteilt Bücher. Hier haben viele bei Bertelsmann ihren Aufstieg begonnen, etwa die ehemaligen Konzernchefs Thomas Middelhoff, Gunter Thielen und Hartmut Ostrowski. Jetzt ist Achim Berg da. Zeit für eine Zwischenbilanz.

SZ: Herr Berg, Sie haben einmal symbolisch das iPhone zu Grabe getragen. War das nicht voreilig?

Achim Berg: (lacht) Ja, das war auf dem Firmengelände von Microsoft vor ein paar Jahren eine unterhaltsame Aktion, als wir das neue Handy-Betriebssystem von Microsoft gestartet haben. Das mit der symbolischen Bestattung war übrigens nicht meine Idee und die Aktion war auch nicht öffentlich.

Apple und das iPhone haben sich ja recht gut entwickelt.

Stimmt. Aber ich würde Microsoft und das neue Betriebssystem Windows 10 auch nicht unterschätzen. Damit wird Microsoft eine Chance am Markt haben.

Sie haben Microsoft vor zwei Jahren verlassen, sind nun der erste Arvato-Chef, der von außen gekommen ist. Ist das ein Vorteil oder macht das alles schwerer?

Ob von innen oder von außen, man muss sich an eine Kultur gewöhnen und sie akzeptieren. Die ersten sechs Monate habe ich vor allem dazu genutzt, das Unternehmen kennenzulernen. Wichtig ist, dass Arvato sich mitten in einer digitalen Transformation befindet, und hier müssen wir möglichst schnell sein. Dafür bringe ich eine Menge Erfahrung mit; ich denke, ich kann schnell erkennen, wo die Trends sind und wo es hingeht. Wir brauchen mehr digitalen Spirit. Ich nutze zum Beispiel kein Papier mehr.

Da liegt doch ein ganzer Stapel Papier vor Ihnen.

Ja, das ist der Geschäftsbericht. Alles andere habe ich in meinem Tablet.

Sie sind viel rumgekommen, Sie waren bei der Telekom, bei Fujitsu- Siemens, bei Microsoft in Deutschland, dann in den USA. Wie anders ist die Kultur bei Arvato, war das ein Schock?

Nein, die Kultur ist ja überall sehr unterschiedlich. Im Vergleich zu den USA liegt mir übrigens die europäische Kultur sehr viel mehr. Ich mag das klare und zielgerichtete Arbeiten, die Eigenverantwortung, das Unternehmertum, das selbstbestimmte Arbeiten an Innovationen. Die Stärke gerade von Arvato ist, die Dinge immer wieder neu zu erfinden.

In Gütersloh herrscht eine ganz besondere Atmosphäre. Hier sind fast alle von Bertelsmann und Arvato abhängig, einem von der Familie eng geführten Konzern.

Stimmt, das spürt man, und das ist ein deutlicher Unterschied zu meinen vorherigen Jobs. Das Familiengeführte gibt einem die Freiheit, auch langfristig zu denken, nicht immer nur von Quartal zu Quartal.

Wie bei Microsoft?

Das Quartalsdenken ist gerade bei Amerikanern sehr ausgeprägt, dort hängt der Erfolg vor allem davon ab, wie die vergangenen drei Monate gelaufen sind. Dabei ist es auch gut, mal zwei oder drei Jahre in Ruhe arbeiten zu können und dann die Früchte zu ernten. Das gilt für Arvato und für Bertelsmann.

Leben Sie jetzt in Gütersloh oder haben Sie noch Ihr Haus in der Nähe von Bonn?

Ich wohne in Gütersloh, das ist auch der wichtigste Standort von Arvato. Aber am Wochenende bin ich noch immer oft im Rheinland in meinem vollvernetzten Haus, das habe ich nie aufgegeben.

Wie eng ist Ihr Kontakt zu den Mohns, zu Aufsichtsratschef Christoph Mohn oder zu Liz Mohn?

Liz und Christoph Mohn begleiten die Entwicklung bei Bertelsmann und auch bei Arvato natürlich sehr aufmerksam. Dementsprechend stehe ich - genau wie alle anderen Vorstandsmitglieder von Bertelsmann - mit beiden im engen Dialog, der auch über die turnusmäßigen Aufsichtsratssitzungen hinausgeht. Diese Gespräche empfinde ich persönlich immer wieder als sehr bereichernd.

Montagsinterview: Amerikanische Internetkonzerne machen eine ganze Reihe von Dingen richtig, sonst wären sie nicht so erfolgreich, sagt Arvato-Chef Achim Berg.

Amerikanische Internetkonzerne machen eine ganze Reihe von Dingen richtig, sonst wären sie nicht so erfolgreich, sagt Arvato-Chef Achim Berg.

(Foto: oh)

Bei Microsoft waren Sie der wichtigste Nicht-Amerikaner in der Hierarchie. Was bringen Sie aus den USA für den Job mit?

Ich bringe die digitale Denke mit, die Vorstellung, wie man digitale Geschäftsfelder aufbauen kann, das Verständnis für Zukunftsthemen.

Die EU-Kommission wirft Google jetzt einen Missbrauch seiner Marktmacht vor und leitet ein Verfahren ein. Werden Google, Amazon, Facebook und die anderen zu Recht kritisiert?

Zunächst einmal machen die amerikanischen Internetkonzerne eine ganze Reihe von Dingen richtig, sonst wären sie nicht so erfolgreich. Aber es gibt gewisse Regeln, an die sich jeder halten muss, das betrifft zum Beispiel den Datenschutz. Es ist wichtig, dass wir in Europa endlich einheitliche Standards für den Datenschutz schaffen und diese dann auch einhalten. Wir brauchen dringend einheitliche Regelungen, um weltweit wettbewerbsfähig sein zu können. Auf der anderen Seite gibt es heute Spieler auf dem Markt, die unheimlich stark und uneinholbar wirken, aber in einigen Jahren vielleicht gar nicht mehr stark und uneinholbar sind. Das kann sehr schnell gehen, gerade im Zeitalter der Digitalisierung.

Sprechen Sie von Ihren Erfahrungen bei Microsoft? Der US-Konzern galt ja auch mal als übermächtig, als geradezu uneinholbar. Inzwischen hat sich das Bild gewandelt.

Das stimmt: Bei Betriebssystemen ist Microsoft nicht mehr das einzig führende Unternehmen, das war früher anders. Die Kunst liegt heute darin, dass sich die Unternehmen nie sicher sein können und immer weiterentwickeln müssen. Andauernd kommen hoffnungsvolle neue Firmen. Nichts ist für immer. Ich bin gespannt.

Hat Google im Moment zu viel Macht?

Ich habe nicht das Gefühl, dass irgendjemand zu viel oder zu wenig Macht hat. Wenn ein Geschäftsmodell im Rahmen des Legalen gut funktioniert, dann ziehe ich den Hut.

Sie sind also nicht der Meinung, dass man Google zerschlagen muss?

Ich bin kein Freund von massiver Regulierung. Ein staatlicher Eingriff führt nur selten zu dem gewünschten Ergebnis. Die Märkte regulieren sich in der Regel selbst. Unternehmen dürfen nicht durch starke Regulierung behindert werden. Nehmen Sie den Fall Uber: Man sollte nicht die Taxibranche mithilfe von Protektionismus und Regulierung retten, sondern sich mit den Veränderungen, die auch positiv sein können, auseinandersetzen. Per App zu sehen, wann und wie mein Taxi kommt, halte ich für eine gute Errungenschaft, dafür brauche ich keine Taxizentrale. So etwas sollte man sich nicht verschließen.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang den Wert von Daten?

Daten sind die Währung von morgen, das ist keine Frage. Auf der einen Seite gibt es dabei den verständlichen Ruf nach Verbraucherschutz. Auf der anderen Seite gibt es Interessen der Industrie, die für die Verbraucher wichtig sind. Wenn ich keine Daten hätte, könnte ich zum Beispiel Onlinehandel gar nicht machen. Datenschutz ist wichtig, aber eine Anregung zu Datensparsamkeit, wie sie immer noch im Gesetzestext steht, halte ich eindeutig für falsch.

Wie weit sind Sie bei Arvato, wie digital ist Arvato heute?

Das ganze Unternehmen bewegt sich gerade in die Digitalisierung. Das ist auch ein Resultat aus der neuen Struktur, die wir uns gegeben haben. Wir nehmen für den Onlinehandel beispielsweise gerade das in Europa mit Abstand modernste Lager- und Distributionszentrum im Modebereich in Betrieb. Wir betreuen alleine 70 Onlineshops im Mode- und Parfumbereich. Das ist ein klarer Wachstumsmarkt.

Auf der Suche nach Wachstum

Bertelsmann-Chef Thomas Rabe hat ein Problem: Eigentlich soll Europas größter Medienkonzern deutlich wachsen, doch so einfach ist das nicht. Das Geschäft stagniert vielmehr, und das schon seit längerem. Der Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr meldet unter anderem wegen rückläufiger Anzeigen- und Vertriebsgeschäfte sinkende Umsätze. Die Fernsehtochter RTL verharrte zuletzt auf einem, wenn auch hohen, Niveau, die Konkurrenz durch neue Online-Dienste ist stark. Das Druckereigeschäft, das unter dem Namen Be Printers läuft, geht ohnehin nach unten, es werden ganze Standorte geschlossen, zuletzt in Itzehoe. Die Buchklubs werden abgewickelt. Die Hoffnungen ruhen deshalb auf dem New Yorker Buchverlag Random House - und auf Arvato. Die Tochterfirma aus Gütersloh erledigt ziemlich medienferne Geschäfte, die aber erfolgreich. Der Umsatz stieg 2014 um 6,2 Prozent auf 4,7 Milliarden Euro, der operative Gewinn lag bei 384 Millionen Euro. Zwei Drittel der 112 000 Konzern-Mitarbeiter sind bei Arvato. Caspar Busse

Aber es gibt doch auch noch das große, klassisch analoge Geschäft, zum Beispiel Mohn-Druck in Gütersloh.

Stimmt, aber auch hier treiben wir die Digitalisierung voran, soweit das geht. Ich erwarte übrigens im Druckbereich ein stabiles Geschäft, gerade bei Mohn Media, und zwar für viele Jahre. In Gütersloh haben wir die größte und modernste Offset-Druckerei Europas, mit Rotationsdruckmaschinen, die teilweise bis zu 5,2 Millionen Seiten pro Stunde drucken, schneiden und falzen können.

Braucht man so etwas überhaupt noch, wenn die Welt immer papierloser wird?

Ich bin sehr zuversichtlich. Der Trend zum Prospekt oder zum Katalog ist ungebrochen. Es gibt zum Beispiel reine Onlineversender, die zur Verstärkung ihrer Marketingaktivitäten Kataloge drucken lassen und damit erfolgreich sind.

Arvato arbeitet für Lufthansa, für Vodafone, Telefónica, Microsoft, Google, Apple und viele andere. Das Unternehmen ist einer der Umsatzbringer für Bertelsmann. Was haben Sie sich für die nächsten Jahre vorgenommen?

Arvato wächst schon seit Jahren, 2014 waren es gut sechs Prozent, und das soll so weitergehen. Übrigens auch aus eigener Kraft, ohne Zukäufe, also organisch, legen wir zu, 2014 um knapp ein Prozent.

Das ist nicht gerade berauschend.

Moment, der Rückgang im CD-Geschäft ist da schon eingerechnet. Der Markt für CD- und DVD-Replikationen ist ja stark rückläufig, alleine dadurch haben wir im vergangenen Jahr einen Umsatz von 75 Millionen Euro verloren. Gleichzeitig haben wir uns von einigen Geschäften getrennt. Wir werden also weiter wachsen, aber auch die Profitabilität verbessern.

Auch die war ja 2014 nicht so toll.

Man muss dabei berücksichtigen, dass wir viel Geld in den Umbau und in die Restrukturierung gesteckt haben. Und wir haben in Innovationen investiert, die sich demnächst auszahlen werden. Mein Ziel ist ganz klar: In den nächsten zwei bis drei Jahren sollte die Gewinnmarge bei Arvato zehn Prozent erreichen.

War 2014 also das Jahr des großen Aufräumens?

So würde ich das nicht ausdrücken, ich würde sagen: ein Jahr der Transformation. Es gab bei Arvato ein Sammelsurium von vielen kleinen und mittleren Unternehmen, das haben wir geändert und sieben starke Bereiche geschaffen, die weltweit tätig sind.

Sie haben bereits Unternehmen wie den Online-Abwickler Netrada oder den Finanzdienstleiter Gothia gekauft. Haben Sie weitere Pläne?

Wir werden mit Sicherheit weiter investieren, und dabei sind auch Übernahmen geplant. Übrigens auch kurzfristig, gerade in den Bereichen Online-Handel, digitales Marketing und Finanzdienstleistungen. Wir sind an einigen Themen dran, da kann sich schon in den nächsten Monaten durchaus etwas ergeben.

Es war schon mal ein Börsengang von Arvato im Gespräch, die Zeiten sind gerade gut. Ist das noch ein Thema?

Ein Börsengang ist nicht geplant, wir können uns sehr gut selbst finanzieren.

Achim Berg, 51, stammt aus Sankt Augustin bei Bonn. Er hat an der Fachhochschule in Köln Informatik studiert. Danach arbeitete er bei verschiedenen Computerfirmen, 2002 schließlich ging er zur Deutschen Telekom als Mitglied des Bereichsvorstands der Festnetzsparte. 2007 wechselt er als Deutschland-Chef zu Microsoft. 2010 ging er dann in die USA, um in der Microsoft-Zentrale die Mobilfunkgeschäfte weiterzuentwickeln. Seit April 2013 ist er Vorstandsvorsitzender von Arvato. Achim Berg fährt gerne Ski und kann sich für schnelle Autos begeistern.

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