Montagsinterview:"Bei uns werden Sie nicht von Klempnern gefahren"

Lesezeit: 6 min

Die israelische Taxi-App Gett setzt auf Profifahrer. Vorstand Tal Brener erklärt, warum Taxler mehr Respekt brauchen und warum VW Millionen in die Firma investiert.

interview Von Thomas Fromm

Schon am frühen Morgen 30 Grad. Es ist heiß am Stadtrand von Tel Aviv. Die Sonne brennt auf das moderne Bürohochhaus in der Ha Barzel, aber der erste Stock des Hochhauses ist tiefgekühlt. Wer die Gesetze der Taxi-App Gett kennenlernen will, braucht nur auf die Bürowände am Eingang zu schauen. Dort stehen Sätze wie: "Ego is a no go." Tal Brener, 41, ist Vorstand, er trägt sein Hemd aufgeknöpft und ohne Krawatte und redet gerne. Vor allem, weil er der Welt mitteilen möchte, dass sein Unternehmen anders ist als der umstrittene Wettbewerber Uber aus dem kalifornischen Silicon Valley.

SZ: Herr Brener, Gett wird nach der amerikanischen Taxi-App oft als israelisches "Uber" bezeichnet. Passt das?

Tal Brenner: Nein. Es gibt große Unterschiede zwischen Gett und Uber. Der erste ist: Man kann technologisch disruptiv sein, muss aber nicht gleich mit den geltenden Regulierungen brechen. Wir haben nur lizenzierte Fahrer. Sie sind Freiberufler, aber Profi-Fahrer. Bei uns werden Sie nicht von Klempnern gefahren, die nebenbei ihr Geld als Taxifahrer verdienen. Wir finden es wichtig, dass unsere Fahrer fair behandelt und bezahlt werden.

Sie haben das Motto ausgegeben: Wenn wir unsere Fahrer besser behandeln, behandeln die auch unsere Kunden besser.

Das war vom ersten Tag an unsere Philosophie. Wir bilden die Fahrer für uns aus, wir fördern sie, wir stehen mit ihnen in ständigem Kontakt. Wir versuchen zum Beispiel, zwischen Fahrer und Fahrgast eine Art emotionales Band herzustellen. Wir bringen sie einander näher, indem wir schon vorher klären, ob sie zusammenpassen. Der Kunde kann entscheiden: Will er reden oder nicht? Will er Radio hören oder nicht? Was sind seine Interessen? Wie passt das mit den Interessen des Fahrers zusammen? Am Ende bekommen die Fahrer ein Rating. So stellen wir sicher, dass wir immer die besten Fahrer haben.

Vor einiger Zeit hat der inzwischen zurückgetretene Uber-Chef Travis Kalanick von einem "Arschloch namens Taxi" gesprochen und damit die alteingesessenen Wettbewerber der Branche ge meint. Würde man so etwas auch von Gett hören?

Absolut nicht! Das war ein sehr unglückliches Statement von Herrn Kalanick, und es war auch nicht das einzige, wie wir heute wissen.

... deshalb ist er wohl auch kein Uber-Chef mehr.

Und deshalb haben wir auch einen komplett anderen Ansatz: Wir haben Respekt für unsere Fahrer und für unsere Kunden.

Und doch sind Sie noch nicht überall auf der Welt angekommen. Warum nicht?

Wir bieten unseren Dienst in Israel an, in Großbritannien, in über 60 Städten in Russland, in den USA bislang nur in New York, aber das wollen wir jetzt ausbauen.

Da wird sich Uber aber freuen!

Ganz bestimmt. Aber es gibt genug Raum für Wettbewerber, deshalb haben wir auch den US-Anbieter Juno übernommen. Die passen kulturell gut zu uns, denn sie haben auch diese Fahrerperspektive, die für uns so wichtig ist.

Und dann wären da aber auch noch Länder wie Deutschland oder Frankreich. Wann starten Sie in Berlin?

Ich tue mich schwer damit, jetzt schon genau zu sagen, welcher der nächste Markt sein wird. Interessant sind sowohl Frankreich als auch Deutschland. Aber bedenken Sie auch, dass es uns erst seit ein paar Jahren gibt. Wir sind also noch eine relativ junge Firma. Da muss man dann entscheiden, wo man seine Schwerpunkte setzt. Jetzt kümmern wir uns erst einmal um die USA, aber Europa bleibt interessant.

"Wir haben Respekt für unsere Fahrer und für unsere Kunden." (Foto: Ronen Boidek)

Ist es eine Frage von Monaten oder eher von Jahren?

Es wird sicherlich nicht in den nächsten Monaten passieren.

Sie arbeiten sehr viel mit Firmenkunden zusammen und fahren Mitarbeiter von Goldman Sachs, Google und anderen. Lohnt sich das Geschäft?

Wir haben an die 7000 Firmenkunden. Das wirkt sich auch auf unseren Umsatz aus: Diese Kunden nutzen regelmäßig unsere Taxis, sie fahren länger, sie sind also sehr gut kalkulierbare Kunden. Das hilft uns übrigens auch im Geschäft mit Privatkunden. Wer uns schon aus der Firma kennt, bucht uns beim nächsten Mal auch, wenn er abends mit seiner Frau ausgeht.

Sie verdienen Ihr Geld auch mit Lieferdiensten - Blumen, Pizza, Champagner, gebracht per Taxi- oder Scooter-Kurier. Machen das nicht auch viele andere?

Das ist eine Art Start-up innerhalb des Start-ups. Wir müssen manchmal etwas Neues machen. Wir liefern aber nicht nur Pizza. Wir bringen Ihnen alles, was Sie wollen. Wenn Sie mir jetzt sagen, dass Sie etwas in Ihrem Hotel vergessen haben, dann schick ich jemanden los, der es für Sie holt. In ein paar Minuten haben Sie es hier.

Da wäre ja vieles möglich - zum Beispiel auch Babysitter-Dienste ...

Nein, das machen wir nicht. Wir handeln auch nicht mit Kundendaten, wir nutzen die App nicht als Werbeplattform. Das ist uns alles zu weit weg von unserem eigentlichen Taxi-Geschäft.

Vor einem Jahr hat Volkswagen 300 Millionen Dollar in Ihr Unternehmen investiert. Da hatte man eigentlich geglaubt, dass es jetzt ganz schnell nach Deutschland geht. Warum dann doch nicht? Ist Deutschland ein so schwieriger Markt?

Die Zusammenarbeit mit VW ist für uns sehr wichtig, die verstehen sehr gut, was wir machen und wo wir hinwollen. Die pushen uns aber auch nicht in irgendeine Richtung, wir können selbst über unsere Strategien entscheiden. Es bedeutet jedenfalls nicht, dass wir jetzt sofort nach Berlin müssen. Wenn wir es machen, dann ist die Verbindung zu VW eine Hilfe.

Als Sie die enge Verflechtung mit VW bekannt gegeben haben, war von einer strategischen Partnerschaft die Rede, von Datenaustausch, von gemeinsamen Projekten. Was ist daraus geworden?

Vieles ist gerade vertraulich. Es geht bei den Dingen, die wir machen, um die Zukunft der Mobilität. Das, was ich die zweite Welle der Disruption nenne. Die erste Welle fand statt, als die ersten alternativen Taxi-Unternehmen mit Smartphone-Apps auftauchten. Bei der zweiten Welle geht es jetzt um viel mehr. Jetzt geht um das gesamte System. Um die Frage, wie Menschen in die Städte und wieder herauspendeln. Und das betrifft alle im System: Autohersteller, Flottenmanager, Taxi-Firmen, Carsharing-Dienste. Es ist schwer vorherzusagen, wie das alles in zehn, 15 oder 20 Jahren aussehen wird, aber klar ist: Wir werden es mit VW gemeinsam machen.

Was ist Ihre Aufgabe bei alldem?

Wir wissen viel über die Fahrgewohnheiten in den Städten, Dieses Wissen können wir teilen. Wir können unsere Technologie mit autonomen Autos verknüpfen; Fahrer mit anderen Fahrern verbinden. Wir arbeiten an Leasing-Modellen für Fuhrparks, wir organisieren den Verkehr. Da ist vieles gerade "work in progress".

Sie sind ein verhältnismäßig kleines Unternehmen, VW ein Gigant mit mehr als 600 000 Mitarbeitern und 217 Milliarden Euro Umsatz. In der Autoindustrie wird sieben Jahre lang an einem Auto gebastelt, bei Ihnen geht alles sehr schnell. Das sind zwei sehr unterschiedliche Kulturen.

Weitere Artikel aus der SZ-Serie Gipfelstürmer finden Sie hier. (Foto: SZ-Grafik)

Das stimmt. Ich war mal in der VW-Fabrik in Wolfsburg eingeladen, und ich muss sagen: Das hat mich wirklich umgehauen. Ich dachte mir: Diese Typen können wirklich Autos bauen! Okay, das ist auch ihr Job. Wir bei Gett können keine Autos bauen, wir wüssten nicht mal, wo anfangen. Wir machen dafür andere Dinge.

VW-Chef Matthias Müller sagt, man wolle bis 2025 einer der "weltweit führenden Mobilitätsdienstleister" werden. Ist das nicht ein riesiger Strategiewandel?

Es geht in Zukunft nicht mehr nur darum, einen Golf zu bauen. Und darum, dass man unbedingt ein solches Auto besitzen muss. Die sogenannten Millennials wollen nicht mehr besitzen, die sind nicht so emotional. Es geht künftig um alle Dienstleistungen im Auto und ums Auto herum, und vieles von dem, was im vergangenen Jahrhundert war, ist heute nicht mehr relevant. Es stimmt, VW ist viel größer als wir. Aber Teil dieser ganzen Evolution ist, dass unterschiedliche Firmen zusammenarbeiten.

VW hat in Gett investiert, Toyota in Uber, der US-Autobauer General Motors in den amerikanischen Fahrdienstvermittler Lyft - die Hersteller wollen gerade unbedingt ins Taxi. Geht das jetzt so weiter?

Ja, weil sie verstanden haben, dass sich gerade alles verändert, und dass sie sich deshalb mit neuen Partnern zusammentun müssen. Es gibt Hersteller, die glauben, sie könnten einfach so weitermachen wie bisher oder sie könnten es auf eigene Faust machen. Wir sehen aber, dass sich große Autokonzerne schwertun damit. Diese Technologien sind sehr komplex, und sie sind weit weg von dem, was diese Unternehmen bisher gemacht haben. Große Konzerne können sich nicht so schnell bewegen wie wir!

Deshalb zahlt Intel 15 Milliarden Dollar für das israelische Start-up Mobileye?

Der Deal ist sehr gut für die gesamte israelische Wirtschaft. Intel zahlt 15 Milliarden Dollar, wir als Land Israel bekommen neue Ressourcen, und es zeigt, dass Israel ein wichtiger Technologie-Standort ist. Das ist auch gut für uns als Taxi-App.

300 Millionen Euro von VW sind ja auch nicht schlecht. Haben Sie schon Übernahmeangebote bekommen?

Das kann ich nicht kommentieren. Aber wir glauben, dass wir noch lange selbständig wachsen können, ohne gekauft zu werden. Da gibt es keine Eile. Freiheit und Bewegungsspielraum sind wichtig für uns.

Tal Brener arbeitete für die israelische Verkehrsgesellschaft Dan, bevor er 2011 zu dem damals noch jungen Taxi-Start-up Gett wechselte. Unter Brener, der im Vorstand der Firma für Finanzen und rechtliche Fragen zuständig ist, expandierte der Fahrtenvermittler weit über Israel hinaus.

© SZ vom 24.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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